BGH bestätigt Anwendbarkeit des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) auch auf Online-Coaching und Mentoring – Keine Beschränkung auf Verbraucher
Update IP, Media & Technology Nr. 123
Hintergrund und Anlass der Entscheidung
Mit Urteil vom 12. Juni 2025 (III ZR 109/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine für die Coaching- und Weiterbildungsbranche wegweisende Entscheidung getroffen. Im Zentrum stand die Frage, ob ein Online-Mentoring-Programm, das ohne behördliche Zulassung nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) angeboten wurde, nichtig ist und ob der Teilnehmer die gezahlte Vergütung zurückfordern kann. Der Kläger hatte an einem hochpreisigen, neunmonatigen Business-Mentoring-Programm teilgenommen und nach Kündigung die Rückzahlung der bereits gezahlten Kursgebühr verlangt. Die Beklagte verfügte über keine Zulassung nach § 12 FernUSG.
Kernaussagen des Urteils
1. Anwendbarkeit des FernUSG auf Online-Coaching und Mentoring
Der BGH stellt klar, dass das FernUSG auch auf Online-Coaching- und Mentoring-Programme Anwendung findet, sofern die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 FernUSG erfüllt sind. Entscheidend ist, dass es sich um die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten handelt, bei der Lehrende und Lernende überwiegend räumlich getrennt sind und eine Überwachung des Lernerfolgs stattfindet. Die Vermittlung von „jeglichen“ Kenntnissen und Fähigkeiten – unabhängig von deren Qualität oder Inhalt – genügt. Auch Programme, die sich an Unternehmer richten und auf Persönlichkeitsentwicklung, Mindset oder unternehmerische Fähigkeiten abzielen, fallen darunter, sofern die Wissensvermittlung im Vordergrund steht.
2. Räumliche Trennung und Online-Formate
Der BGH bejaht die räumliche Trennung auch bei Online-Formaten. Selbst synchrone Online-Meetings (z. B. Live-Calls), die aufgezeichnet und später abrufbar sind, werden als asynchroner Unterricht gewertet, da sie zeitversetzt konsumiert werden können. Damit sind die meisten Online-Coaching-Programme, die auf Video-Lektionen, Online-Meetings und digitale Begleitung setzen, als Fernunterricht im Sinne des FernUSG einzuordnen.
3. Überwachung des Lernerfolgs
Die Schwelle für die „Überwachung des Lernerfolgs“ ist niedrig: Es genügt, wenn der Teilnehmer die Möglichkeit hat, in Online-Meetings, per E-Mail oder in Gruppen Fragen zu stellen und so eine individuelle Lernkontrolle herbeizuführen. Auch das Stellen und Bearbeiten von Hausaufgaben spricht für eine Lernerfolgsüberwachung.
4. Keine Beschränkung auf Verbraucher
Der BGH lehnt eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des FernUSG auf Verbraucher (§ 13 BGB) ab. Auch Unternehmer, die ein Fernunterrichtsangebot buchen, sind vom Schutzbereich des Gesetzes umfasst. Der Gesetzeswortlaut und die Systematik sprechen für ein gegenstandsbezogenes Schutzkonzept, das nicht an die Person des Teilnehmers, sondern an die Art des Vertrags anknüpft.
5. Rechtsfolge
Nichtigkeit und Rückzahlungsanspruch: Fehlt die erforderliche Zulassung nach § 12 FernUSG, ist der Vertrag gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig. Der Teilnehmer kann die gezahlte Vergütung vollständig zurückfordern. Ein Wertersatzanspruch des Anbieters kommt nur in Betracht, wenn dieser konkret darlegt, dass der Teilnehmer durch die erbrachten Leistungen Aufwendungen erspart hat – was im entschiedenen Fall nicht gelungen ist.
Praktische Auswirkungen und Empfehlungen
- Anbieter von Online-Coaching, Mentoring und vergleichbaren Programmen müssen prüfen, ob ihr Angebot als Fernunterricht im Sinne des FernUSG einzustufen ist. Ist dies der Fall, ist eine behördliche Zulassung nun zwingend erforderlich – unabhängig davon, ob sich das Angebot an Verbraucher oder Unternehmer richtet.
- Verträge ohne Zulassung sind nichtig. Teilnehmer können gezahlte Entgelte zurückfordern, ohne Wertersatz leisten zu müssen, sofern der Anbieter keine konkreten Ersparnisse des Teilnehmers nachweist.
- Die Entscheidung betrifft einen Großteil der am Markt befindlichen Online-Coaching-Programme, insbesondere solche mit standardisierten Lerninhalten, regelmäßigen Online-Meetings und Lernerfolgskontrolle.
- Individuelle Beratungsleistungen ohne vordefinierte Lernziele und ohne Überwachung des Lernerfolgs können unter Umständen aus dem Anwendungsbereich des FernUSG herausfallen. Die Abgrenzung bleibt jedoch im Einzelfall schwierig.
Fazit
Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Anforderungen an Online-Coaching- und Mentoring-Angebote erheblich verschärft und den Anwendungsbereich des FernUSG weit gefasst. Anbieter sind gut beraten, ihre Programme und Vertragsgestaltung sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls eine Zulassung zu beantragen, um erhebliche Rückzahlungsrisiken und die Nichtigkeit ihrer Verträge zu vermeiden. Die Entscheidung sorgt für mehr Rechtssicherheit, stellt aber auch hohe Anforderungen an die Branche.