18.08.2025 Fachbeitrag

Bundesgerichtshof: Unrichtige Angaben in Feststellungserklärung und Einkommensteuererklärung sind zwei eigenständige Taten der Steuerhinterziehung

Update Compliance 9/2025

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 30. April 2025 (1 StR 39/25) klargestellt, dass unrichtige Angaben in einer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 181 Abs. 2 Nr. 1 AO) und solche in einer denselben Veranlagungszeitraum betreffenden Einkommensteuererklärung (§ 25 Abs. 1 EStG, § 56 EStDV) auch dann eigenständige Taten im materiellen wie im prozessualen Sinn sind, wenn die unrichtigen Angaben in beiden Erklärungen dieselben Besteuerungsgrundlagen betreffen und der nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ergangene Grundlagenbescheid gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO Bindungswirkung für die Einkommensteuerveranlagung entfaltet. Dasselbe gilt für das Verhältnis der Taten zueinander, wenn Erklärungen pflichtwidrig nicht abgegeben worden sind.

Sachverhalt

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte betrieb von 2009 bis 2017 eine SB-Autowaschanlage und ab 2011 zusätzlich einen Altpapierhandel. Im Rahmen des Altpapierhandels arbeitete er ab 2012 mit einem Logistikunternehmer zusammen, wobei die erzielten Gewinne nicht ordnungsgemäß versteuert wurden. Für die Jahre 2009 bis 2011 wurden Steuererklärungen mit unrichtigen Angaben abgegeben, für die Jahre 2012 bis 2017 wurden Steuererklärungen und Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gar nicht abgegeben. Insgesamt wurden Steuern in erheblichem Umfang hinterzogen.

Rechtlicher Hintergrund

Bei Einkünften, an denen mehrere Personen beteiligt sind, geht dem Erlass eines Steuerbescheids ein Bescheid zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Einkünften gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AO voraus. Der Inhalt des Feststellungsbescheids ist dann gemäß § 182 AO bindend für die Steuerfestsetzung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der in der Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrundlagen mit Bindungswirkung liegende Vorteil ein solcher spezifisch steuerlicher Art, der auf dem Tätigwerden der Finanzbehörde beruht und damit nicht gerechtfertigter Steuervorteil im Sinne der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO ist.

Mit Blick auf die aus § 182 Abs. 1 Satz 1 AO folgende Bindungswirkung für Folgebescheide, darunter die Einkommensteuerbescheide für die an dem Gewinn beteiligten Steuerpflichtigen, bewirkt bereits der Erlass eines unrichtigen Feststellungsbescheids eine konkrete Gefährdung des staatlichen Steueranspruchs. Deshalb ist die Tat bereits mit Erlass des Feststellungsbescheids vollendet. Die durch die Berücksichtigung der festgestellten unrichtigen Besteuerungsgrundlagen bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden bewirkte Steuerverkürzung stellt lediglich einen weitergehenden Taterfolg dar, der insbesondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungsbeginn der Steuerhinterziehung von Bedeutung ist.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs

Vor dem Hintergrund dieser Bindungswirkung hat der Bundesgerichtshof mit dem neuerlichen Beschluss eine bedeutende Klarstellung für die Praxis getroffen:

Die vorgenannte Bindungswirkung der Feststellungsbescheide für Folgebescheide führt nicht dazu, dass unrichtige oder pflichtwidrig nicht abgegebene Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und unrichtige Einkommensteuererklärungen als Bewertungseinheit zu einer einzigen Tat im materiell-rechtlichen Sinne verschmelzen bzw. eine Tat im prozessualen Sinne bilden. An hiervon abweichender Rechtsprechung hält der Senat ausdrücklich nicht fest.

Der Bundesgerichtshof begründet dies wie folgt:

  • Zum einen bestehen die Pflichten zur Abgabe vollständiger und wahrheitsgemäßer Feststellungserklärungen und Einkommensteuererklärungen, trotz der sich aus § 182 Abs. 1 Satz 1 AO ergebenden Bindungswirkung, unabhängig voneinander. So befreit weder die Abgabe der Feststellungserklärung noch die Pflicht einer solchen, den Steuerpflichtigen in seiner Einkommensteuererklärung vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu steuerlich erheblichen Tatsachen zu machen.
  • Auch der Umstand, dass erst die Berücksichtigung der unrichtig festgestellten Besteuerungsgrundlagen bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden zur Beendigung der Steuerhinterziehung führt, lässt die Verletzung der Erklärungspflichten nicht zu einer Tat verschmelzen. Denn jede unrichtige Feststellungs- oder Steuererklärung sowie jedes pflichtwidrige Unterlassen stellt ein eigenständiges Handlungsunrecht dar.
  • Die Annahme einer Bewertungseinheit ist weder aufgrund von Art. 103 Abs. 2 GG noch wegen des Gebots der schuldangemessenen Strafe erforderlich. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben verlangen es nicht, bei der Bestimmung des tatbestandsmäßigen Erfolgs eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils im Sinne des § 370 Abs. 1 AO die Vollendung der Tat davon abhängig zu machen, dass auf Basis des konkret bezifferten Steuervorteils die (zukünftigen) Auswirkungen auf den Steueranspruch des Staates berechnet werden. Ebenso wenig ist es für die Strafzumessung notwendig, die Auswirkungen von Steuervorteilen, die sich aus unrichtigen Feststellungsbescheiden ergeben, auf die Besteuerung der begünstigten Steuerpflichtigen exakt zu beziffern.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bedeutet erhebliche Konsequenzen für die Praxis der Steuerstrafverteidigung.

