BGH zur Insolvenzanfechtung bei Drittdarlehen: Wenn Banken plötzlich wie Gesellschafter behandelt werden
Update Restrukturierung 2/2025
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte mit Urteil vom 18. April 2024 (Az. IX ZR 129/22) erneut klar, dass externe Darlehensgeber wie Banken unter bestimmten Umständen insolvenzrechtlich wie Gesellschafter behandelt werden können – insbesondere dann, wenn ihnen durch vertragliche Regelungen wie Ergebnisbeteiligung und Investitionsvorbehalt eine mitgliedschaftsähnliche Stellung eingeräumt wird. Für Banken und institutionelle Kreditgeber ist dies ein deutliches Warnsignal: Bereits die Kombination solcher Klauseln kann zur Gleichstellung mit einem Gesellschafter führen – mit potenziell gravierenden Folgen im Insolvenzfall.
Nachfolgend stellen wir die Zusammenhänge dar und ordnen die Auswirkungen der Entscheidung für die Praxis ein.
Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz
Gerät eine haftungsbeschränkte Gesellschaft (z. B. GmbH, AG oder GmbH & Co. KG) in die Insolvenz, muss ein Gesellschafter Rückzahlungen auf gewährte Darlehen, die er im Jahr vor dem Insolvenzantrag erhalten hat, an die Masse zurückgewähren (Anfechtung gem. §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 143 InsO). Offene Darlehensforderungen sind nachrangig und führen regelmäßig zum Forderungsausfall, regelmäßig auch, wenn sie am Gesellschaftsvermögen besichert sind. Gleiches gilt für Forderungen aus wirtschaftlich vergleichbaren Rechtshandlungen. Diese Regelungen dienen der Gläubigergleichbehandlung und beruhen auf der Annahme, dass Gesellschafter ihr in der Gesellschaft gebundenes Risiko nicht dadurch zu Lasten der Gläubiger der Gesellschaft vermindern dürfen, dass sie der Gesellschaft (neben oder anstelle von Eigenkapital) Fremdkapital zuführen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH können diese Grundsätze in personeller Hinsicht auch auf wirtschaftlich gleichgestellte Dritte Anwendung finden.
Der Fall des BGH (Az. IX ZR 129/22): Kein Gesellschafter – aber wirtschaftlich nah dran
Im entschiedenen Fall hatte eine Bank der später insolventen Schuldnerin mehrere Darlehen zur Finanzierung von Gewerbeimmobilien gewährt. Zwar war sie formell nicht an der schuldnerischen Gesellschaft beteiligt, jedoch enthielten die Darlehensverträge eine Verkaufserlösbeteiligung (Ergebnisbeteiligung), einen Investitionsvorbehalt (Einfluss auf Geschäftsentscheidungen) sowie weitere Regelungen, die die Entscheidungsfreiheit der Schuldnerin einschränkten. Die Mieteinnahmen wurden von einer der Schuldnerin durch die Bank vorgeschlagenen Immobilienverwaltungs-GmbH vereinnahmt und von dieser auf Weisung der Schuldnerin zur Erfüllung des Kapitaldienstes an die Bank weitergeleitet. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens forderte der Insolvenzverwalter der Schuldnerin von der Bank die Rückzahlung der empfangenen Beträge.
Der BGH prüfte (u. a.) die Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO – obwohl die Bank keine Gesellschafterin der Schuldnerin war. Er verwies auf seine Grundsatzentscheidung vom 25. Juni 2020 zur doppelnützigen Treuhand (IX ZR 243/18, BGHZ 226, 125), wonach auch Rechtshandlungen gesellschaftsfremder Dritter erfasst sind, wenn sie wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechen.
Im konkreten Fall ließ der BGH zwar offen, ob die Bank als gesellschaftergleiche Dritte zu qualifizieren war. Denn die Beteiligungselemente waren bereits vor Beginn des Anfechtungszeitraums weggefallen. Die Rückzahlungen lagen damit außerhalb des nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO relevanten Jahreszeitraums – eine Anfechtung war daher insoweit ausgeschlossen.
Doch die implizite Aussage des Urteils ist deutlich: Wären die Beteiligungselemente noch aktiv gewesen, hätte eine Gleichstellung mit einem Gesellschafter im Raum gestanden.
