05.04.2024Fachbeitrag

Was sollte in M&A- / PE- und VC-Transaktionen künftig beachtet werden?

BGH zum Umgang mit Aufklärungspflichten bei Transaktionen

Den Verkäufer eines Unternehmens trifft grundsätzlich eine Verpflichtung, den potentiellen Erwerber über relevante Umstände in Bezug auf das Kaufobjekt aufzuklären. Verletzt der Verkäufer diese Pflicht, droht die Haftung gegenüber dem Käufer. Aber was kann der Verkäufer tun, um seine Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf zu erfüllen? Reicht es, einen virtuellen Datenraum mit den relevanten Informationen zu füllen? Und darf der Verkäufer in jedem Fall damit rechnen, dass der Käufer hiervon Kenntnis nimmt? Welche Risiken können sich hieraus für den Verkäufer ergeben und wie kann die Beratungspraxis hier helfen? Zu diesen Fragen bietet ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15. September 2023 (V ZR 77/22) im Kontext einer Immobilientransaktion wertvolle Anhaltspunkte. Der BGH führt in diesem seine bisherige Rechtsprechung konsequent fort. Für die Praxis bedeutsam sind jedoch insbesondere konkret genannte Leitlinien zur Ausgestaltung eines Datenraums. Während diese ebenso wenig überraschen sollten und im Rahmen professioneller Transaktionsprozesse wohl zumeist bereits eingehalten werden, unterstreicht die Entscheidung deren Bedeutung für die (künftige) Transaktionspraxis. Darüber hinaus lassen sich aus der Entscheidung des BGH verschiedene weitere Hinweise in Bezug auf die Ausgestaltung von Verkaufsprozessen sowie die Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen ableiten, die der Risikobegrenzung im Zusammenhang mit den vorvertraglichen Aufklärungspflichten dienen könnten.

 

I. Problemstellung und Rechtsrahmen

In Unternehmenskaufverträgen bzw. Investment Agreements nach deutschem Recht wird das gesetzliche Kaufmängelgewährleistungsrecht meist vollständig ausgeschlossen und durch ein individuell ausgehandeltes vertragliches Haftungsregime ersetzt. Dieses beinhaltet typischerweise auf das Kaufobjekt zugeschnittene Garantien des Verkäufers, Freistellungen und Regelungen zu Rechtsfolgen bei Verstößen. Jedoch kann eine Haftung für eigenes vorsätzliches oder arglistiges Verhalten des Verkäufers nicht im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden.

 

Solches (wenn auch nur bedingt) vorsätzliches Verhalten wird oftmals bei der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten des Verkäufers im Raum stehen, weshalb Verkäufer sich hiermit vertieft auseinandersetzen sollten:

  • Bei Vertragsverhandlungen besteht keine generelle rechtliche Verpflichtung, den anderen Vertragsteil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen (Kauf-)Entscheidung beeinflussen könnten. Stattdessen ist dieser grundsätzlich für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich relevante Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen.
  • Allerdings besteht auch bei Vertragsverhandlungen mit entgegengesetzten Parteiinteressen für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über Umstände aufzuklären, „die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise erwarten darf“.
  • Der Maßstab des „Vereitelns“ des Vertragszwecks stellt die wesentliche Schwelle dafür dar, ob betreffend bestimmter Umstände eine Aufklärungspflicht anzunehmen ist und umfasst insbesondere auch Umstände die geeignet sind, dem Käufer „erheblichen wirtschaftlichen Schaden“ zuzufügen.
  • Reine Unkenntnis des Verkäufers (bzw. bei juristischen Personen wie einer GmbH oder Aktiengesellschaft, der Organe des Verkäufers) von solchen Umständen bietet nur begrenzten Schutz. Rechtlich wird dem Verkäufer sehr weitgehend das Wissen von Vertretern sowie aus der Organisation zugerechnet, über welches dieser entsprechend (trotz „eigener“ Unkenntnis) auch aufklären muss.
  • Bei (zugerechneter) Kenntnis wird sodann regelmäßig auch Vorsatz angenommen – das „Wollen“ wird weitgehend fingiert, so dass trotz eines vertraglichen Haftungsausschlusses für vorvertragliche Pflichtverletzungen eine unbeschränkte Haftung des Verkäufers gegeben sein wird. Praktisch bedeutet dies, dass die im Vertrag zwischen den Parteien für Zwecke der Garantieerklärungen des Verkäufers im Detail verhandelten Rechtsfolgenregelungen (Caps, De-Minimis, Basket und Verjährung) in diesen Fällen unanwendbar sein könnten.
  • Ein etwaiger Verstoß des Käufers gegen eine eigene Erkundigungsobliegenheit mag oftmals naheliegen. Doch nach dem BGH hat dies keinen Einfluss auf die Aufklärungspflicht des Verkäufers, sondern könnte allenfalls als Mitverschulden des Käufers zu einer Reduktion des Schadensersatzanspruches führen.

