Update IP, Media & Technology Nr. 110
Wonach haften Plattformbetreiber? – Das Verhältnis zwischen Art. 17 DSM-RL, UrhDaG und DSA
Das Urheber-Dienstanbieter-Gesetz (UrhDaG) trat in Deutschland im Jahre 2021 in Kraft und verkörpert seitdem den europäischen Art. 17 DSM-RL innerhalb der deutschen Rechtsordnung. Es ist nicht als eigenes urheberrechtliches Regelwerk zu verstehen, sondern stellt eine Ergänzung zu dem schon bestehenden deutschen Urheberrecht dar. Dabei fokussiert sich das UrhDaG speziell auf Urheberrechtsverletzung, die auf Online-Plattformen stattfinden.
Der Digital Service Act (DSA), der seit dem 14. Februar 2024 vollständig in Kraft ist und sich dementsprechend seinem Einjährigen nähert, hat sich zum Ziel gesetzt, ein sicheres vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld zu schaffen. Dabei werden den Plattforminhabern nicht selten gewichtige Prüfpflichten auferlegt, die bei Nichtbefolgung eine Haftung der Plattformen vorsehen.
Die beiden Regelungswerke überschneiden sich aufgrund der unmittelbaren Nähe ihrer Regelungsgegenstände zueinander nicht an wenigen Stellen.
Da stellt sich die Frage, wann haften Plattformbetreiber wonach?
I. Kollidierende Anwendungsbereiche
1. Anwendungsbereich des Art. 17 DSM-RL bzw. des UrhDaG
Sofern Nutzer unerlaubt urheberrechtlich geschützte Inhalte über einen Dienstanbieter veröffentlichen und damit der Öffentlichkeit zugänglich machen, macht Art. 17 Abs. 1 DSM-RL bzw. § 1 Abs. 1 UrhDaG den Dienstanbieter dafür verantwortlich. Eine mögliche Haftung nach Art. 17 DSM-RL bzw. nach dem UrhDaG erfordert allerdings zunächst, dass der sachliche und persönliche Anwendungsbereich eröffnet sind. In sachlicher Hinsicht findet das UrhDaG auf alle Geisteswerke der Urheberrechteinhaber Anwendung. Im Übrigen stellt § 21 Abs. 1 UrhDaG klar, dass das Gesetz auch auf dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte Anwendung findet. Persönlich betrifft das UrhDaG Dienstanbieter, die in § 2 Abs. 1 UrhDaG definiert werden. Danach sind Dienstanbieter Plattformen, deren hauptsächlicher oder zumindest teilweiser Zweck in der Speicherung oder Veröffentlichung einer großen Menge an hochgeladenen Inhalten Dritter liegt. Maßgeblich ist hierbei insbesondere die dauerhafte Speicherung der Inhalte. Sofern es um das bloße Streamen, Reposten, Teilen von Inhalten geht wird dies nicht vom UrhDaG erfasst. Es ist daher davon auszugehen, dass die großen Plattformen wie YouTube, TikTok, Facebook, Instagram und Pinterest unter das Haftungsregime des UrhDaG fallen.
2. Anwendungsbereich des DSA
§ 1 Abs. 1 DSA macht deutlich, dass sich dieses Regelungswerk an Vermittlungsdienste richtet. Es werden seitens des DSA den Vermittlungsdiensten besondere Sorgfaltspflichten auferlegt, die der Regulierung rechtswidriger Inhalte auf Online-Plattformen durch ihre Betreiber dienen sollen. Eine Legaldefinition der rechtswidrigen Inhalte findet sich in Art. 3 lit. h DSA. Nach der Vorschrift stellen alle Informationen, die im Widerspruch zum Unions- bzw. Recht des Mitgliedsstaates stehen, rechtswidrige Inhalte dar. Zudem normiert Erwägungsgrund 12 beispielhaft Urheberrechtsverletzungen, die auch tatsächlich sehr häufig zu der Löschung von Inhalten, die auf Online-Plattformen veröffentlicht wurden, führen.Wie ist abzugrenzen?
