20.11.2025 Fachbeitrag

BGH stärkt Position von Geschäftsleitern und Insolvenzverwaltern in D&O-Deckungsprozessen: Verspäteter Insolvenzantrag indiziert keine wissentliche Pflichtverletzung eines Geschäftsleiters mit Folge des Deckungsverlustes

Update Restrukturierung 3/2025

I. Entscheidung des BGH vom 19. November 2025

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 19. November 2025 (Az. IV ZR 66/25) eine wesentliche Entscheidung zugunsten der Geschäftsleiter insolventer Unternehmen getroffen. D&O-Versicherer können die Haftungsdeckung hinsichtlich des Ersatzes für Zahlungen nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist nicht unter pauschalem Hinweis auf eine wissentliche Pflichtverletzung ablehnen. Dies hatten zuvor das OLG Frankfurt (Vorinstanz, Urt. v. 05.03.2025, 7 U 134/23) mehrfach und auch das OLG Köln anders entschieden.

II. Hintergrund: Deckungsausschluss bei wissentlicher Pflichtverletzung, Kardinalpflichtrechtsprechung des OLG Frankfurt

D&O-Versicherungsverträge enthalten in aller Regel eine Klausel, wonach der D&O-Versicherer bei wissentlichen Pflichtverletzungen des Geschäftsleiters nicht zur Leistung verpflichtet ist. Das OLG Frankfurt und das OLG Köln hatten – insoweit durchaus nachvollziehbar – entschieden, dass die Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO bzw. den Vorläufernormen des GmbHG und AktG als besonders wichtige gesetzliche Vorgabe eine sogenannte Kardinalpflicht ist. Hierauf aufbauend wurde allerdings zusätzlich der – äußerst zweifelhafte – Schluss im Wege eines Anscheinsbeweises gezogen, dass jede einzelne Zahlung des Geschäftsleiters nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist in wissentlicher Verletzung seiner Pflichten erfolge. Wäre dies der Fall so könnten sich die D&O-Versicherer bei verspäteter Insolvenzantragstellung stets pauschal auf einen Deckungsausschluss berufen und müssten grundsätzlich nicht leisten. Um Haftungsdeckung zu erlangen, müsste der Geschäftsführer darlegen und beweisen, nicht wissentlich gehandelt zu haben. Das ist in einem Jahre nach dem relevanten Geschehen erfolgenden Deckungsprozess häufig ein nahezu unmögliches Unterfangen.

III. Verspätete Insolvenzantragstellung hat keine Indizwirkung für wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots, volle Darlegungs- und Beweislast des D&O-Versicherers

Im Rahmen der durch das OLG Frankfurt zugelassenen Revision des auf Basis einer Abtretung des Deckungsanspruchs durch den haftenden Geschäftsführer gegen den D&O-Versicherer klagenden Insolvenzverwalters hatte der BGH nun die Frage zu entscheiden, ob die verspätete Insolvenzantragstellung tatsächlich eine deckungsschädliche wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsleiters bezüglich des Zahlungsverbots nach Insolvenzreife indiziert. Die mündliche Verhandlung in Karlsruhe fand am 19. November 2025 statt, die Urteilsverkündung erfolgte unmittelbar im Anschluss. Zu Recht folgte der BGH der Argumentation des Insolvenzverwalters und verneinte eine Indizwirkung bezüglich einer Wissentlichkeit von Verletzungen des Zahlungsverbots aufgrund verspäteter Insolvenzantragstellung. Insbesondere aufgrund der Komplexität der insolvenzrechtlichen Zahlungsverbote und ihrer vielfältigen Ausnahmen ist eine pauschale Indizwirkung abzulehnen. Versichert ist gerade nicht die Haftung für eine nicht rechtzeitige Insolvenzantragstellung, sondern die Haftung des Geschäftsleiters für den Nachteil, welcher der Gesellschaft bzw. deren Insolvenzmasse durch Zahlungen nach Insolvenzreife entsteht. Hinzukommt, dass Deckungsausschlüsse grundsätzlich eng – und nicht, wie durch die Rechtsprechung des OLG Frankfurt und des OLG Köln erweiternd - auszulegen sind.

IV. Bedeutung und Folgen für die Praxis

Das Urteil des BGH ist von großer Bedeutung für die Praxis. Es erging zwar zu dem Zahlungsverbot des früheren und inzwischen aufgehobenen § 64 GmbHG. Die Entscheidung lässt sich aber auf die heute rechtsformübergreifende Regelung des Zahlungsverbots nach Insolvenzreife in § 15b InsO übertragen. Die Haftung von Vorständen und Geschäftsführern auf den Ersatz von Zahlungen nach dem Eintritt der Insolvenzreife erreicht schnell existenzbedrohende Summen. Umso wichtiger ist eine wirksame Haftungsdeckung für die Geschäftsleiter. Auch für die Insolvenzverwalter, welche die Deckungsansprüche in Vergleichsverhandlungen mit den Geschäftsleitern einbeziehen bzw. diese nach Abtretung oder Pfändung im Deckungsprozess gegen die Versicherer durchsetzen, ist das Urteil des BGH von großer Relevanz. Letztlich schützt dieses mittelbar durch Schadensminderung auch die Insolvenzgläubiger, die bei Realisierung aufgrund Versicherungsschutzes bonitätsstarker Haftungsansprüche höhere Insolvenzquoten erhalten. D&O-Versicherer hingegen müssen für eine erfolgreiche Deckungsversagung (wieder) für jede einzelne Zahlung nach Insolvenzreife darlegen und beweisen, dass der Geschäftsleiter wusste, dass er durch diese das Zahlungsverbot verletzt. Die Schwächung der Position der Geschäftsleiter und Insolvenzverwalter in D&O-Deckungsprozessen durch die Rechtsprechung des OLG Frankfurt und des OLG Köln in den letzten Jahren ist durch den BGH zu Recht korrigiert worden.

Generell gilt: Geschäftsleiter sollten auf ausreichenden und verlässlichen D&O-Versicherungsschutz achten, was nicht nur die Deckungssumme, sondern auch die Regelungen in den Versicherungsbedingungen betrifft. Im Fall einer Unternehmenskrise sollte umgehend spezialisierter anwaltlicher Rat eingeholt werden, um Haftungsfälle möglichst gänzlich zu vermeiden.

Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Marc Beron erstellt.

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