Das neue Bounty-System des DOJ: Revolution im US-Kartellrecht und Implikationen für (deutsche) Unternehmen
Update Compliance 11/2025
Das US-Justizministerium (Department of Justice, DOJ) schafft gezielt finanzielle Anreize für Whistleblower, die Hinweise auf kartellrechtliche Straftaten liefern. Das Whistle Blower Rewards Program (sog. „Bounty-System“) , das in Kooperation mit dem United States Postal Service (USPS) und dessen Office of Inspector General (OIG) entwickelt wurde, zielt darauf ab, die Aufdeckung und Verfolgung von Kartellverstößen und wettbewerbswidrigen Praktiken zu intensivieren. Für Unternehmen, Rechtsabteilungen und Compliance-Verantwortliche ergeben sich daraus Herausforderungen und Risiken, die eine Anpassung bestehender Compliance-Strukturen erforderlich machen.
Hintergrund und Zielsetzung des Bounty-Systems
Das DOJ verfolgt mit dem neuen Bounty-System das Ziel, bisweilen schwer zu entdeckenden Kartellrechtsverstöße – insbesondere Preisabsprachen, Angebotsabsprachen und Marktaufteilungen – effektiver aufzudecken und zu sanktionieren. Kartellrechtsverstöße werden häufig im Verborgenen begangen, sodass klassische Ermittlungsansätze an ihre Grenzen stoßen. Das Bounty-System setzt daher auf Insiderwissen: Einzelpersonen, die freiwillig und eigeninitiativ relevante Informationen liefern, können mit bis zu 30 % der verhängten Strafzahlungen belohnt werden, sofern ihre Hinweise zu einer Verurteilung und einer Mindeststrafe von 1 Million US-Dollar führen.
Das Programm ist in enger Abstimmung zwischen DOJ, USPS, USPS OIG und dem United States Postal Inspection Service (USPIS) entstanden. Die Zusammenarbeit dieser Behörden soll eine effektive Koordination bei der Entgegennahme, Bewertung und Verfolgung von Hinweisen gewährleisten.
Funktionsweise und Voraussetzungen für Hinweisgeber
Das Bounty-System ist an spezifische Voraussetzungen geknüpft:
- Meldung von Straftaten: Belohnt werden Hinweise auf strafbare Verstöße gegen das US-Kartellrecht (insbesondere §§ 1-3 Sherman Act, also Preisabsprachen, Angebotsabsprachen, Marktaufteilungen, Monopolisierung) sowie auf damit verbundene Straftaten, die den Wettbewerb oder öffentliche Beschaffungen betreffen.
- Bezug zur USPS: Die gemeldeten Verstöße müssen einen Bezug zum USPS, dessen Einnahmen oder Vermögenswerten aufweisen. Die Behörden haben jedoch signalisiert, dass sie diesen Bezug weit auslegen werden, um die Wirksamkeit des Programms zu maximieren.
- Originalität und Freiwilligkeit: Die Informationen müssen freiwillig, vor einer behördlichen Aufforderung und auf Basis eigener Erkenntnisse geliefert werden. Sie dürfen nicht bereits den Behörden bekannt oder aus öffentlichen Quellen abgeleitet sein.
- Ausschluss bestimmter Personen: Nicht belohnungsberechtigt sind u.a. Personen, die selbst als Initiatoren oder Haupttäter agiert haben, sowie Mitarbeiter von DOJ, USPS oder anderen Strafverfolgungsbehörden und deren Angehörige.
- Ausnahmen für Compliance- und Führungspersonal: Grundsätzlich sind auch Compliance- und Audit-Mitarbeiter sowie Führungskräfte von der Belohnung ausgeschlossen, wenn sie Informationen im Rahmen ihrer Funktion erhalten. Es bestehen jedoch Ausnahmen, etwa wenn die Meldung zur Verhinderung schwerer Straftaten erforderlich ist oder die interne Meldung erfolglos blieb und nach 120 Tagen an das DOJ weitergeleitet wird.
Praktische Auswirkungen für Unternehmen
Das neue Bounty-System stellt einen Paradigmenwechsel in der US-Kartellrechtsdurchsetzung dar und hat weitreichende praktische Konsequenzen für (deutsche) Unternehmen:
- Erhöhtes Entdeckungsrisiko und neue Meldewege: Durch die finanziellen Anreize steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Insider – auch ohne eigene Strafverfolgungsgefahr – Kartellrechtsverstöße melden. Dies betrifft nicht nur klassische „Whistleblower“, sondern auch Mitarbeitende, die bislang keinen Anreiz hatten, sich an die Behörden zu wenden. Unternehmen müssen damit rechnen, dass interne Missstände schneller und häufiger extern angezeigt werden.
