EuGH: Versicherer und Vergleichsportal/Vermittler für Versicherungen sind keine Mitbewerber
Update IP, Media & Technology Nr. 122
Anfang Mai 2025 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) (Urteil vom 8. Mai 2025; Rechtssache C 697-23), dass ein deutscher Versicherer und ein deutsches Online-Vergleichsportal für Versicherungen, das Versicherungen nicht nur vergleicht, sondern auch vermittelt, keine Mitbewerber im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (Richtlinie 2006/114) sind.
Auf den ersten Blick überrascht diese Entscheidung, weil das Ergebnis – scheinbar – nicht mit der eher großzügigen Praxis eines weiten Mitbewerberbegriffs im deutschen Recht vereinbar ist. Bei genauerer Betrachtung wird sich diese Entscheidung richtigerweise nur in engen Grenzen auswirken. Denn der EuGH entschied eine Sonderkonstellation im Bereich der vergleichenden Werbung und kam deshalb zu einer erforderlichen engen unionrechtskonformen Auslegung des Begriffs „Mitbewerber“.
Ausgangsfall
Anlass der Entscheidung des EuGH war eine Frage des Landgerichts München I an den EuGH zur Auslegung europäischen Rechts in einem deutschen Rechtsstreit. Im am Landgericht München I anhängigen Rechtsstreit klagte ein deutsches Versicherungsunternehmen wegen unzulässiger vergleichender Werbung gegen ein Online-Vergleichsportal für Versicherungen. Dieses Online-Vergleichsportal bietet seinen Nutzern die Möglichkeit, Versicherungsangebote zu vergleichen. Neben weiteren Kriterien stellt das Online-Vergleichsportal dabei eine sogenannte „Tarifnote“ (1,0 bis 4,0), eine eigene Bewertung des Versicherungsprodukts, auf der Ergebnisseite heraus. Gleichzeitig erhalten die Nutzer die Möglichkeit, Versicherungsverträge über die jeweiligen verglichenen Produkte der Versicherer abzuschließen.
Das Versicherungsunternehmen ist der Ansicht, u. a. die Tarifnotendarstellung im Vergleich der Produkte seien eine unzulässige vergleichende Werbung. Es handele sich um reine Werturteile. Werturteile dürften kein Gegenstand vergleichender Werbung sein. Das Versicherungsunternehmen wirft dem Online-Vergleichsportal damit vor, es verstoße gegen § 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Danach handelt unlauter, wer vergleichend wirbt, wenn der Vergleich nicht objektiv auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften oder den Preis der Waren oder Dienstleistungen bezogen ist. § 6 UWG geht auf die Richtlinie 2006/114 zurück. Daher bat das Landgericht München I den EuGH um Auslegung dieser Richtlinie. Im Kern fragte es den EuGH, ob eine zulässige vergleichende Werbung auch dann vorliegen kann, wenn der Vergleich in Form eines Benotungssystems erfolgt (Landgericht München I, Beschluss vom 7.11.2023, Aktenzeichen: 1 HK O 5720/21).
Entscheidung des EuGH
Diese vorgelegte Frage beantwortete der EuGH indes nicht. Vielmehr entschied er, dass in diesem Fall schon deshalb keine „vergleichende Werbung“ im Sinne der Richtlinie vorliegt, weil die Parteien keine Mitbewerber seien – was das Landgericht aber noch zu prüfen habe. Das Online-Vergleichsportal sei kein Mitbewerber des Versicherungsunternehmens. Dies gelte auch, soweit es Versicherungen vermittelt. Die Frage des Landgerichts stellte sich für den EuGH damit gar nicht mehr. Denn wenn die Parteien schon keine Mitbewerber sind, liegt auch keine vergleichende Werbung im Sinne der Richtlinie vor. Vergleichende Werbung im Sinne der Richtlinie 2006/114 ist – nur – jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht, Art. 2 Buchst. c Richtlinie 2006/114. Voraussetzung für die Mitbewerbereigenschaft in Bezug auf vergleichende Werbung ist nach dem EuGH, die Substituierbarkeit der Waren oder Dienstleistungen, die die Unternehmen auf dem Markt anbieten (so bereits EuGH, Urteil vom 19. April 2007, C-381/05 = GRUR 2007, 511 Rn. 28 – De Landtsheer Emmanuel). Dies sei der Grund, warum Art. 4 der Richtlinie 2006/114 auf „Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung“ abstellt.
