Schon vergeben?

Der Vergaberecht-Podcast von Heuking Kühn Lüer Wojtek

Unter dem Titel „Schon vergeben – Der Vergaberecht-Podcast von Heuking Kühn Lüer Wojtek“ erklärt der Podcast alle zwei Wochen praxisnah und auch für Einsteiger verständlich die Grundzüge des Vergaberechts.

01.12.2022

Folge 30: Update Vergaberecht Dezember 2022

In der 30. Folge unseres Vergaberechts-Podcasts besprechen Dr. Ute Jasper und Rebecca Dreps aus vergaberechtlicher Sicht relevante aktuelle Entscheidungen und Entwicklungen.

Die besprochenen Urteile stellen wir Ihnen im Nachfolgenden gern kurz vor, jeweils mit einem Link zu unseren Urteilszusammenfassungen und den Volltexten. Wer nicht bis zur nächsten Update-Folge warten möchte, der melde sich gern unter schonvergeben(at)heuking.de für unseren Newsletter an.

Wir haben unser Update diesmal für Sie nach Themen geordnet:

  • Anwendbarkeit des Vergaberechts / Ausnahmetatbestände
  • Auslegung von Anforderungen an Angebote
  • Angebotsprüfung
  • Aufhebung
  • Rügen und Nachprüfungsverfahren

Und hier ein Überblick über alle besprochenen Entscheidungen. Für Details hören Sie gern rein oder schauen Sie in die verlinkten Urteilszusammenfassungen:

I.          Anwendbarkeit des Vergaberechts / Ausnahmetatbestände

1)         Eine Gemeinde hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen ihren Bürgermeister, wenn er seine Dienstpflichten während der Amtszeit verletzt hat - beispielsweise indem er es unterließ, gegen Vergabefehler einzuschreiten (VG Neustadt, 22.06.2022, 1 K 507/18)

Das VG Neustadt stellte fest, dass ein Bürgermeister in diesen Fällen zwar persönlich haftbar ist. Im konkreten Fall lehnte das Gericht die Haftung des Bürgermeisters aber ab. Denn im Zeitpunkt der Vergabe war der Bürgermeister noch nicht im Amt.

2)         Auftraggeber dürfen sich im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens nur unter engen Voraussetzungen an einen einzigen Wirtschaftsteilnehmer wenden (EuGH, 16.06.2022, C-376/21)

Der EuGH legte Art 32 Abs. 2 lit. a RL 2014/24/EU und bestätigte, dass für eine Direktvergabe kumulativ folgende Voraussetzungen gegeben sein müssen:

  1. Im offen oder nicht offenen Verfahren ist kein oder zumindest kein geeignetes Angebot eingegangen,
  2. die Bedingungen des gescheiterten Verfahrens wurden im nachfolgenden Verhandlungsverfahren nicht grundlegend geändert und
  3. der Auftraggeber muss imstande sein, der EU-Kommission einen Lagebericht vorzulegen.

3)         Zwingende Gründe für eine Dringlichkeitsvergabe liegen vor, wenn das bedrohte Rechtsgut schwerer wiegt als die Bedeutung eines regulären Vergabeverfahrens. Die Dringlichkeit ist dem Auftraggeber zurechenbar, wenn er ohne sachlichen Grund die Beschaffung eines offenkundigen Bedarfs hinauszögert (OLG Bremen, 01.04.2022, 2 Verg 1/21)

Der Auftraggeber vergab einen Auftrag zur Lieferung von Corona-Selbsttests per Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV für den Schulbetrieb. Das OLG Bremen bestätigte die Zulässigkeit der Direktvergabe. Das gefährdete Rechtsgut – der Schulbetrieb – wiege hier schwerer als der Zweck regulärer Vergabeverfahren. Die Dringlichkeit war auch nicht zurechenbar. Aufgrund des dynamischen Infektionsgeschehen war der Bedarf auch nicht vorhersehbar.

