19.08.2025 Fachbeitrag

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Teil 2: Die ersten BFSG-Abmahnungen im E-Commerce

Update IP, Media & Technology Nr. 126

Nur knapp anderthalb Monate nach Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) wurde uns jüngst die erste Abmahnung wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Vorschriften des BFSG vorgelegt. Worauf die Abmahnung gestützt wird, wie Betroffene auf eine Abmahnung aufgrund eines (vermeintlichen) Verstoßes gegen das BFSG reagieren sollten und welche Maßnahmen Wirtschaftsakteure nun schleunigst umsetzen sollen, um Abmahnungen zu vermeiden, beleuchten wir in diesem Teil unserer BFSG-IP-Update-Reihe näher.

I. Das BFSG und die geltenden Anforderungen an den E-Commerce

Spätestens seit Mitte des Jahres dürfte das BFSG mehr und mehr an Bekanntheit gewonnen haben, denn seit dem 28. Juni 2025 verpflichtet das BFSG diverse Wirtschaftsakteure dazu, bestimmte Waren barrierefrei in Verkehr zu bringen bzw. bestimmte Dienstleistungen barrierefrei zu erbringen. In unserem ersten Teil unserer IP-Update-Reihe zum BFSG haben wir bereits dargestellt, wer vom Anwendungsbereich des BFSG erfasst wird, welche Inhalte einer Webseite barrierefrei zu gestalten sind und welche Barrierefreiheitsanforderungen das BFSG und die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) konkret an Webseitenbetreiber und App-Anbieter stellen.

Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes steht der vom BFSG betroffene E-Commerce vor zahlreichen praktischen und rechtlichen Herausforderungen, insbesondere was die technische Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen auf Webseiten betrifft. Konsens dürfte für Dienstleistungserbringer im E-Commerce derzeit allenfalls darin bestehen, dass die WCAG-Kriterien 2.1 (Level AA) den Maßstab für die Barrierefreiheit einer Webseite vorgeben und deren Einhaltung eine gesetzliche Vermutung zur Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen auslöst. Offen bleiben jedoch die konkrete Umsetzung im Einzelfall und die an die Nichterfüllung anknüpfenden rechtlichen Konsequenzen. Auslegungsfragen des BFSG dürften die Gerichte aller Voraussicht nach in Zukunft vermehrt beschäftigen. 

II. Gegenstand der derzeitig kursierenden BFSG-Abmahnungen

Nach Inkrafttreten des BFSG am 28. Juni 2025 ließen sodann auch die ersten Abmahnungen nicht lange auf sich warten. Dass diese besonderen Fokus auf den Bereich des E-Commerce legen, dürfte aufgrund der Vielzahl der betroffenen Wirtschaftsakteure und Webshops und der vergleichsweise einfachen Überprüfung der BFSG-Konformität nicht weiter verwundern. 

Die ersten nun versendeten BFSG-Abmahnungen wurden im Namen des Webseitenbetreibers die-website-experte.de ausgesprochen, der von der CLAIM Rechtsanwalts GmbH anwaltlich vertreten wird. Internetrecherchen ergeben, dass derzeit eine Vielzahl entsprechender Abmahnungen wegen vermeintlicher BFSG-Verstöße durch die soeben genannten Beteiligten im Umlauf ist. 

In der Abmahnung wird pauschal und ohne nähere Begründung ein angeblicher Verstoß gegen das BFSG abgemahnt, da die betroffene Homepage angeblich nicht barrierefrei sei. Untermauert werden soll der angebliche Verstoß gegen das BFSG durch die Vorlage eines Screenshots der Webseite der abgemahnten Partei. Dabei wird lediglich darauf verwiesen, dass sich eine Pflicht zur Barrierefreiheit konkret aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 und 2 BFSG ergebe, dessen Verstoß eine unlautere Wettbewerbshandlung gemäß der §§ 3, 3a, 7 (9) UWG darstelle, welche wiederum den geltend gemachten Unterlassungsanspruch begründe. Was konkret beanstandet wird oder im Widerspruch zu den Vorschriften des BFSG stehen soll, lässt die abmahnende Partei im Unklaren.

