Listing Act – Neue Spielregeln bei der Ad-hoc-Publizität: EU-Kommission veröffentlicht Entwurf eines delegierten Rechtsakts
Update Kapitalmarktrecht Nr. 60
Am 15. Dezember 2025 hat die Europäische Kommission den Entwurf eines delegierten Rechtsakts zur Marktmissbrauchsverordnung (MAR) veröffentlicht. Damit nähert sich ein weiterer Baustein der Umsetzung des sog. EU Listing Act der Vollendung. Die delegierte Verordnung soll u. a. die Regelungen über die sog. Ad-hoc-Publizität reformieren, um Emittenten weniger zu belasten und die Rechtsklarheit zu verbessern.
Künftig keine Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung bei Zwischenschritten
Die Ad-hoc-Publizitätspflicht für Emittenten ist eine der Vorkehrungen der MAR zur Verhinderung von Insiderhandel. Ein Emittent, dessen Finanzinstrumente unter seiner Mitwirkung an einem Handelsplatz in der EU notiert sind, ist danach verpflichtet, Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen. Dies gilt bislang auch für Zwischenschritte eines zeitlich gestreckten Vorgangs. Darunter versteht man Sachverhalte, die bis zu einem finalen Endereignis aus mehreren Zwischenschritten bestehen wie etwa Kapitalmaßnahmen, Unternehmenszusammenschlüsse oder Umstrukturierungen. Werden aber Informationen über solche Vorgänge in einem frühen Stadium öffentlich, können sie, statt die Informationstransparenz zu verbessern, die Anleger irreführen. Nach dem Listing Act sollen daher in einem zeitlich gestreckten Vorgang bloße Zwischenschritte wie Absichtsbekundungen, laufende Verhandlungen oder dabei erzielte Fortschritte nicht mehr ad hoc veröffentlicht werden müssen, selbst wenn sie Insiderinformationen darstellen. Vielmehr muss künftig nur noch das Endereignis des zeitlich gestreckten Vorgangs durch eine Ad-hoc-Mitteilung mitgeteilt werden.
Diese Neuregelung wird zum 5. Juni 2026 anwendbar. Die Kommission ist dabei ermächtigt, in einem delegierten Rechtsakt eine nicht erschöpfende Liste solcher Endereignisse festzulegen.
Liste von Endereignissen
Im Entwurf einer Delegierten Verordnung legt die Kommission zunächst einige für die Liste der Endereignisse geltende Grundprinzipien fest:
Bei der Bestimmung vieler in der Liste aufgeführter Endereignisse wird auf die Entscheidung des Leitungsorgans des Emittenten abgestellt. Soweit es für die Entscheidung des Emittenten der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf, gilt der Aufsichtsrat als das relevante Leitungsorgan. Damit trägt die Kommission dem dualistischen Organisationsprinzip insbesondere bei der Aktiengesellschaft nach deutschem Recht Rechnung. Dabei sollte der interne Entscheidungsprozess des Emittenten vorsehen, dass der Beschluss des Aufsichtsrats so bald wie möglich nach dem Beschluss des Vorstands gefasst wird, um eine zeitnahe Offenlegung des Endereignisses zu gewährleisten. Wurde eine Entscheidung an einen Ausschuss oder eine bestimmte Person delegiert, gilt dieses Gremium bzw. diese Person als das relevante Leitungsorgan.
Bedarf dagegen eine Maßnahme nach dem anwendbaren Gesellschaftsrecht der Zustimmung der Hauptversammlung und gilt nach der Liste die Entscheidung des Leitungsorgans des Emittenten als Endereignis, dann wird die Offenlegungspflicht durch die Entscheidung des Leitungsorgans, den Aktionären einen Vorschlag zur Genehmigung vorzulegen, ausgelöst.
Die Liste der Endereignisse in Anhang I des Entwurfs der delegierten Verordnung enthält insgesamt 35 Fallgruppen, die in sieben Kategorien wie folgt eingeteilt sind:
A. Geschäftsstrategie: Diese Kategorie enthält unterschiedliche Ereignisse wie wesentliche Verträge, etwa über Erwerbe oder Veräußerungen von Beteiligungen oder Vermögensgegenständen, Unternehmenszusammenschlüsse oder Umstrukturierungen sowie die Beendigung wesentlicher Verträge.
B. Kapitalstruktur, Dividenden und Zinszahlungen: Hier sind Kapitalmaßnahmen, Wertpapieremissionen, Aktienrückkäufe, die Wandlung von Finanzinstrumenten, Entscheidungen zu Zahlungen von Dividenden sowie den Aufschub oder das Aussetzen von Zinszahlungen oder der Rückzahlung von Verbindlichkeiten aufgeführt.
