06.02.2023Fachbeitrag

Update Gesellschaftsrecht Nr. 35

Zugang und Rechtswirkungen einer E-Mail während der üblichen Geschäftszeiten im unternehmerischen Verkehr

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21) hat entschieden, dass eine E-Mail, die im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, dem Empfänger grundsätzlich auch zu diesem Zeitpunkt zugeht und wirksam wird.

Die Parteien stritten über die Zahlung eines restlichen Werklohnanspruchs in Höhe von EUR 7.825,94 aufgrund eines Werkvertrages vom 19. August 2016. Die Beklagte beauftragte die Klägerin, Begrünungsarbeiten an Metallflächen und Fassaden an einem größeren Bauvorhaben zu erbringen. In der Folgezeit stritten sich die Parteien über die Wirksamkeit einer Abrechnungsvereinbarung und der Höhe einer Schlusszahlung. Mit Schreiben vom 27. November 2018 forderte die Klägerin die Beklagte zu einer weiteren Zahlung in Höhe von EUR 14.347,23 zuzüglich Anwaltskosten in Höhe von EUR 1.029,35 auf. Die Beklagte bot der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Zahlung in dieser Höhe zur Erledigung der Angelegenheit an. Vertreten durch ihre Rechtsanwälte antwortete die Klägerin mit E-Mail vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich mit Ausnahme des vereinbarten Sicherheitseinbehalts noch auf EUR 14.347,23. Ferner würden die Anwaltskosten als Verzugsschaden geltend gemacht. Kurz darauf versendete der Rechtsanwalt der Klägerin um 9:56 Uhr eine weitere E-Mail an die Beklagte. Diese hatte den Inhalt, dass eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin noch nicht erfolgt sei; die E-Mail von 9:19 Uhr solle daher unberücksichtigt bleiben. Zum 17. Dezember 2018 legte die Klägerin eine Schlussrechnung über eine Restforderung i. H. v. EUR 22.173,17. Die Beklagte jedoch überwies am 21. Dezember 2018 einen Betrag i. H. v. EUR 14.347,23 – die Summe aus der zunächst gestellten Schlussrechnung und den Anwaltskosten – an die Klägerin. Die Klägerin machte den Differenzbetrag i. H. v. EUR 7.825,94 gerichtlich geltend.

Wirksamer Abschluss eines Vergleichs

Wie schon die Vorinstanzen hat auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass durch die E-Mail des Rechtsanwalts der Klägerin vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, sowie der Zahlung der Beklagten ein Vergleich zustande gekommen ist. Nachdem die Klägerin das Angebot der Beklagten zunächst gemäß § 150 Abs. 2 BGB abgelehnt und gleichzeitig ein neues Angebot abgegeben hatte, war sie an das um 9:19 Uhr per E-Mail unterbreitete Angebot gemäß § 145 BGB gebunden. Die Beklagte hat dieses mit der Zahlung vom 21. Dezember 2018 stillschweigend angenommen. Dabei hat der Bundesgerichtshof betont, dass eine einem anderen gegenüber abzugebende Willenserklärung gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem sie ihm zugeht. Sie wird nur dann nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Voraussetzung eines Zugangs ist immer, dass die Willenserklärung dergestalt in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Jedenfalls in dem Fall, in dem die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf den Mailserver des Empfängers – die Widmung des E-Mail-Kontos zum Abschluss von Rechtsgeschäften vorausgesetzt – abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist die E-Mail dem Empfänger grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt zugegangen. Elektronische Willenserklärung in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders einen Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Der Empfänger wird in diesem Zeitpunkt über den Eingang der E-Mail unterrichtet und ist in der Lage, die Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen. Der um 9:56 Uhr erklärte Widerruf war im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB verspätet. Durch die Zahlung am 21. Dezember 2018 hat der Beklagte das Angebot im Sinne des § 147 Abs. 2 BGB konkludent angenommen.

Bedeutung für die Praxis

Eine E-Mail ist schnell versendet – ebenso schnell können mit ihr Rechtswirkungen eintreten. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sorgt zwar für Rechtssicherheit, hat aber auch zur Folge, dass eine einmal per E-Mail übermittelte Willenserklärung grundsätzlich nur noch widerrufen werden kann, wenn dem Absender ein besonderes Widerrufsrecht zusteht. Ein „Einholen“ der Erklärung durch den Absender im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ist damit in der Praxis ausgeschlossen, nach strengster Auslegung sogar dann, wenn der Empfänger zuerst den später eingegangenen Widerruf und erst danach die erste E-Mail liest. Dies dürfte im Streitfall ohnehin nur schwer zu beweisen sein. Bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften über E-Mail-Verkehr ist daher besondere Achtsamkeit geboten. Kontrollmechanismen vor Absenden einer E-Mail sind in jedem Fall anzuraten. Vor dem Versenden mag es für Absender zusätzlich vorteilhaft sein, Vorbehalte in die Erklärung aufzunehmen.

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