Ungewöhnlich ist auch der Umstand, dass der Abmahnende – unter Vorschub der Tatsache, dass es sich um eine neu gesetzliche Regelung handele – der abgemahnten Partei einen Vergleichsvorschlag unterbreitet: Auf die zur Ausräumung einer Wiederholungsgefahr grundsätzlich notwendige Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung soll vorläufig verzichtet werden, sofern ein bestimmter Betrag gezahlt werde. Die Ermittlung der Höhe des zu zahlenden Betrages ist nicht nachvollziehbar. Sofern die geforderte Zahlung des Vergleichsbetrags erfolge, würde die abmahnende Partei der abgemahnten Partei weitere drei Monate einräumen, um die streitgegenständliche Webseite BFSG-Konform umzugestalten. Noch skurriler wird es dann, wenn sich anschließend die abmahnende Partei „als Experte auf diesem Gebiet“ anbietet und bei der Installation entsprechend benötigter Tools zur Barrierefreiheit behilflich sein möchte. 

Das Ganze erfolgt unter den Hinweisen, dass der Verstoß gegen das BFSG neben zivilrechtlichen Folgen zugleich auch ordnungsrechtlich relevant sei oder mit empfindlichen Geldbußen belegt werden könne sowie, dass der angesetzte Gegenstandswert in Höhe von 10.000,00 EUR doch eher im unteren Bereich der von Gerichten bzw. Kollegen zugrunde zulegenden Streitwerte anzusiedeln wäre. Dies soll das Vergleichsangebot mutmaßlich als besonders kulant erscheinen lassen. 

III. Wie reagiere ich auf eine Abmahnung?

1. Ignorieren Sie eine Abmahnung nicht

Grundsätzlich sollten betroffene Wirtschaftsakteure Abmahnungen aufgrund vermeintlicher BFSG-Verstöße ernst nehmen und sich zeitnah von einem Rechtsanwalt professionell beraten lassen. Oft werden kurze Fristen gesetzt und bei einer berechtigten Abmahnung kann eine einstweilige Verfügung drohen. 

2. Bleiben Sie ruhig und zahlen Sie nicht voreilig auf eine Abmahnung

Von einer voreiligen und ungeprüften Annahme vermeintlich kulanter „Vergleichsangebote“ raten wir ab. Ein enthaltendes „Vergleichsangebot“ kann zwar verlockend sein, dies sollte dennoch juristisch geprüft werden.

3. Lassen Sie die Abmahnung zeitnah juristisch prüfen

Oftmals lassen sich Abmahnungen schon aufgrund von Formfehlern oder fehlenden rechtlichen Argumenten angreifen. Zweifel an der Berechtigung einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung können nicht nur aus der Feststellung eines tatsächlichen BFSG-Verstoßes herrühren, sondern sich bereits aus den allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften ergeben. Dabei kann bereits die Frage nach der Aktivlegitimation, also die Frage nach der Anspruchsberechtigung zur Geltendmachung eines lauterkeitsrechtlichen Anspruchs, entscheidungserheblich sein. Sofern eine Abmahnung von einem vermeintlichen Mitbewerber der abgemahnten Partei ausgesprochen wurde, ist stets prüfen, ob auch tatsächlich ein konkretes Wettbewerbsverhältnis der Parteien im Sinne des UWG besteht. Daneben ist selbstverständlich auch der konkret vorgeworfene Verstoß gegen das BFSG zu prüfen, wobei in diesem Zusammenhang die Vorschriften der BFSGV und die für den E-Commerce maßgeblichen WCAG 2.1-Kriterien zu beleuchten sein werden. 

4. Geben Sie nicht vorschnell eine Unterlassungserklärung ab

Eine Unterlassungserklärung ggfs. mit vereinbarter Vertragsstrafe kann kostspielig werden, wenn ein Rechtsverstoß weiter fortbesteht. Auch ist es im Nachhinein sehr schwierig, sich von einer solchen Erklärung zu lösen. 

