Neue Pläne der EU-Kommission: Der Digital Fairness Act
Update Datenschutz Nr. 211
Digitale Geschäftsmodelle, Plattformökonomien und datenbasierte Vertriebsstrategien prägen zunehmend den europäischen Verbrauchermarkt. Damit entstehen neue Anforderungen an den rechtlichen Rahmen, insbesondere im Hinblick auf Transparenz, Fairness und Durchsetzbarkeit. Vor diesem Hintergrund plant die Europäische Kommission die Einführung eines Digital Fairness Act (DFA), der bestehende Verbraucherschutzvorgaben an digitale Marktbedingungen anpassen soll.
Im Folgenden werden die Hintergründe und Zielsetzungen des DFA erläutert – insbesondere auf Grundlage des 2024 veröffentlichten Fitness Checks zur digitalen Fairness – und die voraussichtlichen Auswirkungen für Unternehmen eingeordnet.
I. Ausgangspunkt
Die Initiative zum Digital Fairness Act geht unmittelbar auf den von der Europäischen Kommission im Oktober 2024 veröffentlichten Fitness Check des EU-Verbraucherrechts im digitalen Umfeld zurück. Ziel dieser Evaluierung war es, die Wirksamkeit der geltenden Richtlinien – insbesondere der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UCPD), der Verbraucherrechte-Richtlinie (CRD) und der Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln (UCTD) – im Hinblick auf aktuelle digitale Marktbedingungen zu überprüfen.
Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die bestehenden Regelwerke trotz ihrer prinzipienbasierten und technologieoffenen Ausgestaltung in der Praxis nicht ausreichen, um neue digitale Geschäftsmodelle und problematische Marktpraktiken effektiv zu erfassen. Dabei zeigt sich insbesondere, dass manipulative Interface-Gestaltungen, intransparente Kündigungsprozesse und algorithmisch gesteuerte Vertragsabschlüsse in zunehmendem Maße zu Verbraucherschäden führen. So hat sich der finanzielle Schaden, der Verbraucherinnen und Verbrauchern im digitalen Raum jährlich entsteht, nach Schätzung der Kommission seit 2017 nahezu verdoppelt. Gleichzeitig fehlt es an klaren rechtlichen Maßstäben und einheitlicher Durchsetzung innerhalb der Mitgliedstaaten, was zu Rechtsunsicherheiten sowohl auf Verbraucher- als auch auf Unternehmensseite führt.
Der Digital Fairness Act soll diese Lücken adressieren und einen kohärenten, vollzugsfähigen Rechtsrahmen für den digitalen Verbraucherschutz schaffen. Dabei steht nicht eine grundlegende Neuausrichtung des Verbraucherrechts im Vordergrund, sondern vielmehr dessen gezielte Anpassung an aktuelle digitale Herausforderungen.
II. Rechtlicher Rahmen des DFA
Der Digital Fairness Act wird als gezielte Weiterentwicklung des bestehenden EU-Verbraucherschutzrechts konzipiert. Er soll an bestehende Richtlinien – insbesondere die UCPD, CRD und UCTD – anknüpfen und diese um konkrete Vorgaben für den digitalen Kontext ergänzen. Anders als sektorspezifische Rechtsakte wie der Digital Services Act (DSA), der Digital Markets Act (DMA) oder der AI Act verfolgt der DFA einen querschnittlichen Ansatz. Er soll sicherstellen, dass Verbraucherrechte unabhängig vom eingesetzten Geschäftsmodell oder der technologischen Ausgestaltung durchsetzbar bleiben. Ziel ist ein konsistenter Rechtsrahmen, der digitale und analoge Verbraucherschutzstandards gleichermaßen garantiert.
Im Mittelpunkt des Regelungsvorhabens stehen konkrete Problemfelder, die im Rahmen des Fitness Checks identifiziert wurden. Dazu zählt insbesondere die Bekämpfung manipulativer Gestaltungselemente in digitalen Nutzeroberflächen („Dark Patterns“), etwa bei der Gestaltung von Bestell- und Kündigungsprozessen. Der DFA soll klare Kriterien definieren, wann eine Interface-Gestaltung unzulässig ist, und dabei über die bisherigen Generalklauseln der UCPD hinausgehen.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Transparenz personalisierter Geschäftsmodelle. Die zunehmende Nutzung von Nutzerdaten für personalisierte Werbung, Preisgestaltung und Produktempfehlungen wirft Fragen nach der Fairness datengetriebener Entscheidungsprozesse auf. Der DFA soll hierzu präzisere Informationspflichten einführen und sicherstellen, dass Verbraucher nachvollziehen können, ob und in welcher Form eine Personalisierung erfolgt.