- Wechselwirkung mit dem Leniency-Programm: Das DOJ unterhält seit Jahren ein Corporate Leniency Program, das Unternehmen und Einzelpersonen, die als erste einen Kartellverstoß melden und umfassend kooperieren, Immunität vor Strafverfolgung gewährt. Das neue Bounty-System ergänzt dieses Programm, indem es auch Dritten – ohne eigene Strafbarkeit – einen Anreiz zur Meldung gibt. Für Unternehmen bedeutet dies: Die Zeitspanne, in der eine Selbstanzeige noch zur Erlangung von Straffreiheit führen kann, wird kürzer. Interne Hinweise müssen daher noch schneller und konsequenter aufgearbeitet werden
Bedeutung effektiver Compliance-Systeme: Angesichts des erhöhten Entdeckungsrisikos und der potenziellen finanziellen Anreize für Whistleblower ist ein robustes Compliance-Management-System (CMS) wichtiger denn je.
Unternehmen sollten:
- Mitarbeitende regelmäßig zu kartellrechtlichen Risiken und Meldewegen schulen,
- interne Hinweisgebersysteme implementieren und deren Funktionsfähigkeit regelmäßig testen,
- klare Prozesse für die interne Aufklärung und das Management von Hinweisen etablieren,
- Anti-Retaliation-Trainings für Führungskräfte und den Vorstand durchführen,
- vertragliche Regelungen (z. B. Vertraulichkeitsvereinbarungen) so gestalten, dass sie die Möglichkeit zur Meldung an Behörden nicht unzulässig einschränken.
Interne und externe Koordination
Die enge Abstimmung zwischen DOJ, USPS, USPIS und OIG zeigt, dass die US-Behörden künftig noch koordinierter gegen Kartellrechtsverstöße vorgehen werden. Unternehmen, die in den USA tätig sind oder mit US-Behörden in Berührung kommen, müssen sich auf eine verstärkte behördliche Zusammenarbeit und einen intensiveren Informationsaustausch einstellen. Dies gilt insbesondere für Branchen, die regelmäßig mit öffentlichen Aufträgen oder dem USPS in Kontakt stehen.
Ergänzung des kürzlich verkündeten Whistleblower-Programms des DOJ
Das im August 2024 vorgestellte Whistleblower-Programm der Criminal Division des DOJ hatte noch Kartellverstöße ausdrücklich von seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen. Diese „Lücke“ schließt nunmehr das von der Antitrust Division (zusammen mit den anderen US-Behörden) vorgestellte Programm und erweitert damit signifikant den Anwendungsbereich des vom DOJ initiierten Hinweisgeber-Programms.“
Abweichungen zur bisherigen Praxis und internationale Relevanz
Das Bounty-System unterscheidet sich in mehreren Punkten von bisherigen US- und europäischen Ansätzen:
- Monetäre Anreize für Dritte: Während das Leniency-Programm primär auf Selbstanzeige und Kooperation von Tätern setzt, richtet sich das Bounty-System explizit an Dritte ohne eigene Strafbarkeit.
- Vorbild SEC-Programm: Das DOJ orientiert sich am erfolgreichen Whistleblower-Programm der US-Börsenaufsicht (SEC), das in den letzten Jahren zu zahlreichen Aufdeckungen und hohen Auszahlungen geführt hat.
- Weite Auslegung des USPS-Bezugs: Die Behörden haben angekündigt, den Bezug zu USPS-Interessen weit auszulegen, was die Reichweite des Programms erheblich erhöht.
- Abstimmung mit anderen Behörden: Die enge Zusammenarbeit zwischen DOJ, USPS, USPIS und OIG ist ein Novum und dürfte die Effektivität der Kartellrechtsdurchsetzung weiter steigern.
Für international tätige Unternehmen ist zudem relevant, dass das Bounty-System auch auf Sachverhalte Anwendung finden kann, die außerhalb der USA begangen wurden, sofern ein Bezug zum USPS oder US-Markt besteht.
Praxishinweis
Das neue Bounty-System des DOJ markiert einen Wendepunkt in der US-Kartellrechtsdurchsetzung. Unternehmen müssen sich auf ein signifikant erhöhtes Risiko der Aufdeckung und Verfolgung von Kartellrechtsverstößen einstellen. Die finanziellen Anreize für Whistleblower, die enge behördliche Zusammenarbeit und die Ausweitung der Anwendungsbereiche erfordern eine konsequente Stärkung und Anpassung der Compliance-Strukturen. Für Rechtsabteilungen und Compliance-Verantwortliche bedeutet dies, interne Meldewege zu stärken, Hinweise zügig und professionell aufzuarbeiten und die Belegschaft für die neuen Risiken zu sensibilisieren. Nur so lassen sich die mit dem Bounty-System verbundenen Risiken wirksam steuern und potenzielle Schäden für das Unternehmen minimieren.