II. Wie ist abzugrenzen?
1. Abgrenzungsansätze
Es wird deutlich, dass sich die Anwendungsbereiche in vielerlei Hinsicht überschneiden, sofern es zumindest sachlich um die Verletzung von Urheberrechten Dritter auf Online-Plattformen geht. Grundsätzlich genießt der DSA als eine EU-Verordnung Vorrang gegenüber den mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen und damit geht der DSA auch dem UrhDaG vor. Der DSA solle die vollständige Harmonisierung der Vorschriften über Vermittlungsdienste herbeiführen. Er gilt unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat und verdrängt jegliches entgegenstehende mitgliedsstaatliche Recht. Dem könnte jedoch entgegenstehen, dass der DSA das unionsrechtliche Urheberrecht unberührt lassen solle. Insofern solle Art. 17 DSM-RL keine Einschränkung oder Verdrängung durch den DSA erfahren. Folglich stellt Art. 17 DSM-RL den Schlüssel zur Abgrenzung zwischen DSA und UrhDaG dar.
Aufgrund der Komplexität und Vielfalt der heutigen Unionsdigitalrechtsakte ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine starre Abgrenzung nach konkreten Vorgaben nur zu erheblichen Praxisproblemen führen würde. Die Praxis kann aktuell noch nicht auf ein solches Erfahrungsgut zurückgreifen, welches die Etablierung einer festen, starren und konkreten Abgrenzungslinie hier rechtfertigen würde. Da der deutsche Gesetzgeber dieses Abgrenzungsproblem durch die Streichung sich überschneidender Normen nicht erleichtert hat, muss vielmehr zunächst auf Abgrenzungsansätze vertraut werden, die weiterhin anpassungsfähig und flexibel sind.
Art. 17 DSM-RL kann insbesondere dann zu einer Anwendungseinschränkung des DSA führen, wenn es um Vorschriften auf dem Gebiet des Urheberrechts geht. Dies wird von Art. 2 Abs. 4 DSA klargestellt. Erwägungsgrund 10 DSA macht ferner deutlich, dass das übrige Unionsrecht immer dann unberührt bleibt, wenn es im Wesentlichen und Allgemeinen andere Aspekte als der DSA regelt oder die Vorschriften ergänzt. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass diese grundsätzlich nach Außen klar wirkende Abgrenzungslinie durch Erwägungsgrund 10 UAbs. 3 S. 4 DSA dahingehend korrigiert wird, dass Voranstehendes nicht gilt, sofern das andere Unionsrecht mit seiner Vorschrift und die einschlägige Vorschrift des DSA das gleiche Ziel verfolgen.
In diesem Fall kommt es maßgeblich darauf an, ob einer der beiden Fälle, in denen der DSA trotz eines anderen Regelungsgegenstandes oder einer Ergänzung vorrangig ist, vorliegt. Der DSA geht dem übrigen Unionsrecht im Falle der Verfolgung desselben Ziels immer dann vor, wenn es entweder um Fragen geht, die von dem anderen Unionsrecht nicht oder nicht vollständig geklärt wurden oder wenn der Unionsrechtsakt den Mitgliedstaaten einen gewissen Umsetzungsspielraum eingeräumt hat. Demnach bleibt die Anwendung des Art. 17 DSM-RL dann unberührt, wenn in ihm eine lex specialis zu sehen ist, was der Fall ist, wenn die Vorschrift im Vergleich zum DSA ein anderes Ziel verfolgt oder wenn der DSA über eine spezifischere und detailreichere Regelung verfügt. In diesem Zusammenhang lässt sich der der Begriff der sog. wechselseitigen Komplementarität einbringen, der das Verhältnis zwischen DSA und dem restlichen unionsrechtlichen Urheberrecht treffend umschreibt.
2. Ergebnis: Eine Abgrenzung in drei Schritten
Aus diesen Überlegungen ergeben sich im Ansatz drei Abgrenzungsstufen, mithilfe welcher sich das vorrangige Gesetz im Einzelfall ermitteln lässt.
Schritt 1: Inhaltliche Überschneidung zwischen UrhDaG und DSA
Zunächst ist festzustellen, ob die beiden Regelungswerke inhaltlich miteinander kollidieren und denselben Einzelfall jeweils selbstständig regeln. Sollte dies schon nicht der Fall sein, ist das Regelungswerk heranzuziehen, welches eine passende Vorschrift für den jeweiligen Einzelfall bieten kann.
Sofern eine inhaltliche Überschneidung festzustellen ist, ist im zweiten Schritt wie folgt fortzufahren.