C. Finanzinformationen: Dazu zählt die Feststellung von (Jahres-)Abschlüssen und der Beschluss über Prognosen.
D. Unternehmensführung: Der Entwurf fasst darunter sowohl die Bestellung und Abberufung von Organmitgliedern und wesentlichen Führungskräften als auch wesentliche Änderungen von Grundlagendokumenten, namentlich der Satzung.
E. Behördliche Entscheidungen: Breiten Raum nehmen insgesamt zwölf verschiedene Fallgruppen behördlicher Vorgänge ein, zu denen sowohl Anträge auf Erteilung von Erlaubnissen sowie deren nachfolgende Erteilung, Versagung und deren Entzug sowie Vergabeentscheidungen sowie die Beantragung von Insolvenz- oder ähnlichen Restrukturierungsverfahren gehören.
F. Kreditinstitute, Versicherungen und Rückversicherungen: Verschiedenen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen in Bezug auf Unternehmen des Finanzsektors ist eine eigene Kategorie gewidmet.
G. Gerichts- und Verwaltungsverfahren, Sanktionen, Einstellung der Börsennotierung: Eine weitere Kategorie bilden Gerichts- und Verwaltungsverfahren, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, Entscheidungen über Sanktionen sowie über eine Einstellung der Börsennotierung des Emittenten.
Für jede Fallgruppe wird abstrakt das jeweilige die Offenlegungspflicht in Form einer Ad-hoc-Mitteilung auslösende Endereignis bestimmt. Dabei lassen sich die folgenden Grundprinzipien festhalten:
- Bei Verträgen kommt es auf die bindende Unterzeichnung an, hilfsweise eine entsprechende Maßnahme, die zur rechtlichen Bindung des Emittenten führt. Sofern es vor Vertragsschluss eines Gesellschafterbeschlusses bedarf, stellt der Entwurf auf die Entscheidung des Leitungsorganes des Emittenten ab, den Vertrag der Gesellschafterversammlung vorzulegen.
- Bei den meisten Endereignissen ist die endgültige Entscheidung des Leitungsorgans des Emittenten maßgeblich; bedarf es der Zustimmung der Gesellschafter, kommt es – wie bei Verträgen – auf dessen Entscheidung über die Vorlage an die Gesellschafterversammlung an.
- Bei der Beantragung einer behördlichen Erlaubnis durch den Emittenten gilt die Einreichung des Erlaubnisantrags als Endereignis.
- Im Fall der Erteilung, der Versagung oder des Entzugs einer Erlaubnis ist die förmliche Benachrichtigung durch die Behörde entscheidend; auf etwaige vorherige Korrespondenz, auch den Austausch eines Entwurfs der behördlichen Entscheidung kommt es nicht an.
- Im Zusammenhang mit der Beantragung eines Insolvenz- oder Restrukturierungsverfahrens, ist die Entscheidung des Leitungsorgans des Emittenten über die Antragstellung das ad-hoc-relevante Endereignis.
- Gerichtliche oder behördliche Entscheidungen werden mit Zugang bei dem Emittenten ggf. offenlegungspflichtig, auf deren Bestands- bzw. Rechtskraft oder die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, kommt es nicht an.
- In Bezug auf die Einstellung der Börsennotierung sind die maßgeblichen Endereignisse des jeweiligen Prozesses die endgültige Entscheidung des Leitungsorgans des Emittenten sowie der Zugang der Entscheidung der zuständigen Behörde.
Die Liste der Endereignisse erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Bei zeitlich gestreckten Vorgängen, die nicht in der Liste enthalten sind, ist der Emittent weiterhin dafür verantwortlich, im Einzelfall das Endereignis des Vorgangs eigenverantwortlich zu bestimmen. Dabei sollte er die Gründe für die Identifizierung des Endereignisses und den für die Veröffentlichung der diesbezüglichen Ad-hoc-Mitteilung maßgeblichen Zeitpunkt dokumentieren, um die Einhaltung der Offenlegungspflicht gegenüber der zuständigen Behörde (in Deutschland der BaFin) nachweisen zu können.
Einschränkungen des Rechts zum Aufschub
Konzeptionell weitgehend unverändert blieb durch den Listing Act bei bestehender Pflicht zur Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung das Recht des Emittenten, deren Veröffentlichung aufzuschieben (sog. Selbstbefreiung). Dazu mussten bisher die folgenden Bedingungen erfüllt sein:
a) die unverzügliche Offenlegung wäre geeignet die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen,
b) die Aufschiebung der Offenlegung wäre nicht geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen und
c) der Emittent kann die Geheimhaltung dieser Informationen sicherstellen.
