14.03.2017Fachbeitrag

Update Kartellrecht März 2017

Weitere Erleichterungen bei der Durchsetzung privater Schadensersatzklagen durch die 9. GWB-Novelle

Am 09.03.2017 ist das 9. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (9. GWB-ÄndG) verabschiedet worden. Hierdurch wurde u.a. – mit leichter Verspätung – die EU-Kartellschadensersatzrichtlinie vom 26.11.2014 (Richtlinie 2014/104) in deutsches Recht umgesetzt. Die Richtlinie und deren Umsetzung sollen dazu beitragen, dass Schadensersatzansprüche gegen Kartellanten leichter und effektiver durchgesetzt werden können.

I. Bisherige Erleichterungen bei der Durchsetzung privater Schadensersatzklagen nach § 33 GWB a.F. gegenüber dem allgemeinen Schadensersatzrecht

Schon bisher enthielt der durch die 7. GWB-Novelle im Jahr 2005 völlig neu gefasste § 33 GWB a.F. im Vergleich zum allgemeinen Schadensersatzrecht Erleichterungen für die Durchsetzung privater Schadensersatzklagen gegenüber Kartellanten und Unternehmen, die ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen.

So galt in zivilrechtlichen Verfahren im Nachgang zu einem behördlichen Verfahren (sog. follow-on-Klagen) schon nach § 33 Abs. 4 GWB a.F., dass das Zivilgericht an die bestandskräftige Feststellung eines Kartellverstoßes nach Art. 101, 102 AEUV bzw. §§ 1, 19, 20 GWB durch eine deutsche Kartellbehörde, die Europäische Kommission oder eine Wettbewerbsbehörde in einem anderen Mitgliedstaat gebunden ist.

Hinsichtlich der von dem Geschädigten zu beweisenden Kausalität zwischen dem Kartellverstoß und schadensbegründenden Preiserhöhungen half die insofern nicht einheitliche Rechtsprechung dem Geschädigten zum Teil mit einem Anscheinsbeweis. Im Hinblick auf die Höhe des Schadens erlaubte § 33 Abs. 3 S. 3 GWB a.F. i.V.m. § 287 ZPO die Schadensschätzung, sofern – etwa durch Vorlage eines wettbewerbsökonomischen Gutachtens – ausreichende Schätzgrundlagen vorgetragen werden. Dabei ist auch der anteilige Gewinn des Schädigers zu berücksichtigen, den dieser durch den Verstoß erlangt hat.

Der BGH hatte ferner schon in Sachen ORWI im Jahr 2011 (noch zur Rechtslage vor Einführung des § 33 Abs. 2-5 GWB a.F.) entschieden, dass auch indirekteAbnehmer auf einer nachgelagerten Marktstufe schadensersatzberechtigt sind, wenn die kartellbedingte Preiserhöhung in der Absatzkette auf die nächste Marktstufe abgewälzt wurde. Einer doppelten Inanspruchnahme der Kartellanten (sowohl durch den direkten als auch den indirekten Abnehmer) wurde mit den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung begegnet. Danach fand beim direkten Abnehmer eine Vorteilsanrechnung statt, sofern die Schädiger beweisen konnten, dass der direkte Abnehmer die kartellbedingt überhöhten Preise ohne Nachteile (Nachfragerückgang) auf die nachgelagerte Marktstufe weiterwälzen konnte (sog. passing-on defence).

Bereits nach § 33 Abs. 3 S. 4 GWB a.F. galt eine Verzinsungspflicht für die Schadensersatzforderung schon ab Eintritt des Schadens und nicht wie sonst erst ab Verzug (der eine in Verzug setzende Mahnung voraussetzt).

In § 33 Abs. 5 GWB a.F. war angeordnet, dass die bis dahin geltende dreijährige Verjährungsfrist ab Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis während der Dauer eines Bußgeldverfahrens bis 6 Monate nach Erlass des Bußgeldbescheides gehemmt ist.

Die gesamtschuldnerische Haftung der Kartellanten ergab sich aus §§ 830, 840 BGB, bislang allerdings ohne die jetzt aufgenommene Privilegierung von Kronzeugen und mittelständischen Unternehmen.

II. Weitere Erleichterungen durch die 9. GWB-Novelle

Der Gesetzgeber der 7. GWB-Novelle und die zu § 33 GWB ergangene Rechtsprechung haben damit bereits eine Reihe von Regelungen vorweggenommen, die aufgrund der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie bis zum 27.12.2016 umzusetzen waren. Vor diesem Hintergrund bedeuten die Regelungen der 9. GWB-Novelle zur Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie keinen Paradigmenwechsel, zum Teil aber eine weitere deutliche Verbesserung der Aussichten geschädigter Unternehmen, ihre Schadensersatzansprüche erfolgreich gegen Kartellanten und marktbeherrschende Unternehmen und ggf. deren Muttergesellschaften durchsetzen zu können.