4)         Sind allein aufgrund von Fehlern in einem vorangegangenen Vergabeverfahren Leistungen schnell direkt zu vergeben, so darf sich der Auftraggeber hierauf nicht berufen (KG Berlin, 10.05.2022, Verg 1/22)

Das KG Berlin hat bestätigt, dass eine Dringlichkeitsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb nur zulässig ist, wenn dem öffentlichen Auftraggeber die Umstände, die die Eile begründen, nicht zuzurechnen sind. Dies ist aber der Fall, wenn die Dringlichkeit die Folge eines fehlerhaft betriebenen Vergabeverfahrens ist. Der Auftraggeber hat stets mit einer Verzögerung durch Nachprüfungsverfahren zu rechnen und sie in der Planung zu berücksichtigen.

5)         Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber ihn ohne Bekanntmachung im EU-Amtsblatt vergeben hat, ohne dass dies aufgrund eines Gesetzes gestattet ist (OLG Schleswig, 09.12.2021, 54 Verg 8/21)

Die Unwirksamkeit bezieht sich auch auf spätere wesentliche Änderungen des Vertrages. Der Auftraggeber darf einen unzulässigerweise direkt vergebenen öffentlichen Auftrag nicht ändern, sondern muss ein neues Vergabeverfahren über den geänderten Auftrag durchführen.

6)         Wenn ein Hoheitsträger Bauplätze veräußern möchte und dazu entsprechende Vergabekriterien aufstellt, hat jeder Bewerber gemäß des Vergabeverfahrensanspruchs aus Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (VGH Baden-Württemberg, 19.07.2022, 1 S 1121/22)

Insbesondere hat der Hoheitsträger die gleichheitskonforme Auswahl zwischen den Bewerbern auf einer verfahrensmäßigen Grundlage ohne Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz zu treffen.

7)         Ein Auftraggeber darf auf ein Vergabeverfahren verzichten, wenn er konkret nachzuweisende wesentliche Sicherheitsinteressen des Mitgliedstaats zu wahren hat (OLG Düsseldorf, 18.08.2021, Verg 51/20)

Eine pauschale Bezugnahme auf ein nicht näher spezifiziertes Sicherheitsinteresse reicht für den Nachweis allerdings nicht aus, so das OLG Düsseldorf. Die Sicherheitsinteressen müssen den Verzicht auf ein Vergabeverfahren erfordern. Der Auftraggeber muss darlegen, dass ein Vergabeverfahren dem Schutz solcher Interessen entgegensteht.  

II.         Auslegung von Anforderungen an Angebote / Angebotsprüfung

1)         Führt die Auslegung des Begriffs der Abrechnungssumme in den AGB des Bestellers zu keinem eindeutigen Ergebnis, gehen Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders (BGH, 05.05.2022, VII ZR 176/20)

Gegenstand der Entscheidung war, ob der für die Bemessung der Vertragsstrafe in den AGB des Bestellers verwendete Begriff der Abrechnungssumme als Brutto- oder Netto-Abrechnungssumme auszulegen ist und was aus einer verbleibenden Unklarheit folgt.

2)         Mindestanforderungen an indikative Angebote im Verhandlungsverfahren sind eindeutig und unmissverständlich als solche zu formulieren (OLG Karlsruhe, 21.05.2021, 15 Verg 4/21)

Das OLG bestätigte, dass indikative, nicht zuschlagsfähige Angebote im Verhandlungsverfahren nicht bei jeder Abweichung von den Vergabeunterlagen auszuschließen sind. Für einen Ausschluss sei erforderlich, dass der Auftraggeber die Mindestanforderung eindeutig und unmissverständlich als unverhandelbar und zwingend für die indikativen Angebote aufstellt.

3)         Der öffentliche Auftraggeber darf auf ein datenschutzkonformes Leistungsversprechen vertrauen, auch wenn Daten durch eine Tochtergesellschaft US-amerikanischer Unternehmen wie Microsoft, Amazon oder Google verarbeitet werden (OLG Karlsruhe, 07.09.2022, 15 Verg 8/22)

Erst wenn sich aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel daran ergeben, muss der Auftraggeber ergänzende Informationen einholen und die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens prüfen. Dies ist nicht der Fall, wenn der Vertrag eindeutige Zusicherungen enthält.