IV. Möglichkeit einer Gegenabmahnung bei unberechtigter Abmahnung 

Sollte sich nach der vorstehenden Prüfung ergeben, dass eine Abmahnung unberechtigt ist, werden von der unrechtmäßigen Abmahnung Betroffene nicht schutzlos gestellt, sondern haben die Möglichkeit eine Gegenabmahnung auszusprechen. Dem zu Unrecht Abgemahnten stehen in diesen Fällen eigene Ansprüche gegen die abmahnende Partei zu.

Zum einen besteht in solchen Konstellationen die Möglichkeit einer sogenannten negativen Feststellungsklage gegen den zu Unrecht Abmahnenden, die auf die gerichtliche Feststellung gerichtet ist, dass keine Ansprüche des Anmahnenden gegen den Abgemahnten bestehen und die Abmahnung zu Unrecht erfolgt ist.

Zudem stehen dem zu Unrecht Abgemahnten auch eigene Schadensersatzansprüche gegen den Abmahnenden zu, die sich unter anderem aus den im Rahmen der Rechtsverteidigung notwendigen Kosten zur Abwehr der geltend gemachten Ansprüche ergeben können.

Dabei sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, sodass die Möglichkeit einer Gegenabmahnung stets von einem Rechtsanwalt geprüft werden sollte.

V. Vorsicht vor weiteren Sanktionsmöglichkeiten bei berechtigter Abmahnung

Sollte eine Abmahnung doch einmal begründet sein, muss der berechtigt Abgemahnte nicht nur mit zivilrechtlichen, sondern unter Umständen auch mit ordnungsrechtlichen Konsequenzen und/oder behördlichen Bußgeldern aufgrund eines Verstoßes gegen das BFSG rechnen. Die verschiedenen Sanktionsmöglichkeiten im Falle eines BFSG-Verstoßes haben wir bereits im ersten Teil unserer IP-Update-Reihe zum BFSG erläutert.

Eine berechtigte Abmahnung sollte daher stets zum Anlass genommen werden, die betroffene Webseite schnellstmöglich zu überarbeiten, um weitere Sanktionen zu vermeiden.

VI. Abmahnung vermeiden

Um das Risiko einer Abmahnung aufgrund eines (vermeintlichen) BFSG-Verstoßes zu minimieren, raten wir betroffenen Webseitenbetreibern dringend dazu, Webseiten möglichst zeitnah BFSG-konform (um) zu gestalten, sofern dies noch nicht geschehen ist. Da die Vorschriften des BFSG bereits seit dem 28. Juni 2025 gelten, sind Wirtschaftsakteure bereits seit dem Stichtag verpflichtet, die betroffenen Waren und Dienstleistungen barrierefrei anzubieten bzw. zu erbringen.  Eine weitere Umsetzungsfrist für die betroffenen Waren und Dienstleistungen sieht das BFSG – bis auf wenige Ausnahmen – nicht vor, sodass im Grundsatz bereits heute die Barrierefreiheit von Webseiten gewährleistet sein muss. In der Konsequenz müssen Webseitenbetreiber auch heute schon damit rechnen, aufgrund von BFSG-Verstößen abgemahnt zu werden.

Sollten Webseitenbetreiber sich noch nicht mit der Thematik auseinandergesetzt haben, empfehlen wir, umgehend prüfen zu lassen, ob die betriebene Webseite in den Anwendungsbereich des BFSG fällt und sofern dies der Fall ist, sich zeitnah mit dem technischen Verantwortlichen der Webseite im Hinblick auf die Erfüllung der WCAG 2.1-Kriterien in mindestens Level AA abzustimmen.

Daneben müssen betroffene Webseitenbetreiber auch eine Barrierefreiheitserklärung auf der Webseite in einem barrierefreien Format zur Verfügung stellen, die den Anforderungen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 BFSG i. V. m. Anlage 3 zum BFSG genügt.  

Sollte Ihnen einen Abmahnung wegen eines (angeblichen) BFSG-Verstoßes vorliegen oder sollten Sie Unterstützung bei der barrierefreien Gestaltung Ihrer Webseite oder der Erstellung einer Barrierefreiheitserklärung benötigen, beraten wir Sie selbstverständlich gerne zu allen Fragen rund um das Thema Barrierefreiheit.

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