Ab dem 5. Juni 2026 wird das Kriterium „Keine Irreführung der Öffentlichkeit“ durch folgende konkretisierende Formulierung ersetzt:
b) die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent aufzuschieben beabsichtigt, stehen nicht im Widerspruch zur letzten öffentlichen Bekanntmachung oder einer anderen Art der Kommunikation des Emittenten zu derselben Angelegenheit, auf die sich die Insiderinformationen beziehen;
Liste potenziell widersprüchlicher Sachverhalte
Die Kommission wurde weiterhin ermächtigt, eine nicht erschöpfende Liste an zuvor bekanntgegebenen Sachverhalten in einem delegierten Rechtsakt zu bestimmen, die im Widerspruch zu den zu veröffentlichenden Insiderinformation stehen könnten. Dadurch sollen Emittenten größere Rechtssicherheit bei der Prüfung erhalten, ob ein solcher Widerspruch besteht, der ihn am Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung hindert. In Zweifelsfällen soll der Emittent dabei ggf. auch frühere Bekanntmachungen oder Mitteilungen berücksichtigen. In dem Entwurf des delegierten Rechtsakts vom 15. Dezember 2025 sind in Anhang II einige typische Beispiele solcher Sachverhalte wie folgt aufgeführt:
- Prognosen, Finanzergebnisse oder Geschäftsziele,
- ökologische oder soziale Auswirkungen eines Projekts oder Produkts,
- wesentlich abweichende Informationen über die Finanzlage des Emittenten (z. B. die Notwendigkeit einer Kapitalerhöhung oder einer außerordentlichen Anleiheemission),
- Ergebnisse oder Fristen eines in der Entwicklung befindlichen Produkts oder Projekts,
- Kapitalstruktur des Emittenten,
- Geschäftsstrategie (so die Entscheidung, in ein neues geografisches Marktsegment einzutreten),
- Kernelemente eines wesentlichen Vertrags oder einer wesentlichen Transaktion,
- Corporate Governance des Emittenten, einschließlich Führungsstruktur und Verhaltenskodizes.
Liste möglicher Kommunikation im Widerspruch zu der zu veröffentlichenden Insiderinformation
Anhang III schließlich enthält eine Liste der Arten von Mitteilungen, die Emittenten bei ihrer Beurteilung, ob ein widersprüchlicher Sachverhalt vorliegt, berücksichtigen sollten. Davon sind alle öffentlich zugänglichen Mitteilungen des Emittenten oder seiner Vertreter erfasst, einschließlich Informationen, die auf seiner Internetseite oder über soziale Medien verbreitet werden.
Fazit
Der Entwurf des delegierten Rechtsaktes zur Ad-hoc-Publizität ist geprägt von dem erkennbaren Bemühen, die Rechtsunsicherheit der Emittenten bei Fragen der Ad-hoc-Publizität zu verringern und die Erleichterungen bei gestreckten Sachverhalten nutzbar zu machen. Insbesondere die Liste der typischen Endereignisse ist hilfreich, zumal sie erkennbar durchgängig angewandten Grundprinzipien folgt. Aus der Sicht deutscher Emittenten ist zu begrüßen, dass nunmehr die Rolle des Aufsichtsrats einer deutschen Aktiengesellschaft anerkannt wird – insbesondere, dass seine erforderliche Zustimmung entwertet würde, wenn sie erst nach einer Ad-hoc-Mitteilung über den Gegenstand seiner Entscheidung erfolgen könnte.
Die Liste ist indes nicht frei von Widersprüchen. So werden für eine Kapitalerhöhung mit vorangehender Erstellung eines Wertpapierprospekts unterschiedliche Endereignisse bestimmt, die eine Ad-hoc-Mitteilung auslösen. Die Einreichung eines Prospekts bei der BaFin mit Antrag auf dessen Billigung müsste ad hoc veröffentlicht werden, auch wenn der endgültige Beschluss über die Kapitalmaßnahme noch nicht erfolgt ist. Kommt der Emittent zu dem Schluss, dass bereits die Einreichung des Prospekts eine Insiderinformation darstellt, hilft dann wohl nur der Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung, der mit den aus dem geltenden Recht bekannten Verfahrens- und Dokumentationsanforderungen einhergeht.
Es bleibt also eine sorgfältige Analyse und Beurteilung des Sachverhalts im Einzelfall sowie deren Dokumentation erforderlich. Immerhin gibt der delegierte Rechtsakt dabei nützliche Hilfestellungen.
Siehe auch:
- Update Kapitalmarktrecht Nr. 50: Der Ausbau der Kapitalmarktunion durch den EU Listing Act
- Update Kapitalmarktrecht Nr. 57: Listing Act – Übersicht über wesentliche Neuerungen im europäischen Marktmissbrauchsrecht für Emittenten
- de Boer/Birzele, Finaler Report der ESMA: Veröffentlichung von Insiderinformationen in zeitlich gestreckten Verfahren nach dem Listing Act ab Juni 2026, BondGuide 15/25, S. 32