Auch automatisierte Vertragsabschlüsse, etwa durch KI-gestützte Systeme oder Chatbots, stehen im Fokus. Hier geht es um die Sicherstellung von Transparenz und Rücktrittsmöglichkeiten, insbesondere wenn keine bewusste Willenserklärung im klassischen Sinn abgegeben wird. Ergänzend dazu werden Anforderungen an die Gestaltung digitaler Abonnementmodelle und die einfache Ausübung von Kündigungsrechten vorgesehen.
Schließlich ist die Stärkung der Rechtsdurchsetzung ein zentrales Anliegen. Der DFA soll dazu beitragen, die Kohärenz zwischen den Mitgliedstaaten zu erhöhen, und bestehende Instrumente – etwa im Rahmen des CPC-Netzwerks (Consumer Protection Cooperation Network – ein Netzwerk nationaler Durchsetzungsbehörden zum Verbraucherschutz beim grenzüberschreitenden Einkauf innerhalb der EU) oder der Richtlinie über Verbandsklagen – effektiver nutzbar machen.
III. Auswirkungen auf Unternehmen
Für Unternehmen, die digitale Produkte oder Dienstleistungen im B2C-Bereich anbieten, wird der Digital Fairness Act voraussichtlich mit erhöhten Compliance-Anforderungen einhergehen. Zwar stellt der DFA keine vollständige Neuregelung des Verbraucherrechts dar, doch wird er in mehreren zentralen Bereichen zu einer Konkretisierung und Erweiterung bestehender Pflichten führen – insbesondere dort, wo bisher Generalklauseln angewendet wurden.
Ein zentrales Handlungsfeld wird die Gestaltung digitaler Nutzeroberflächen sein. Unternehmen müssen künftig sicherstellen, dass Gestaltungselemente wie Schaltflächen, Auswahlprozesse oder Kündigungsfunktionen nicht irreführend, überkomplex oder manipulierend wirken. Dies betrifft insbesondere das Design von Bestellvorgängen, Cookie-Bannern, Abonnementmodellen sowie Einwilligungsprozessen. Bestehende UX-Designs werden daher vielfach zu überarbeiten sein, um dem angestrebten Transparenz- und Fairnessstandard zu genügen.
Darüber hinaus dürften neue Informationspflichten bei personalisierten Angeboten hinzukommen. Unternehmen, die algorithmische Systeme zur Preis- oder Angebotsgestaltung einsetzen, müssen mit strengeren Transparenzanforderungen rechnen – sowohl hinsichtlich der Verwendung personenbezogener Daten als auch der Kriterien, nach denen Empfehlungen oder Rankings erstellt werden. Auch dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Rechts-, IT- und Produktabteilungen.
Zudem ergeben sich potenzielle Anpassungserfordernisse bei automatisierten Vertragsschlüssen, etwa im Rahmen von Chatbots oder sprachgesteuerten Assistenten. Unternehmen werden prüfen müssen, ob ihre Systeme den Anforderungen an eine wirksame Willenserklärung, an Informationsklarheit und an Rücktrittsmöglichkeiten genügen.
Nicht zuletzt ist mit einer verstärkten behördlichen und verbandsseitigen Kontrolle zu rechnen. Der DFA dürfte bestehende Vollzugsinstrumente wie das CPC-Netzwerk oder kollektive Rechtsdurchsetzungsmechanismen aufwerten. Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass digitale Prozesse künftig verstärkt Gegenstand koordinierter Durchsetzungsmaßnahmen und gerichtlicher Überprüfungen sein werden.
IV. Fazit
Mit dem Digital Fairness Act zeichnet sich eine gezielte Weiterentwicklung des europäischen Verbraucherschutzrechts ab, die insbesondere auf digitale Marktpraktiken reagiert. Für Unternehmen ergibt sich daraus kein grundlegend neues Regelungsregime, wohl aber die Notwendigkeit, bestehende digitale Prozesse, Nutzeroberflächen und datenbasierte Geschäftsmodelle auf ihre Vereinbarkeit mit künftig präzisierten rechtlichen Anforderungen zu überprüfen.
Gerade in Bereichen wie der Gestaltung von Interfaces, der Nutzung personalisierter Angebote oder dem Einsatz automatisierter Systeme sind detaillierte Regelungen zu erwarten, deren Auslegung und Umsetzung unternehmensspezifische Beurteilungen erfordert. Um rechtzeitig potenzielle Risiken zu identifizieren und Anpassungsbedarf zu adressieren, empfiehlt es sich, die Entwicklungen frühzeitig und systematisch zu begleiten – idealerweise im Zusammenspiel von Produktentwicklung, Datenschutz, IT und Recht. So lässt sich nicht nur regulatorische Sicherheit schaffen, sondern auch ein wettbewerblicher Vorteil im zunehmend regulierten digitalen Binnenmarkt erzielen.