EU-Prospektverordnung – BaFin konkretisiert Begriff des öffentlichen Angebots
Update Kapitalmarktrecht Nr. 58
Die BaFin hat am 11. September 2025 ein Merkblatt zum Begriff des öffentlichen Angebots nach der EU-Prospektverordnung veröffentlicht. Dies mag auf den ersten Blick überraschen. Denn die Definition des öffentlichen Angebots hat sich seit der Prospektrichtlinie aus dem Jahr 2003 nicht geändert, auch nicht durch den Listing Act von 2024. Allerdings hat die Rechtsprechung der europäischen Gerichte mehrere Entscheidungen zur Auslegung des Begriffs des öffentlichen Angebots getroffen, auf die sich die BaFin ausdrücklich bezieht. Damit stellt die BaFin klar, dass das frühere Verständnis der Praxis in Deutschland nicht mehr in allen Punkten aufrechtzuerhalten ist. Das neue Merkblatt verdient also besondere Beachtung.
Im Einzelnen
Begriff und Bedeutung des öffentlichen Angebots
Die EU-Prospektverordnung versteht in der deutschen Sprachfassung unter einem „öffentlichen Angebot von Wertpapieren“ eine Mitteilung an die Öffentlichkeit in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf oder die Zeichnung jener Wertpapiere zu entscheiden. Diese Definition gilt auch für die Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre. Sie ist ein zentraler Ausgangspunkt für Pflichten nach der EU-Prospektverordnung. Denn Wertpapiere dürfen in der EU nur nach vorheriger Veröffentlichung eines Prospekts gemäß den Vorgaben der EU-Prospektverordnung öffentlich angeboten werden, es sei denn es liegt einer der in der EU-Prospektverordnung geregelten Ausnahmetatbestände vor.
Merkblatt der BaFin
Die BaFin erläutert in ihrem Merkblatt ihre Auslegung diverser Schlüsselbegriffe der Legaldefinition. Dabei geht sie von einem weiten Begriffsverständnis aus.
Mitteilung in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise
Ein öffentliches Angebot im Sinne des europäischen Prospektrechts ist kein Angebot im Sinne des deutschen Zivilrechts, also keine bindende Willenserklärung im Sinne des BGB. Es reicht eine Aufforderung an den Anleger, seinerseits ein Erwerbserklärung abzugeben (invitatio ad offerendum). Auf Form und Art der Mitteilung und das dabei genutzte Kommunikationsmedium kommt es nicht an. Das ist freilich für die Praxis in Deutschland nichts Neues.
Information über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere
Inhaltlich muss die Mitteilung ein Mindestmaß an Informationen enthalten, aufgrund derer Anleger sich entscheiden können, eine Investition zu tätigen. Die BaFin nennt beispielhaft Angaben zum Antrags- und Zeichnungsverfahren, zum Anlagebetrag sowie zur Laufzeit und zur möglichen Zinsspanne. Was zur Anlageentscheidung erforderlich ist, hängt dabei vom Einzelfall ab. Nicht enthalten sein müssen sämtliche für den Vertragsschluss benötigten Unterlagen oder aber die Informationen, die für den Anleger wesentlich sind, um sich ein fundiertes Urteil über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Emittenten, die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte und die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf den Emittenten bilden zu können. Diese Angaben sind vielmehr in einen Prospekt aufzunehmen (dazu der EFTA-Gerichtshof in einer von der BaFin In Bezug genommenen Entscheidung, siehe Anhang). Für das Vorliegen eines öffentlichen Angebots muss zudem noch keine konkrete Erwerbsmöglichkeit bestehen.
Auch Informationen, die in mehreren Schritten zur Verfügung gestellt werden, können in ihrer Summe ein öffentliches Angebot darstellen. Eine Anlageentscheidung soll zudem auch bei einer Kollektiventscheidung als Summe vieler individueller Einzelentscheidungen vorliegen können. Damit dürfte etwa ein Beschluss der Aktionäre einer Gesellschaft über eine Verschmelzung oder Spaltung erfasst sein.
Mitteilung an die Öffentlichkeit
Die BaFin nimmt ein öffentliches Angebot bereits an, wenn sich die betreffende Mitteilung an mindestens zwei Personen richtet. Sie bezieht sich dabei auf den weiteren Wortlaut vieler Sprachfassungen der EU-Prospektverordnung, insbesondere der englischen, die eine Mitteilung an Personen („communication to persons“) ausreichen lässt. Eine Mitteilung an einen unbestimmten Personenkreis ist nicht erforderlich. Auch die individuelle Ansprache mehrerer Personen kann daher ein öffentliches Angebot darstellen; eine Bezeichnung als Privatplatzierung (‚private placement‘) ist dabei irrelevant.
Korrektur durch Ausnahmen
Dem Vorwurf, durch die Weite der Auslegung des Begriffs des öffentlichen Angebots unbillige Ergebnisse zu erzielen, entgegnet die BaFin durch den Verweis auf die in der EU-Prospektverordnung vorgesehenen vielfältigen Ausnahmen von der Prospektpflicht. Besondere Relevanz dürften dabei die Ausnahmen für Angebote haben, die
- sich ausschließlich an qualifizierte Anleger richten,
- sich an weniger als 150 nicht-qualifizierte Anleger pro Mitgliedstaat richten,
- eine Mindeststückelung der angebotenen Wertpapiere von 100.000 EUR vorsehen oder
- sich an Anleger richten, Wertpapiere nur ab einem Mindestbetrag von 100.000 EUR pro Anleger erwerben.
Fazit
Das BaFin-Merkblatt sorgt für größere Klarheit bei der Auslegung des Begriffs des öffentlichen Angebots. Dass dieses weder ein Angebot noch öffentlich sein muss, um eine Prospektpflicht auszulösen, mag Sprachpuristen stören. Die BaFin setzt aber konsequent eine Auslegung um, die in der europäischen Rechtsprechung entwickelt wurde und leistet einen Beitrag zu europaweit kohärenten Auslegung des Unionsrechts. Bei der Kommunikation im Vorfeld von Wertpapierplatzierungen verdient das Merkblatt besondere Beachtung.
Hier geht es zum Merkblatt der BaFin.
Zu den Entscheidungen des EuGH und des EFTA-Gerichtshofs:
- EuGH: Urteil i. S. Schaerbeek, Linkebeek / Holding Communal SA vom 9. Januar 2025, C-627/23;
- EuGH: Urteil i. S. Almer Beheer, Daedalus / Vastgoed, Osterhout, vom 17. September 2012, C-441/12;
- EFTA-Gerichtshof: Urteil i. S. ADCADA / FMA (Liechtenstein) vom 18. Juni 2021, E-10/20.