 

II. Aufklärung durch Verwendung eines Datenraums

Aufsetzend auf dem unter I. skizzierten Befund hat der BGH nun die Leitlinien für die Erfüllung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei Unternehmenskäufen durch den Verkäufer weiter präzisiert. So kann die zugrundeliegende Informationsasymmetrie zwischen Verkäufer und Käufer nach dem BGH grundsätzlich auch durch die Übergabe von Dokumenten bzw. das Einstellen von Dokumenten in einen (in der heutigen Transaktionspraxis meist virtuellen) Datenraum beseitigt werden.

 

Die Pflicht des Verkäufers zur (ungefragten) Offenbarung werde jedoch nicht durch reine Zugänglichmachung des offenbarungspflichtigen Umstands beseitigt. Dies sei nur der Fall, wenn „ein Verkäufer aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird“.

 

In diesem Kontext erkennt der BGH an, dass die überwiegende Literatur zum Unternehmenskauf annimmt, dass der Verkäufer mit dem Einstellen von Informationen in einen Datenraum „in der Regel“ seinen Aufklärungspflichten nachkomme, da er im Normalfall die vollständige Durchsicht des Datenraums erwarten könne. Der BGH folgt dieser Regelvermutung – wenngleich im immobilienrechtlichen Rahmen – jedoch nicht: „Ob der Verkäufer die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von einem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird, hängt […] von den Umständen des Einzelfalls ab […]“.

 

Kann der Verkäufer nach diesem Maßstab nicht berechtigt von der Kenntnisnahme durch den Käufer ausgehen, muss er aufklärungspflichtige Umstände weiterhin ungefragt dem Käufer mitteilen. Nach Ansicht des BGH sind auch vertragliche Kenntnisbestätigungen durch den Käufer in ihrer Wirkung darauf beschränkt, dass sie eine Beweislastumkehr und gerade keine unwiderlegliche Vermutung nach sich ziehen.

 

III. Leitlinien des BGH

Der BGH nennt sodann Leitlinien, die es Verkäufern ermöglichen zu beurteilen, ob von einer hinreichenden Kenntnisnahme des Käufers redlicherweise ausgegangen werden darf. Diese Kriterien sind nicht abschließend und daher auf den jeweiligen Einzelfall hin anzupassen und ggf. zu erweitern.

 

1. Due Diligence durch den Käufer

Nach dem BGH kann der Verkäufer von einem Käufer, der eine Due Diligence durchführt, insbesondere wenn dieser von Experten unterstützt und beraten wird und diese gerade auch den Fachbereich der relevanten Information abdecken, im Ausgangspunkt eher erwarten, dass ein Datenraum vollständig durchgesehen und Information auf die jeweilige Bedeutung von Informationen für die Kaufentscheidung überprüft werden.