1. Anspruchsgrundlage, Ausweitung zugunsten einer Konzernhaftung?

An der Anspruchsgrundlage hat der Gesetzgeber (trotz ihrer redaktionellen Verschiebung) keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen. Insbesondere eine Ausweitung auf eine Haftung des Konzerns hat der Gesetzgeber nicht implementiert, während nach der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie Rechtsverletzer auch eine Unternehmensvereinigung sein kann, was zum Teil als Ausweitung im Sinne einer Konzernhaftung verstanden wird. Ob insoweit eine richtlinienkonforme Auslegung zu einer erweiterten Haftung führen wird, bleibt abzuwarten.

2. Vermutung eines kausalen Schadens

Eine wesentliche Erleichterung von Schadensersatzansprüchen wird durch die widerlegliche Vermutung eines kausalen Schadens durch eine Kartellabsprache geschaffen. Die Vermutung erstreckt sich auf das Bestehen eines Schadens und dessen Verursachung durch die Kartellabsprache. Es besteht jedoch keine Vermutung zugunsten der Höhe eines Schadens oder für die grundsätzliche Betroffenheit eines Anspruchstellers von dem Kartell. Ebenso muss weiterhin bewiesen werden, dass das kartellierte Produkt erworben wurde. Für die Schadenshöhe wird wiederum auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Schadensschätzung verwiesen.

3. Einwand der Schadensabwälzung durch Kartellanten

Neuerungen bestehen ferner im Hinblick auf den Einwand der Schadensabwälzung: Zunächst bleibt es im Ausgangspunkt dabei, dass allein die Weiterveräußerung des Produkts einen Schaden nicht entfallen lässt. Soweit allerdings ein Produkt samt Preisaufschlag weiterverkauft werden konnte (Schadensabwälzung bzw. sog. passing-on defence), entfällt ein originärer Schaden. Auch in diesem Fall bleibt es jedoch möglich, dass entgangener Gewinn als Schaden besteht, da der überteuerte Weiterverkauf zu einem Rückgang des Umsatzes geführt hat. Nach der Gesetzesbegründung sind der Einwand der Schadensabwälzung und die Voraussetzungen dieser Schadensabwälzung im Wesentlichen durch die oben genannte ORWI-Entscheidung des BGH geprägt, so dass die Regelung vor allem der Klarstellung dient.

Die Gerichte sind ausdrücklich ermächtigt, den Umfang der Schadensabwälzung nach freiem Ermessen zu schätzen, sodass hierüber kein Vollbeweis zu führen ist.

4. Vermutung der Schadensabwälzung auf Zweitabnehmer

Soweit ein Zweitabnehmer (mittelbarer Abnehmer) im Rahmen des Schadensersatzverlangens gegen einen Kartellanten vorgeht, hat dieser grundsätzlich die Schadensabwälzung von dem unmittelbaren Abnehmer auf ihn darzulegen und zu beweisen. Allerdings besteht unter drei kumulativen Voraussetzungen eine Vermutung der Schadensabwälzung zugunsten des mittelbaren Abnehmers: (i) der Rechtsverletzter hat einen Verstoß gegen §§ 1 oder 19 GWB bzw. Art. 101 oder 102 AEUV begangen, (ii) der Verstoß hat einen Preisaufschlag für den unmittelbaren Abnehmer zur Folge und (iii) der mittelbare Abnehmer hat Waren oder Dienstleistungen erworben, die Gegenstand des Verstoßes waren oder aus Waren oder Dienstleistungen hervorgegangen sind, die Gegenstand des Verstoßes waren oder Waren oder Dienstleistungen enthalten haben, die Gegenstand des Verstoßes waren. Zur Erschütterung der Vermutung ist die Glaubhaftmachung von Tatsachen erforderlich, die eine teilweise oder vollständige Schadensabwälzung auf den mittelbaren Abnehmer ausschließen. Der Beweis des Gegenteils durch den Schädiger ist damit nicht erforderlich.

5. Gesamtschuldnerische Haftung der Kartellanten

Klargestellt wird, dass Kartellanten auch weiterhin als Gesamtschuldner haften. Der Innenausgleich zwischen den Kartellanten erfolgt u.a. nach den Verursachungsbeiträgen für den Schaden, wobei eine Begrenzung durch die nachfolgenden Haftungsbeschränkungen bestehen kann.

a) Haftungsbeschränkung zugunsten von kleinen und mittleren Unternehmen

Sowohl im Innenverhältnis der Kartellanten als auch im Außenverhältnis zu den Geschädigten besteht eine Haftungsbeschränkung zugunsten von kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“) soweit (i) der Anteil dieses KMU im relevanten Markt während des Zeitraums des Verstoßes stets weniger als 5% betrug und (ii) die regelmäßige Ersatzpflicht die wirtschaftliche Lebensfähigkeit unwiederbringlich gefährden und seine Aktiva jeden Wertes berauben würde. Unter diesen Voraussetzungen ist das KMU nur für den Schaden seiner eigenen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer oder Lieferanten haftbar. Andere Geschädigte müssen sich an die übrigen Kartellanten halten, es sei denn, ein Ersatz bei diesen kann nicht erlangt werden. Hierbei wird auch der erfolglose Versuch einer Zwangsvollstreckung zu fordern sein.

