LAG Berlin Brandenburg: Konsequente Compliance-Maßnahmen schützen den Arbeitgeber vor AGG-Haftung
Update Compliance 18/2025
Die Nutzung des „N-Worts“ durch den Vorgesetzten gegenüber einem Arbeitnehmer muss nicht zwingend zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG führen, wenn der Arbeitgeber auf eine Beschwerde des Arbeitnehmers hin zeitnah konsequente Compliance-Maßnahmen trifft. Das entschied das LAG Berlin Brandenburg mit Urteil vom 16. Mai 2025 (12 Sa 1014/24). Es wies die Berufung eines Arbeitnehmers zurück, der eine Entschädigung und die Unwirksamkeit einer im Nachgang ausgesprochenen Änderungskündigung geltend gemacht hatte.
Sachverhalt
Der Kläger, der schwarzer Hautfarbe ist und als Head of Analytics bei der Beklagten seit Januar 2023 beschäftigt war, wurde bei einem Auslands‑Offsite im Februar 2023 von seinem Vorgesetzten frühmorgens unter Alkoholeinfluss auf deren gemeinsamen Hotelzimmer durch Verwendung des „N-Worts“ beleidigt. Er beschwerte sich unter Bezugnahme auf § 13 AGG und forderte EUR 10.000 Entschädigung von der beklagten Arbeitgeberin. Diese ergriff auf die Beschwerde hin anderweitige Maßnahmen. Sie mahnte den Vorgesetzten ab und verpflichtete ihn, eine Schulung mit Bezug zum Thema Diskriminierung zu besuchen. Im Juni 2023 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung aus. Der Kläger sollte fortan als „Lead Data Analyst“ zu ansonsten unveränderten Vertragsbedingungen weiterbeschäftigt werden.
LAG: Würdeverletzung, aber kein „feindliches Umfeld“ – konsequente Reaktion des Arbeitgebers als entscheidender Aspekt
Das LAG bejahte eine Würdeverletzung durch die Verwendung des „N-Worts“ und ordnet die Begrifflichkeit klar als rassistisch diskriminierend ein.
Es fehle indes an der zweiten Tatbestandsvoraussetzung der AGG Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG, nämlich der Schaffung eines „feindlichen Umfelds“. In Einklang mit der BAG-Rechtsprechung entschied das LAG, dass einmalige Vorfälle grundsätzlich kein feindliches Umfeld begründeten, es sei denn, sie sind besonders gravierend. Dies sei anhand einer wertenden Gesamtschau zu entscheiden.
Im vorliegenden Grenzfall überwogen dem LAG zufolge Faktoren gegen eine prägende Feindlichkeit des Arbeitsumfelds, darunter die situativen Umstände (auswärtige Veranstaltung, in den Morgenstunden, Alkoholeinfluss, Hotelzimmer außerhalb des eigentlichen Arbeitsorts) sowie vor allem die konsequente Reaktion des Arbeitgebers. Das LAG betonte, dass die Kränkung nur von einer einzelnen Person ausging und kein feindliches Umfeld daraus entstanden ist, dass weitere Mitarbeiter oder sogar Vorgesetzte sich dem kränkenden Verhalten angeschlossen hätten, sondern vielmehr die Beklagte auf den Vorfall mit einer Sanktionierung des Vorgesetzten reagiert hat. Konkret klärte die Beklagte den Sachverhalt auf, mahnte den Vorgesetzten ab und verpflichtete ihn, eine Schulung mit Bezug zum Thema Diskriminierung zu besuchen – ein Gesamtbild, das erkennbar keine Duldung diskriminierenden Verhaltens zulässt.
Die vier Monate später ausgesprochene Änderungskündigung, mit der sich lediglich der Titel des Klägers änderte, hielt das LAG für wirksam. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot aus § 16 AGG liege nicht vor. In Anwendung der Beweislastverteilung nach § 22 AGG konnte das LAG nicht feststellen, dass ein Zusammenhang zwischen der Beschwerde des Klägers und dem Ausspruch der Änderungskündigung bestand. Die Beklagte habe nachvollziehbar vorgetragen, dass es zu einer Zusammenlegung zweier Teams gekommen war. Eine Prüfung der Kündigung am Maßstab des § 1 Abs. 1 KSchG fand nicht statt, da die – auch bei Änderungskündigungen geltende – Wartezeit von sechs Monaten noch nicht abgelaufen war.
Gelebte Compliance-Maßnahmen schützen vor AGG-Haftung
Bereits in der Vergangenheit hat der BGH entschieden, dass ein effektives Compliance Management System (CMS) eine Geldbuße nach § 30 OWiG mindern und auch eine Optimierung des CMS als Reaktion auf das Bußgeldverfahren sich positiv auf die Bemessung auswirken kann (BGH v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16).
Die aktuelle Entscheidung des LAG gibt auch ein deutliches Zeichen für die arbeitsrechtliche Praxis: Ein wirksamer, dokumentierter und gelebter Compliance Mechanismus kann den Arbeitgeber vor AGG-Haftungsrisiken schützen. Konkret berücksichtigt das Gericht die repressiven Compliance-Maßnahmen des Arbeitgebers als Indiz gegen die Annahme eines feindlichen Umfelds. Wo Unternehmen nach einem Diskriminierungsvorfall unverzüglich, strukturiert und verhältnismäßig handeln, belegen sie die Erfüllung ihrer Präventions – und Schutzpflichten aus § 12 AGG und unterlaufen die Annahme einer strukturellen Duldung diskriminierenden Verhaltens.
Praxishinweis
Die Entscheidung des LAG zeigt, dass ein wirksames, risikobasiertes und gelebtes Compliance Management System im Unternehmen unverzichtbar ist. Dabei umfasst ein wirksames CMS neben präventiven Maßnahmen wie Verhaltensrichtlinien, regelmäßigen Schulungen und transparenten Meldekanälen insbesondere auch repressive Maßnahmen. Dazu gehören konsequente interne Untersuchungen sowie arbeitsrechtliche Sanktionen.
Kommt es zu einem Vorwurf, sollte der Sachverhalt unverzüglich, sachgerecht, objektiv und dokumentiert im Rahmen einer internen Untersuchung aufgeklärt werden. Auf Grundlage der daraus gewonnenen Erkenntnisse sind die weiteren erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Die Qualität und Nachvollziehbarkeit dieser Schritte wird von Gerichten im Rahmen der Gesamtschau ausdrücklich berücksichtigt und kann – wie die Entscheidung zeigt – haftungsausschließend wirken.