Neue Pläne der EU-Kommission: Der Digital Networks Act
Update Datenschutz Nr. 217
Europas neuer Regulierungsrahmen für digitale Netze wird die Telekommunikationsbranche grundlegend verändern.
Digitale Infrastrukturen bilden das Rückgrat eines wettbewerbsfähigen und souveränen Europas. Doch der bestehende Ordnungsrahmen für Telekommunikationsnetze stößt zunehmend an seine Grenzen: Unkoordinierte Frequenzvergaben, schleppender Glasfaserausbau, Sicherheitsrisiken im 5G-Umfeld und geopolitische Spannungen zeigen Reformbedarf auf. Vor diesem Hintergrund plant die Europäische Kommission bis Ende 2025 die Einführung eines Digital Networks Act (DNA). Ziel ist ein moderner, investitionsfreundlicher und sicherer Regulierungsrahmen für die digitale Konnektivität der EU als Nachfolger des geltenden Kodexes für elektronische Kommunikation und strategische Antwort auf aktuelle Herausforderungen.
Im Folgenden werden die regulatorischen Ausgangsbedingungen und Zielsetzungen des DNA erläutert, die sich insbesondere aus der laufenden Evaluierung des Europäischen Kodexes für elektronische Kommunikation (EECC), dem Telekom-Whitepaper der Kommission und flankierenden Studien ergeben.
I. Ausgangspunkt
Die Initiative zum Digital Networks Act ist Teil einer umfassenden Neujustierung europäischer Netzpolitik. Ausgangspunkt ist die Feststellung der Kommission, dass der bestehende Regulierungsrahmen inklusive der 2018 eingeführten EECC-Richtlinie seinen strategischen Zielen nicht hinreichend gerecht wird. Trotz weitreichender Vorgaben zur Förderung sehr leistungsfähiger Netzwerke, zur Harmonisierung der Spektrumspolitik und zur Stärkung des Wettbewerbs blieb die praktische Umsetzung in vielen Mitgliedstaaten hinter den Erwartungen zurück.
In der Folge hat sich ein komplexes Problemfeld herausgebildet: So ist der flächendeckende Glasfaserausbau ebenso ins Stocken geraten wie die europaweit koordinierte Einführung von 5G- und perspektivisch 6G-Technologien. Investitionshemmnisse und regulatorische Unsicherheiten belasten die Branche ebenso wie nationale Alleingänge bei der Vergabe und Nutzung von Frequenzen. Hinzu kommen ungelöste Fragen zur Cybersicherheit von Netzkomponenten, insbesondere im Hinblick auf Hochrisikoanbieter aus Drittstaaten, sowie zunehmende sicherheitspolitische Herausforderungen im Bereich der transnationalen Unterseekabelinfrastruktur.
Ein weiterer zentraler Konfliktpunkt ist das Verhältnis zwischen Netzbetreibern und großen digitalen Plattformen. Während Telekommunikationsunternehmen auf eine finanzielle Beteiligung großer Inhalteanbieter an den stetig steigenden Netzkosten drängen, warnt ein Teil der Politik und Zivilgesellschaft vor einer Einschränkung der Netzneutralität und funktionierender Marktmechanismen.
Mit dem DNA strebt die Kommission eine effizientere, kohärentere und rechtssichere Regulierung der europäischen Netzwerke an, um Investitionen zu beschleunigen, Sicherheitsrisiken zu minimieren und die Handlungsfähigkeit der EU in strategisch sensiblen Infrastrukturbereichen zu stärken. Dabei soll der DNA nicht nur technische Vorgaben modernisieren, sondern auch strukturelle Anreize für Wettbewerb, Innovation und grenzüberschreitende Konnektivität schaffen mit dem Ziel, digitale Netzwerke als kritische Infrastruktur der Zukunft zu sichern.
II. Wesentliche Inhalte
Vor dem Hintergrund dieser strukturellen Herausforderungen konkretisiert der Digital Networks Act eine Vielzahl regulatorischer Reformvorhaben, mit denen die Europäische Kommission auf die Versäumnisse der bisherigen Rahmenordnung reagiert. Dabei zielt der DNA nicht auf eine vollständige Neuausrichtung, sondern auf eine gezielte Weiterentwicklung und Vereinheitlichung bestehender Regelungen insbesondere durch die Ablösung der EECC-Richtlinie zugunsten einer unmittelbar wirkenden Rechtsverordnung.