 

Der Verkäufer darf allerdings nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass eine Due Diligence durchgeführt wird. Insbesondere besteht keine gesetzliche Verpflichtung und (ohne vertragliche Vereinbarung oder Handelsbrauch bzw. Verkehrssitte – zum Vorliegen einer Verkehrssitte trifft der BGH keine Feststellung) keine Obliegenheit des Käufers, eine Due Diligence durchzuführen. Etwaige vertragliche Vereinbarungen zum Ablauf der Due Diligence sind ebenso zu berücksichtigen.

 

2. Gestaltung und Organisation des Datenraums:

Auch die Strukturierung und Organisation bzw. Nutzerfreundlichkeit des Datenraums bestimmt darüber, ob berechtigterweise von einer jeweiligen Kenntnisnahme des Käufers ausgegangen werden darf. Verschiedene Aspekte sind nach dem BGH insoweit zuträglich und sollten daher (als Mindestkriterien) allesamt bei der Einrichtung des Datenraums Berücksichtigung finden:

 

  • Vorliegen eines Inhaltsverzeichnisses oder einer Suchfunktion,
  • zutreffende Benennung und systematische Ordnung der Unterlagen,
  • ausreichend Zeit für die Überprüfung der Informationen durch den Käufer,
  • Hinweise auf nachträglich eingestellte Informationen, sowie
  • Sachkunde und Geschäftsgewandtheit des Käufers

 

3. Erheblichkeit und Erkennbarkeit der Information

Weiterhin von besonderer Bedeutung ist die (für den Verkäufer erkennbare) Erheblichkeit des relevanten Umstands für den Käufer. Kann aus dem Umstand ganz erheblicher wirtschaftlicher Schaden für den Käufer erwachsen und ist der Umstand aus den bereitgestellten Daten nicht ohne weiteres erkennbar (bspw. weil die Information sich in einem Dokument befindet, das normalerweise von einem Käufer nicht gründlich geprüft wird), dem Verkäufer aber bekannt und unschwer durch diesen zu offenbaren, dann kann der Käufer regelmäßig einen gesonderten Hinweis erwarten.

 