Davon ausgehend sind die Dienstleistungen des Versicherungsunternehmens und des Online-Vergleichsportals für den EuGH nicht substituierbar. Denn während das Versicherungsunternehmen Versicherungen anbiete, biete das Online-Vergleichsportal keine eigenen Versicherungen an, sondern beschränke sich darauf, fremde Versicherungsdienstleistungen zu vergleichen und gegebenenfalls einen Vertragsschluss als Vermittler zu ermöglichen. Als Vermittler von Versicherungsdienstleistungen erbringe das Online-Vergleichsportal weder Versicherungsdienstleistungen noch verfüge es über sie. Die Parteien seien damit auf „unterschiedlichen Dienstleistungsmärkten tätig“.
Reichweite des Mitbewerberbegriffs
Der vom EuGH angewandte unionsrechtliche Mitbewerberbegriff ist damit enger gefasst als der weitere Mitbewerberbegriff nach der Legaldefinition im deutschen Recht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG. Danach ist „Mitbewerber“ jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Nach diesem weiteren Begriff können auch Versicherer und Versicherungsmakler (also gleichfalls Vermittler) Mitbewerber sein. Würde man diesen Mitbewerberbegriff zugrunde legen, wären das Versicherungsunternehmen und das Online-Vergleichsportal – jedenfalls soweit es Versicherungen vermittelt – Mitbewerber.
Aufgrund der Vorgabe der Richtlinie ist der Begriff „Mitbewerber“ im Sinne des auf der Richtlinie beruhenden § 6 UWG richtlinienkonform auszulegen. Es kommt damit allein auf den engeren unionsrechtlichen Mitbewerberbegriff an. Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt darin nicht. Der Bundesgerichtshof geht zwar von einer einheitlichen, weiten Auslegung des Begriffs „Mitbewerber“ im deutschen Recht aus. Er erkennt jedoch dann Ausnahmen dazu – beispielsweise im Rahmen des § 6 UWG – an, soweit eine richtlinienkonforme Auslegung dies erfordert (BGH, Urteil vom 5.11.2020, Aktenzeichen: I ZR 234/19 = GRUR 2021, 497 Rn. 40 – Zweitmarkt für Lebensversicherungen).
Ausblick und Praxishinweis
Wie der EuGH ausführt, hat das Landgericht München I nun genauer zu prüfen, ob die jeweiligen Dienstleistungen – insbesondere Versicherungsdienstleistungen und Vermittlung von Versicherungsdienstleistungen – substituierbar sind. Der EuGH legte sich hier bereits mit Blick auf den Akteninhalt fest. Es bleibt abzuwarten, ob das Landgericht München I dessen Argumentation folgen wird. Dabei wird es auch zu berücksichtigen haben, ob es für Verbraucher im Internet tatsächlich einen Unterschied macht, einen Versicherungsvertrag direkt über die Webseite des Versicherers abzuschließen oder dies einem Link von einem Vergleichsportal, Makler o. ä. aus folgend, geschieht. Nur in dieser eher formellen Hinsicht unterscheiden sich die Online-Angebote und die jeweiligen Leistungen. Ob Verbraucher insoweit – wie der EuGH – von „unterschiedlichen Dienstleistungsmärkten“ eines Versicherungsunternehmens und eines Vermittlers von Versicherungsdienstleistungen sprechen würden, erscheint jedenfalls sehr zweifelhaft. Würden für Verbraucher insoweit keine Unterschiede bestehen, dürften die Leistungen insoweit substituierbar und die Parteien damit Mitbewerber sein.
Die Entscheidung zeigt, dass in der Praxis weiterhin genau zu prüfen ist, welcher der Mitbewerberbegriffe mit welcher Reichweite richtigerweise im Einzelfall anzuwenden ist. Der der Entscheidung des EuGH zugrundeliegende Sachverhalt zeigt anschaulich, wie fallentscheidend dies sein kann.