Die inhaltlichen Schwerpunkte des Gesetzesvorhabens lassen sich in fünf zentrale Reformbereiche untergliedern:
1. Kupferabschaltung und beschleunigter Glasfaserausbau
Ein zentrales Ziel des DNA ist die systematische Migration von Kupfer- auf Glasfasernetze. Die Kommission strebt eine flächendeckende Deaktivierung bestehender Kupferinfrastrukturen bis 2030 an mit einem Zwischenziel von 80 % der Anschlüsse bis 2028. Diese Maßnahme dient nicht nur der Energieeffizienz, sondern vor allem der Konsolidierung investitionsfreundlicher Marktstrukturen zugunsten moderner Very-High-Capacity-Networks (VHCN). Gleichzeitig betont die Kommission die Notwendigkeit eines sozialverträglichen Übergangs und will Verbraucherinteressen durch abgestufte Fristen und flankierende Schutzmechanismen wahren.
2. Harmonisierung der Frequenzpolitik und Spektrumverwaltung
Ein weiterer Kernbereich betrifft die EU-weite Koordinierung der Vergabe und Nutzung von Funkspektren, insbesondere im Hinblick auf 5G, 6G und Satellitenkommunikation. Der DNA dürfte vorschlagen, zeitlich abgestimmte Auktionen, verlängerte Lizenzlaufzeiten und eine „Use-it-or-lose-it“-Klausel einzuführen, um brachliegende Ressourcen zurückzuführen. Die Kommission prüft zudem ein EU-einheitliches Genehmigungsverfahren („country of origin“-Prinzip) für Core-Netzbetreiber, um grenzüberschreitende Skaleneffekte zu ermöglichen. Diese Maßnahmen zielen auf eine effizientere Allokation knapper Frequenzressourcen und die Förderung eines europäischen Netzausbaus aus einem Guss.
3. Cybersicherheit und Ausschluss Hochrisikoanbieter
Im Bereich der Netzsicherheit verfolgt der DNA das Ziel, einheitliche und bindende Anforderungen zur Absicherung kritischer Komponenten (insbesondere bei 5G/6G-Netzen) zu etablieren. Dabei steht insbesondere der Ausschluss sogenannter Hochrisikoanbieter (High-Risk Vendors, HRV) wie Huawei und ZTE im Fokus. Vorgesehen ist ein abgestuftes Maßnahmenpaket, das auf eine verpflichtende EU-weite Sicherheitszertifizierung hinauslaufen könnte. Flankierend wird die Überarbeitung des Cybersecurity Acts angestrebt, um die Transparenz und Wirksamkeit bestehender Instrumente zu erhöhen
4. Souveränität und Resilienz der Unterseekabelinfrastruktur
Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen misst der Digital Networks Act der Sicherung und strategischen Steuerung von Unterseekabelverbindungen eine besondere Bedeutung bei. Die Europäische Kommission erwägt den Aufbau eines unionsweiten Governance-Systems für submarine Netze, das sowohl eine zentrale Projektklassifizierung in Form einer Liste „Cable Projects of European Interest“ (CPEI) als auch gezielte Investitionen in Wartungs- und Reparaturkapazitäten umfasst. Flankiert werden soll dieses Vorhaben durch die Entwicklung einheitlicher Sicherheitsstandards für submarine Kabelsysteme. Ziel ist es, die technologische Souveränität Europas zu festigen und gleichzeitig sicherzustellen, dass diese kritische Kommunikationsinfrastruktur wirksam gegen Sabotageakte, Spionage und hybride Bedrohungen geschützt werden kann.
5. Netzkostenbeiträge und Fairness im Plattformverkehr
Die kontrovers diskutierte Frage der Kostenbeteiligung großer Inhalteanbieter (Large Traffic Generators, LTG) wie Netflix, Meta oder Google an der Finanzierung der Netzinfrastruktur könnte im DNA nicht durch direkte Abgaben, sondern durch die Einrichtung eines Streitbeilegungsmechanismus adressiert. Geplant ist eine Verfahrensordnung, in der nationale Regulierungsbehörden oder BEREC bei festgefahrenen Verhandlungen zwischen Netzbetreibern und Plattformen vermitteln können. So soll einerseits die Vertragsfreiheit gewahrt, andererseits langwierige Gerichtsverfahren vermieden werden
III. Auswirkungen auf Unternehmen
Für Unternehmen aus dem Telekommunikations-, Infrastrukturbau- und Technologiesektor wird der Digital Networks Act weitreichende rechtliche und wirtschaftliche Implikationen mit sich bringen. Auch wenn der DNA keine vollständige Neuordnung des Rechtsrahmens darstellt, wird er in zentralen Bereichen neue regulatorische Anforderungen und Pflichten schaffen, verbunden mit erheblichen Anpassungserfordernissen auf operativer, technischer und strategischer Ebene.