IV. Empfehlungen für die Transaktionspraxis

  • Ermittlung aufklärungspflichtiger Umstände und Abstimmung mit Beratern: Im Rahmen der Transaktionsvorbereitung sollte erwogen werden, ob der Einzelfall Anlass für die verkäuferseitige Durchführung einer (kosten- und zeitintensiven) Vendor Due Diligence gibt. In jedem Fall sollte ein Prozess zur Abfrage in der Organisation vorhandener Informationen durchgeführt werden (Due Inquiry-Prozess), der sich nicht – wie in der M&A Praxis standardmäßig vorgesehen – auf den ausgehandelten Garantiekatalog bzw. die Erstellung diesbezüglicher Disclosure Schedules beschränkt, sondern insbesondere auch zur Ermittlung etwaiger aufklärungspflichtiger Umstände dient. Nötige Vorfrage zur Ermittlung solcher Umstände ist, welche Informationen für einen Käufer (ggf. auch käuferspezifisch) von erheblicher Relevanz sein können.
  • Verwendung eines professionellen Datenraums und Nutzung des Funktionsumfangs: Professionelle virtuelle Datenräume bieten hinreichende Funktionalitäten, um den durch den BGH genannten Kriterien gerecht zu werden. Es sollte insbesondere auch erwogen werden, Meta-Daten / Daten betreffend die konkrete Nutzung des Datenraums durch den Käufer und somit den betriebenen Aufwand sowie die konkrete Sichtung bestimmter Dokumente ebenso wie den Datenrauminhalt für Nachweiszwecke zu sichern. Der Rückgriff auf typische Cloudspeicher (etwa Google Drive), wie oftmals im Venture Capital-Umfeld anzutreffen, erscheint beim aktuellen Funktionsumfang nicht unproblematisch.
  • Beachtung der genannten Strukturkriterien: Die BGH-seits genannten Kriterien betreffend die Struktur und Organisation des Datenraums (s.o.) sollten insgesamt beachtet werden. Es ist insoweit auch ein Ausgleich zwischen dem Einstellen hinreichender Informationen (Grundsatz: „Offenlegung enthaftet“) und einer übermäßigen Befüllung des Datenraums mit irrelevanten Informationen („Flutung“) herzustellen und eine frühzeitige Offenlegung sicherzustellen. Bei größeren und professionell beratenen M&A-Transaktionen ist dies regelmäßig bereits der Fall. Die Vorgaben sollten jedoch auch bei kleineren und mittleren Transaktionen nicht ignoriert werden.
  • Aktive Kommunikation: Nicht offensichtliche Informationen von erheblicher Tragweite, insbesondere solche, die spät hinzugefügt werden, sollten aktiv kommuniziert werden. Bei schwer zu durchdringenden (ausgewählten) Komplexen bietet sich eine Aufbereitung in kurzen Information Memoranda oder Problemskizzen an.
  • Vereinbarungen zum Prozess: Sinnvoll erscheinen auch Vereinbarungen zum Prozess (bspw. als Teil eines Letter of Intent) oder als Vorgaben in Prozessbriefen bei strukturierten Verkaufsprozessen. Solche könnten (aus Verkäufersicht) beispielsweise den Käufer zur Präzisierung der aus Käufersicht besonders relevanten Themenkomplexe, Einbindung fachkundiger Berater für bestimmte Bereiche sowie Jurisdiktionen, der Durchführung einer umfassenden und tiefgehenden Due Diligence und der Bestätigung seiner Geschäftserfahrenheit verpflichten. Überdacht werden müssen ggf. auch verbreitete Denkmuster, nach denen ein „unkomplizierter“ Käufer, der nur begrenzte Nachfragen stellt, positiv bewertet wird – während dies prozessseitig zweifelsfrei nachvollziehbar erscheint, könnte ein solches Käuferverhalten nach der Rechtsprechung des BGH im Einzelfall eine Erhöhung des Risikos einer unbeschränkten Haftung des Verkäufers für die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten bedeuten.
  • Vereinbarungen im Unternehmenskaufvertrag / Investment Agreement:
    • Während deren Wirksamkeit im Bereich der Vorsatzhaftung bisher nicht geklärt ist, bietet es sich an, eine abschließende Liste relevanter Kenntnispersonen für die Wissenszurechnung aus der Verkäufer-Organisation zum Verkäufer vertraglich zu vereinbaren und diese Vereinbarung explizit über das Garantieregime hinaus auch auf Aufklärungspflichten zu erstrecken.
    • Die bisher üblichen Fair Disclosure-Klauseln sollten kritisch geprüft und ggf. der vertraglich geforderte Offenlegungsrahmen sowie die vertragliche Folge einer Einhaltung bzw. Abweichung hiervon in Ansehung der BGH-Entscheidung klar definiert werden – der BGH akzeptiert ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen als beurteilungsrelevant. Bisherige Konzepte, etwa Kriterien wie die „Veröffentlichung in angemessener Weise, die einem sachkundigen und professionell beratenen Käufer die hinreichende Kenntnisnahme ermöglicht“ als Aufsatzpunkt für eine Vermutung (oder aber Beweislastumkehr) zu betrachten, dürften vor dem Hintergrund der neuesten BGH-Rechtsprechung nur eingeschränkt von Wert sein.
    • Der Käufer sollte überdies die Einhaltung der vorstehend skizzierten möglichen Vereinbarungen zum Prozess bestätigen.
  • Aus Käufersicht: Für Käufer mag es sich anbieten, auf entscheidungserhebliche Komplexe gezielt hinzuweisen und dies auch zu dokumentieren. Insoweit muss der Verkäufer sodann gesteigerte Sorgfalt walten lassen und ggf. gesondert über Umstände informieren, um Aufklärungspflichtverletzungen zu vermeiden.
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