Die Maßstäbe aus dem Grundsatzurteil vom 25. Juni 2020 (IX ZR 243/18, BGHZ 226, 125) und ihre praktische Relevanz
In seinem Urteil aus dem Jahr 2020 hatte der BGH die Kriterien für die Gleichstellung eines Drittdarlehensgebers mit einem Gesellschafter konkret umrissen. Maßgeblich ist danach, ob sich die Tätigkeit der Gesellschaft als eigene unternehmerische Betätigung des Dritten darstellt. Dies ist im Wege einer Gesamtbetrachtung anhand folgender Kriterien zu prüfen:
- Gewinnbeteiligung: Eine Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft über bloße Zinsansprüche hinaus;
- Gesellschaftergleiche Rechte: Vertraglich eingeräumte Mitwirkungs- oder Vetorechte, die über typische Gläubigerrechte hinausgehen;
- Einfluss auf die Geschäftsführung: Rechtlich abgesicherte Möglichkeit zur Steuerung oder Kontrolle der Geschäftsleitung.
Diese Kriterien orientieren sich an § 39 Abs. 5 InsO, der für Gesellschafterdarlehen ein so genanntes Kleinbeteiligtenprivileg (s. hierzu unser Newsletter vom 27. April 2023) vorsieht. Besonders gewichtig ist dabei die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Geschäftsführung, sie kann eine fehlende Gewinnbeteiligung kompensieren, so, wie Darlehen eines nur unwesentlich Beteiligten (max. 10 %), der aber die Geschäfte leitet, gleichwohl nachrangig sind.
(Kritische) Bewertung aus Sicht der Kreditpraxis
Aus Sicht der finanzierenden Banken sollte die Entscheidung des BGH als Warnsignal eingestuft werden. Denn sie zeigt, dass der BGH auch außerhalb der bekannten Fälle der atypischen Verpfändung und der Treuhandschaft an den Geschäftsanteilen am Schuldner bereit ist, bereits bei Vorliegen eines Investitionsvorbehalts und einer Ergebnisbeteiligung eine Gleichstellung mit einem Gesellschafter zumindest in Betracht zu ziehen.
Gerade der Investitionsvorbehalt ist in der Kreditpraxis weit verbreitet – etwa in Form von Zustimmungsvorbehalten bei größeren Investitionen, Ausschüttungen oder Strukturmaßnahmen. Solche Klauseln dienen der Risikosteuerung und sind aus Sicht des Kreditgebers ökonomisch geboten.
Die direkte Verkaufserlösbeteiligung ist bei der Neuvergabe von Krediten hingegen selten, insbesondere im nachrangigen Teil strukturierter Finanzierungen aber nicht ganz unüblich. Bei diesen ist es aber auch nicht unüblich, dass die Finanzierer für ihre Forderungen durch entsprechende Rangrücktrittklauseln bereits vertraglich einen qualifizierten Nachrang vereinbaren.
Häufiger finden sich Verkaufserlösbeteiligungen in Sanierungsfällen. Sofern es dabei darum geht, lediglich den ursprünglichen Kreditbetrag samt (auch risikoadäquater) Verzinsung zurückzuholen, sollte auch aus Sicht des BGH das kreditgeberische Interesse im Vordergrund stehen und keine eigene unternehmerische Betätigung des Kreditgebers bei seinem Kunden vorliegen. Sollte dieses Maß jedoch überschritten werden, kann eine schädliche Gewinnbeteiligung vorliegen. Selbst eine Gewinnbeteiligung muss aber noch nicht zwingend zum Nachrang führen, da bei der vom BGH geforderten Gesamtschau wohl auch das so genannte Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO zu berücksichtigen wäre. Rechtsprechung ist hierzu jedoch nicht ersichtlich und auch darüber hinaus wird man diesen Fragenkreis als noch unerforschtes Terrain bezeichnen können.
Fazit und Praxishinweis
Die aktuelle BGH-Rechtsprechung verdeutlicht: Die insolvenzrechtliche Gleichstellung von Drittdarlehensgebern mit Gesellschaftern ist kein theoretisches Risiko, sondern eine reale Gefahr bei unklarer oder zu weitreichender Vertragsgestaltung. Für Kreditgeber empfiehlt sich daher Folgendes:
- Beteiligungsklauseln vermeiden, die unternehmerischen Einfluss oder eine Erfolgsbeteiligung nahelegen;
- Bestehende Verträge auf gesellschafterähnliche Elemente überprüfen – insbesondere bei Mezzanine-Finanzierungen, stillen Beteiligungen oder hybriden Strukturen;
- Die Rolle als Fremdkapitalgeber klar dokumentieren – auch im Rahmen der Gestaltung von Covenants, des Reportings und der Kommunikation mit der Darlehensnehmerin;
- Variable Vergütungsmodelle sorgfältig bewerten – insbesondere bei erfolgsabhängiger Verzinsung oder Beteiligung an Verwertungserlösen.
Spezialisierte Beratung bei der Ausgestaltung neuer und Prüfung bestehender Finanzierungen ist daher geboten.