Im Zusammenhang mit der vorgesehenen Kupferabschaltung müssen Netzbetreiber und Infrastrukturunternehmen frühzeitig Migrationspläne entwickeln, Kundenkommunikation vorbereiten, technische Übergangslösungen schaffen und dabei zugleich investitionsintensive Glasfaserprojekte forcieren. Die Kommission hat dabei zwar ein gestuftes Vorgehen angekündigt, doch werden sich Unternehmen insbesondere in weniger dicht besiedelten Regionen mit der Frage konfrontiert sehen, wie Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und regulatorische Konformität in Einklang gebracht werden können.
Auch die geplante Harmonisierung der Spektrumvergabe hat unmittelbare Folgen für Marktakteure. Die Aussicht auf vereinheitlichte Lizenzbedingungen, längere Laufzeiten und ein mögliches EU-weites Genehmigungsmodell könnte zwar langfristig Skalenvorteile und Planungssicherheit schaffen, aber zugleich erfordert sie eine enge Beobachtung regulatorischer Entwicklungen in allen Mitgliedstaaten, insbesondere für Anbieter mit multinationalem Engagement. Unternehmen, die in grenzüberschreitenden Netzen oder satellitengestützten Diensten tätig sind, sollten daher frühzeitig ihre strategische Positionierung und Lizenzportfolios auf die erwarteten Vorgaben hin überprüfen.
Im Bereich der Netzsicherheit wird der DNA neue Maßstäbe setzen, die über bestehende nationale Sicherheitsregelungen hinausgehen dürften. Die Einführung einheitlicher Sicherheitszertifizierungen für Netzkomponenten insbesondere im sensiblen 5G- und später 6G-Umfeld sowie mögliche Ausschlusskriterien für Hochrisikoanbieter verlangen von Netzbetreibern und Zulieferern eine konsequente Neubewertung bestehender Lieferketten, Vertragsbeziehungen und Prüfprozesse. Gleichzeitig können Unternehmen mit EU-konformer Sicherheitsarchitektur und vertrauenswürdiger Lieferstruktur dies als Wettbewerbsvorteil nutzen.
In Bezug auf die submarine Netzinfrastruktur eröffnet der DNA neue Kooperations- und Förderperspektiven, etwa im Rahmen strategisch klassifizierter Projekte (CPEI) oder gemeinsamer europäischer Reparatur- und Schutzkapazitäten. Gerade für Anbieter von Tiefseeinfrastruktur, Wartungsdienstleister und sicherheitstechnologische Zulieferer könnten sich hier gezielte Chancen auf öffentlich kofinanzierte Projekte oder langfristige Partnerschaften mit öffentlichen Stellen ergeben.
Schließlich betrifft der DNA auch Anbieter digitaler Inhalte und Plattformdienste, wenn auch nicht in Form einer Abgabe, so doch über eine neue Verfahrensordnung zur Streitbeilegung bei Verkehrs- und Netzkostenfragen. Unternehmen mit hohem Datenaufkommen sollten sich darauf einstellen, dass künftig verstärkt regulatorisch moderierte Auseinandersetzungen mit Netzbetreibern geführt werden können, insbesondere wenn sich kommerzielle Einigungen verzögern. Die Ausgestaltung dieses Mechanismus bleibt zwar offen, doch ist mit zunehmender administrativer Komplexität zu rechnen, verbunden mit der Notwendigkeit, regulatorische Risiken und Compliance-Strukturen stärker in die strategische Vertragsgestaltung einzubeziehen.
IV. Fazit
Mit dem Digital Networks Act bringt die EU-Kommission einen Paradigmenwechsel in der Regulierung digitaler Infrastrukturen auf den Weg. Der Entwurf zielt auf verbindlichere Vorgaben, mehr Investitionssicherheit und eine stärkere europäische Koordinierung – von der Frequenzvergabe über Netzsicherheit bis hin zur Glasfasermigration.
Für Unternehmen bedeutet das: Bestehende Prozesse, Netzinfrastrukturen und Geschäftsmodelle müssen frühzeitig auf regulatorische Kompatibilität geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Wer sich jetzt strategisch positioniert, kann nicht nur Risiken minimieren, sondern auch gezielt von neuen Förder-, Kooperations- und Marktöffnungspotenzialen profitieren. Das gilt insbesondere für Betreiber, Ausrüster, Plattformanbieter und alle, die an zentraler digitaler Infrastruktur in Europa beteiligt sind.
Dieser Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit unserer stud. Mitarbeiterin Emily Bernklau erstellt.