Schritt 2: Unionsrechtlichen Grundlage für die Vorschrift des UrhDaG
Im zweiten Schritt ist die konkrete unionsrechtliche Grundlage zu ermitteln, auf die sich die bestimmte Vorschrift des UrhDaG stützt.
Schritt 3: Verhältnis zwischen unionsrechtlicher Regelung und dem DSA
Zuletzt ist das Verhältnis zwischen der unionsrechtlichen Vorschrift, insbesondere des Art. 17 DSM-RL, und dem DSA zu erörtern. Im Prinzip kommt es hier auf die vorgenannten Grundsätze an. Dementsprechend ist zu fragen, ob die DSM-RL den Mitgliedsstaaten einen gewissen Umsetzungsspielraum einräumen wollte. Sollte dies zu bejahen sein, ist der DSA von Anfang an anwendbar.
Wenn ein Umsetzungsspielraum allerdings nicht vorgesehen ist, ist sich allgemein zu fragen, welche Regelung spezifischer ist. Dabei ist zu betonen, dass der Wille des Gesetzgebers miteinbezogen werden sollte. Es ist herauszuarbeiten, ob der Gesetzgeber intendiert hat, eine auf die Besonderheiten des Urheberrechts bedachte Sonderregelung zu schaffen oder ob er vielmehr die allgemeinen Regelungen des DSA gelten lassen wollte.
III. Fazit
Ein bereichsspezifisches Regelungswerk ausschließlich für Dienstanbieter war mit der Schaffung des UrhDaG explizit von dem deutschen Gesetzgeber gewollt. Demgegenüber ist unklar, ob der Gesetzgeber auch mit einem solchen Abgrenzungsaufwand gegenüber dem DSA gerechnet hat. Heutzutage hat die Komplexität der Unionsdigitalrechtsakte andere Maßstäbe angenommen, sodass es zu höchstschwierigen Abgrenzungsfragen in der Praxis kommen kann. Im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen UrhDaG und DSA würde es daher nur zu weiteren Problemen und Unklarheiten kommen, wenn starre, unflexible sowie feste Abgrenzungsgrundsätze entwickelt werden. Der Praxis würde es an Raum fehlen, um Zeit und Erfahrung neue Grundsätze entwickeln zu lassen. Dementsprechend ist es vorzugswürdiger Leitlinien, wie sie oben dargestellt wurden, heranzuziehen, die die Abgrenzung zwischen dem DSA und dem UrhDaG erleichtern.
Nach alledem wird allerdings deutlich, dass es weitaus einfacher gewesen wäre, die sich überschneidenden Regelungen in Unionsnormen einzubringen und so eine Integration der Vorschriften in den DSA zu verwirklichen. Denn auch wenn die Leitlinien einen guten Ansatz für die Abgrenzung bringen, gehen diese sowohl flexiblen als auch anpassungsfähigen Abgrenzungslinien auf Kosten der Rechtssicherheit, die insofern diesbezüglich nicht gewährleistet werden kann. Es würde für Rechtsklarheit sorgen, wenn die Vorschriften des UrhDaG, welchen gegenüber der DSA Vorrang genießt, gestrichen werden würden. Alternativ könnte man nach dem Vorbild des Art. 3 EGBGB mit Verweisen im UrhDaG auf den DSA arbeiten, sollte dies im Interesse des inneren Zusammenhangs sein und der Verständlichkeit aufseiten der Adressaten dienen.
Große Dienstanbieter sind möglicherweise aufgrund spezialisierter Rechtsabteilungen in der Lage auch hier Rechtsklarheit bis zu einem gewissen Grad für sich zu schaffen und mithin mit der Abgrenzung zwischen DSA und UrhDaG umzugehen. Allerdings sieht dies ganz anders aus, wenn es um die Nutzer der Plattformen geht, für die der nicht vorhandene klare Anwendungsvorrang eines der Regelungswerke eine zum Teil unüberwindbare Hürde auf dem Weg, sich über die Rechtslage zu informieren, darstellt.
Es wäre daher sehr zu begrüßen, wenn der deutsche Gesetzgeber sich dafür entscheidet, innerhalb des UrhDaG deklaratorische Verweise auf den DSA einzufädeln, wie er es bereits in Art. 3 EGBGB getan hat.