Die Haftungsbeschränkung entfällt jedoch in Gänze, wenn das KMU entweder (i) den Verstoß organisiert, (ii) andere Kartellanten zur Teilnahme gezwungen oder (iii) bereits in der Vergangenheit ein Verstoß des KMU gegen §§ 1 oder 19 GWB oder Art. 101 oder 102 AEUV behördlich oder gerichtlich festgestellt wurde.

b) Haftungsbeschränkung zugunsten von Kronzeugen

Zudem besteht eine entsprechende Haftungsbeschränkung zugunsten von Kronzeugen, die ebenfalls nur für den Schaden ihrer eigenen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer oder Lieferanten haften. Andere Geschädigte müssen sich auch insoweit an die übrigen Kartellanten halten, wobei erneut eine Ausfallhaftung besteht.

7. Herausgabe- und Auskunftsanspruch

Eine wesentliche Erleichterung der faktischen Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs ist der neu eingeführte Anspruch des Geschädigten auf Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünften, die als Beweismittel für ein Schadensersatzverlangen benötigt werden. Der Anspruch besteht gegenüber jedem, der im Besitz von Beweismitteln ist, z.B. gegenüber einem Kartellanten, aber auch gegenüber einem unmittelbar Geschädigten. Hierbei sind die berechtigten Interessen des Verpflichteten im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Zudem werden Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen gegenüber einer Wettbewerbsbehörde von der Herausgabepflicht ausgenommen, andere Unterlagen sind bis zum Abschluss des wettbewerbsbehördlichen Verfahrens privilegiert. Zudem besteht ein Aufwendungsersatzanspruch des Auskunftspflichtigen für erforderliche Aufwendungen. Die Auskunftspflicht wird durch eine Schadensersatzpflicht bei vorsätzlich oder grob fahrlässig falschen, unvollständigen oder verweigerten Auskünften abgesichert. Zudem besteht auch ein Herausgabe- und Auskunftsanspruch desjenigen, der auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird und bestimmter Beweismittel für seine Verteidigung – etwa für die Erhebung der passing-on defence – bedarf.

8. Verjährung von Schadensersatzansprüchen

Die Verjährungsfrist beträgt für Schadensersatzansprüche nunmehr fünf Jahre. Sie beginnt mit Schluss des Jahres, in dem (i) der Anspruch entstanden ist, (ii) der Anspruchsberechtigte Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen von (a) den den Anspruch begründenden Umständen und davon, dass sich daraus ein kartellrechtlicher Verstoß ergibt sowie (b) der Identität des Rechtsverletzers und (iii) der Beendigung des den Anspruch begründenden Kartellverstoßes. Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis verjähren die Ansprüche 10 Jahre nach Entstehung des Anspruchs und Beendigung des Verstoßes. Die Höchstfrist für die Verjährung beträgt 30 Jahre nach dem Verstoß. Der Anspruch gegen einen Kronzeugen, der von der erfolglosen Inanspruchnahme der anderen Kartellanten abhängt, verjährt erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Erfolglosigkeit der Inanspruchnahme der übrigen Kartellanten feststeht.

Der Anspruch gegen einen Kronzeugen oder ein KMU, der von der erfolglosen Inanspruchnahme der anderen Kartellanten abhängt, verjährt erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Erfolglosigkeit der Inanspruchnahme der übrigen Kartellanten feststeht.

Die Verjährung ist wie bisher gehemmt, wenn ein Verfahren eingeleitet wird (i) von einer deutschen Kartellbehörde wegen eines Kartellverstoßes oder (ii) von der Europäischen Kommission oder einer Wettbewerbsbehörde eines anderen EU-Mitgliedstaats wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 oder 102 AEUV bzw. gegen das entsprechende nationale Wettbewerbsrecht.

III. Zeitliche Anwendbarkeit

Die neue Verjährungsregelung, einschließlich der neuen Verjährungsfrist von 5 Jahren, ist bereits auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes unverjährte Ansprücheanzuwenden. Der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung bestimmen sich jedoch nach den bisherigen Verjährungsvorschriften.

Die Auskunftsansprüche und die Abwälzungsvermutung stehen Geschädigten bei einer zukünftigen gerichtlichen Geltendmachung unmittelbar zur Verfügung. Eine Rückwirkung auf Verfahren, die bereits vor dem 26.12.2016 (dem Datum des Umsetzungsgebots) angestrengt wurden, findet nicht statt.

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