29.07.2016Fachbeitrag

Sondernewsletter Brexit 29. Juli 2016

Beratungsthemen im Zusammenhang mit einem drohenden Brexit: Restrukturierung/grenzüberschreitende Insolvenzverfahren

Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren im Verhältnis zum UK

Die Frage, welches Recht auf grenzüberschreitende Insolvenzverfahren innerhalb der EU anwendbar ist und welches Gericht für die Eröffnung und Überwachung oder Durchführung des Insolvenzverfahrens zuständig ist, regelt die in jedem EU-Mitgliedstaat mit Ausnahme von Dänemark unmittelbar anwendbare Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (EuInsVO).

Wichtigste praktische Konsequenz der Anwendung der EuInsVO ist, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein zuständiges Gericht eines EU-Mitgliedstaats sowie die zur Durchführung dieses Insolvenzverfahrens getroffenen Maßnahmen in allen übrigen EU-Mitgliedstaaten ohne weiteres anerkannt werden und damit die Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens in einem weiteren EU-Mitgliedstaat sperrt.

Die Anwendbarkeit der Regelungen der EuInsVO auf ein Insolvenzverfahren setzt voraus, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (Centre of Main Interests, COMI) in einem EU-Mitgliedstaat mit Ausnahme von Dänemark befindet und dass dem Insolvenzverfahren ein grenzüberschreitender Sachverhalt zugrunde liegt, der Schuldner also entweder Vermögen in anderen EU-Mitgliedstaaten besitzt und/oder Rechtsverhältnisse mit Bezug zu einem anderen EU-Mitgliedstaat abgeschlossen wurden.

Demzufolge ist die EuInsVO nicht anwendbar auf Verfahren eines EU-Mitgliedstaats mit keinerlei Bezug zu grenzüberschreitenden Sachverhalten oder nur zu Drittstaaten (d.h. Nicht-EUMitgliedstaaten oder zu Dänemark).

Ab dem Tag des Austritts des UK aus der EU würde die EuInsVO im UK nicht mehr gelten und auch für die EU-Mitgliedstaaten im Verhältnis zum UK nicht mehr zur Anwendung kommen.

Welche Konsequenzen das haben wird, hängt davon ab, ob und welche Vereinbarungen das UK und die EU miteinander treffen:

  • Die EU und das UK könnten die Fortgeltung der EuInsVO zwischen dem UK und den EUMitgliedstaaten vereinbaren. Das würde bedeuten, dass grenzüberschreitende im UK eröffnete Insolvenzverfahren weiterhin eine automatische Anerkennung in dem jeweiligen Mitgliedstaat finden würden.
  • Würden die EU und das UK keine Vereinbarung treffen, wäre mit folgenden Konsequenzen zu rechnen:

Zum einen wäre es möglich, dass im UK und in dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat parallel konkurrierende Insolvenzverfahren eröffnet werden könnten.

Zum anderen wäre eine automatische Anerkennung der im UK eröffneten grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren in dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat sowie umgekehrt nicht mehr sichergestellt, sondern würde sich grundsätzlich nach dem nationalen Recht des UK bzw. des jeweiligen EU-Mitgliedstaates richten.

Allerdings hat das UK das UNCITRAL-Modellgesetz übernommen, welches bestrebt ist, einen weltweiten Standard für die Kooperation bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren aufzubauen. Insbesondere sorgt dieser Standard für einheitliche Kriterien für eine Anerkennung von ausländischen Insolvenzverfahren ohne Rücksicht darauf, dass der jeweilige ausländische Staat das UNCITRAL-Modellgesetz umgesetzt hat. Anders als unter Geltung der EuInsVO, ist aber die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren nach dem UNCITRAL-Modellgesetz nicht automatisch, sondern von formeller Anerkennung abhängig.

Schemes of Arrangement

Für die Restrukturierung der Passivseite haben auch deutsche Unternehmen vereinzelt das Scheme of Arrangement (SoA) nach dem englischen Companies Act 2006 genutzt, so z.B. Tele-Columbus, Primacom und Rodenstock.

Grund für die Durchführung eines SoA war in diesen Fällen jeweils, dass das SoA dem Unternehmen erlaubt, unter Vermeidung eines umfassenden Insolvenzverfahrens seine Schulden mit Hilfe eines Mehrheitsbeschlusses der Gläubiger gegen eine opponierende Minderheit (Akkordstörer) zu restrukturieren.

Unternehmen mit Sitz außerhalb des UK können im UK ein SoA durchführen, wenn sie eine hinreichende enge Verbindung zum UK haben. In der Regel ist dafür ausreichend, dass das jeweilige Unternehmen Vermögen in England hat oder die wesentliche Vertragsdokumentation englischem Recht unterliegt und die Parteien sich einem englischen Gerichtsstand unterworfen haben.

Als weitere Voraussetzung zur Durchführung eines SoA verlangen die Gerichte im UK allerdings die Bestätigung, dass das SoA in dem Sitzstaat des Unternehmens und in den übrigen Staaten, in denen das Unternehmen relevante Vermögensgegenstände hält, anerkannt werden wird (sog. recognition opinion).

Für die unmittelbare Anerkennung und Vollstreckbarkeit eines SoA in dem anderen EUMitgliedstaat, in welchem das relevante Unternehmen seinen Sitz und/oder Vermögen hat, sorgt zurzeit die EuGVVO.

Nach dem Austritt des UK aus der EU ist die EuGVVO im Verhältnis zum UK nicht mehr anwendbar. Die Anerkennung eines SoA in Deutschland oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat wird sich dann nach dem jeweiligen nationalen Recht richten.

Sollte das UK Mitglied des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bleiben, könnte das SoA auf diesem Wege eine ähnliche Anerkennungsfähigkeit in den EU-Mitgliedstaaten finden wie unter der EuGVVO.

In jedem Fall ist damit zu rechnen, dass die Unsicherheit über die rechtliche Anerkennung eines SoA in den EU-Mitgliedstaaten zu erhöhtem Aufwand führen wird, der die Attraktivität des SoA reduzieren kann. Wegen des anhaltenden Bedarfs nach einer Lösung der Akkordstörer-Problematik bei der Restrukturierung von komplexen Unternehmensfinanzierungen wird die Praxis verstärkt nach anderen rechtssicheren Instrumenten suchen.

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