Die Annahme von Tatmehrheit hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Bestimmung des großen Ausmaßes im Sinne des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15) liegt ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO bei einer Steuerverkürzung von mehr als EUR 50.000 pro Tat. Dabei hat der BGH klargestellt, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolgs zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung iSd § 52 StGB vorliegt, die für die Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf. Bislang wurden daher die Hinterziehungsbeträge aus der unrichtigen oder unterlassenen Feststellungserklärung und die Beträge aus der unrichtigen oder unterlassenen Einkommensteuererklärung aufgrund der Annahme von Tateinheit addiert.

Mit der aktuellen Klarstellung des Bundesgerichtshofs, dass es sich hierbei um Tatmehrheit handelt, sind die jeweiligen Verkürzungsbeträge nunmehr getrennt zu betrachten. Dies hat zur Folge, dass die einzelnen Verkürzungsbeträge nicht mehr addiert werden dürfen, sondern jeweils isoliert im Hinblick auf das Erreichen des Schwellenwerts von 50.000 EUR zu prüfen sind.

Das bedeutet einerseits, dass bei einem Verkürzungsbetrag von unter 50.000 EUR die Annahme zweier tatmehrheitlich begangener Steuerstraftaten die Schwelle zum besonders schweren Fall nicht dadurch überschritten werden kann, dass die jeweiligen Verkürzungsbeträge addiert werden. Liegt der Verkürzungsbetrag indes bei über 50.000 EUR, liegt ein besonders schwerer Fall gleich doppelt vor. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf die Strafzumessung haben.

Im Rahmen der Strafzumessung ist aufgrund der Tatmehrheit gemäß § 53 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden. Eine Gefahr einer doppelten Ahndung desselben Unrechts sieht der Bundesgerichtshof in diesen Fällen jedoch nicht.

Dazu führt er ausdrücklich an:

  • Soweit in der Einkommensteuererklärung ausschließlich die bereits in der Feststellungserklärung unrichtig oder unvollständig mitgeteilten Tatsachen wiederholt werden, liegt eine mitbestrafte Nachtat vor. Denn weder wird ein neues Rechtsgut verletzt, noch wird der Schaden qualitativ über das durch die Vortat verursachte Maß hinaus erweitert.
  • Werden in der Einkommensteuererklärung jedoch weitere steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtig erklärt, so macht sich der Steuerpflichtige einer weiteren Tat der Steuerhinterziehung schuldig. Dem Umstand, dass dem Tatunrecht bereits partiell durch die Ahndung einer anderen Tat Genüge getan worden ist oder wird, kann auf der Strafzumessungsebene Rechnung getragen werden.
  • Wenn die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen erst nach der Einkommensteuererklärung abgegeben wird, kann eine zuvor unrichtige oder unvollständige Einkommensteuererklärung als mitbestrafte Vortat gewertet werden.

Auswirkungen hat die Entscheidung auch auf die Verjährung der Taten, da insoweit für jede Tat eine eigene Verjährungsfrist läuft. Als Berater ist mithin explizit zu prüfen, ob einzelne Taten bereits verjährt sind.

Aus Verteidigersicht ist fortan auch stets darauf zu achten, dass die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft die beiden eigenständigen Taten aufgrund der Tatmehrheit jeweils konkret benennt und die beiden Pflichtverstöße klar voneinander abgrenzt. Dies unterscheidet sich wesentlich von der Tateinheit, bei der ein einheitlicher Lebenssachverhalt in der Anklage ausreicht. Unterbleibt die saubere Trennung, kann eine abweichende rechtliche Würdigung im Hauptverfahren nur unter Beachtung der Hinweispflicht nach § 265 StPO erfolgen.

Auch bei der Abgabe einer Selbstanzeige ist mit Blick auf die erforderliche Vollständigkeit Sorgfalt geboten, da beide Erklärungen für sich umfassend berichtigt werden müssen.

Fazit

Der Bundesgerichtshof schafft mit diesem Beschluss klare Verhältnisse: Feststellungs- und Einkommensteuererklärungen denselben Veranlagungszeitraum betreffend sind eigenständige Taten – mit weitreichenden Folgen für Verfahren, Strafzumessung, Verjährung und Selbstanzeigen.

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