4)         Eine nationale Vorschrift die ein Auswahlkriterium ermöglicht, wonach Bieter bereits bei Abgabe ihres Angebots am Ort der späteren Leistungserbringung ansässig sein müssen, ist grundsätzlich nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar (EuGH, 14.07.2022, C-436/20).

Eine solche Regelung ist nur zulässig, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgt. Im konkreten Fall sah der EuGH ein legitimes Ziel in der Nähe und Zugänglichkeit der ausgeschriebenen sozialen Dienstleistung.

5)         Auftraggeber dürfen ausnahmsweise auch noch nach Öffnung der Angebote die Bewertungsmethode festlegen (KG Berlin, 27.06.2022, Verg 4/22)

Die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung muss der Auftraggeber allerdings – anders als die Bewertungsmethode – in den Ausschreibungsunterlagen verbindlich festschreiben.

III.        Aufhebung

            Auftraggeber dürfen Vergabeverfahren aufheben, wenn ein Zuschlag auf die Angebote aufgrund unvorhersehbarer Umstände mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden wäre. Dies kann nach Auffassung des OLG Sachsen-Anhalt der Fall sein, wenn sich die Ausführungszeit eines Bauauftrages massiv verschiebt und dies erhebliche Unsicherheiten nach sich zieht  (OLG Sachsen-Anhalt, 17.12.2021, 7 Verg 3/21)

Im konkreten Verfahren drohten infolge der Verzögerung aufgrund der Corona-Pandemie massive Preissteigerungen. In der Folge bestand die Gefahr, dass der Auftrag auf Basis der eingereichten Angebote nicht durchführbar sein könnte oder Auftragnehmer Preissteigerungen in unvorhergesehener Höhe an den Auftraggeber weiterreichen könnten.

IV.       Rügen / Nachprüfungsverfahren

1)         Antragssteller müssen ihren Verdacht auf Verstöße gegen das Vergaberecht durch tatsächliche Anhaltspunkte und Indizien hinreichend begründen (OLG Düsseldorf, 12.08.2021, Verg 27/21)

Bei Vergaberechtsverstößen, die ausschließlich die Tätigkeit der Vergabestelle oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen, genügt es, wenn der Antragssteller einen Verstoß redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich hält. In diesen Fällen muss der Antragssteller aber tatsächliche Anknüpfungspunkte oder Indizien vortragen, die einen Vergaberechtsverstoß wahrscheinlich erscheinen lassen.

2)         Das OLG Schleswig-Holstein entschied zulasten eines Bieters, dass die Vergabekammer nicht an die Anträge der Parteien gebunden war. Ferner entschied das Gericht, dass Produktangaben in Angebotsunterlagen wörtlich zu verstehen sind, wenn sie eindeutig sind (OLG Schleswig, 28.04.2021, 54 Verg 02/21)

Vergabekammern dürfen in Nachprüfungsverfahren ihre Entscheidung auf andere Ausschlussgründe stützen als die Vergabestelle. Die vergaberechtlichen Ausschlussgründe sind zwingend und Vergabekammern können sie daher auch aufgreifen, wenn die Vergabestelle sich nicht auf sie beruft. Vergabekammern müssen Ausschlussgründe berücksichtigen, soweit sie sich bei der Prüfung der Parteianträge aufdrängen. 

3)         Auch nicht offene und dem Verhandlungsverfahren vorgelagerte Realisierungswettbewerbe unterliegen der Nachprüfung durch die Vergabekammern (OLG Karlsruhe, 10.08.2021, 15 Verg 10/21)

Das OLG Karlsruhe entschied, dass – entgegen des Wortlauts des § 155 GWB - nach dem Europarecht auch vorgeschaltete Planungswettbewerbe der Nachprüfung unterliegen.

 

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