23.10.2025 Fachbeitrag

Bundesverfassungsgericht setzt deutliche Leitplanken für Kanzleidurchsuchungen

Update Compliance 13/2025

Durchsucht die Staatsanwaltschaft die Kanzleiräume eines Anwalts, betrifft das nicht nur den betroffenen Berufsträger, sondern auch die Interessen seiner Mandanten. Denn mit jeder Akte, jedem E-Mail-Postfach und jedem Datenträger geraten hochsensible Informationen in die Reichweite staatlicher Ermittlungsmaßnahmen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jetzt deutlich gemacht: Solche Eingriffe dürfen nur unter engsten Voraussetzungen stattfinden.

Ausgangsfall

Ein Rechtsanwalt hatte mit einer ehemaligen Mandantin einen Honorarstreit. Im Zuge dieses Konflikts entstand ein Verdacht auf versuchten Prozessbetrug, gestützt allein auf die Aussagen einer ehemaligen Kanzleimitarbeiterin. Ein Amtsgericht ordnete daraufhin die Durchsuchung der Kanzlei an. Dabei wurden unter anderem ein Computer und Akten beschlagnahmt. Später stellte sich heraus, dass der Verdacht unbegründet war. Der Anwalt legte Beschwerde gegen die Durchsuchung ein, blieb jedoch erfolglos und zog schließlich vor das BVerfG und rügte die Verletzungen von Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 103 GG (rechtliches Gehör).

Der Beschluss des BVerfG

Zwar erklärte das BVerfG die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, weil der Anwalt nicht alle fachgerichtlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hatte – insbesondere fehlte eine sogenannte Anhörungsrüge. Gleichwohl nutzte das BVerfG die Gelegenheit, die Maßstäbe für Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern noch einmal klarzustellen:

  • Besondere Schutzwürdigkeit: Kanzleidurchsuchungen betreffen nicht nur den betroffenen Anwalt, sondern auch Mandanten, die völlig unbeteiligt sind. Vertrauliche Informationen genießen daher höchsten Schutz.
  • Strenge Verhältnismäßigkeit: Ermittlungsbehörden müssen darlegen, dass eine Durchsuchung wirklich das mildeste Mittel ist. Oft können gezielte Herausgabeverlangen oder die Einsichtnahme in bereits vorhandene Unterlagen ausreichen.
  • Sorgfältige Abwägung erforderlich: Jede Maßnahme muss klar begründet sein, pauschale Rechtfertigungen genügen nicht.

Für den vorliegenden Fall deutete das BVerfG sogar an, dass der ursprüngliche Durchsuchungsbeschluss den Anforderungen an eine sorgfältige Abwägung nicht gerecht wurde.

Hintergrund: Kein generelles „legal privilege“ in Deutschland

Dass es überhaupt zu einer Durchsuchung der Anwaltskanzlei kommen kann, liegt daran, dass das deutsche Strafprozessrecht keinen allgemeinen Schutz von Anwaltskorrespondenz – sog. „legal privilege“ – gibt. Zwar verbietet § 160a StPO generell strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte. Dies gilt allerdings nicht für die Durchsuchung und die Beschlagnahme von Unterlagen: Ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot gilt nur für Verteidigerkorrespondenz (vgl. Update Compliance Nr. 9/2018).

Signal aus Karlsruhe an Ermittlungsbehörden

Auch wenn das BVerfG in diesem Fall keine inhaltliche Entscheidung treffen konnte, sendet der Beschluss eine klare Botschaft: Durchsuchungen in Anwaltskanzleien dürfen nicht zur Routine werden. Ermittlungsbehörden müssen künftig noch sorgfältiger die Voraussetzungen für eine Durchsuchung bei Rechtsanwälten prüfen und begründen, warum sie eine Maßnahme anordnen – andernfalls drohen verfassungsrechtliche Beanstandungen. Kommt es zu einer Durchsuchung, sind die Anforderungen an den Schutz nicht betroffener Mandanten hoch. Für Mandanten bedeutet das einen stärkeren Schutz sensibler Unterlagen, sobald diese in einer Kanzlei aufbewahrt werden.

Schutz nicht betroffener Mandatsakten weiterhin unzureichend

Liegen allerdings Voraussetzungen für eine Durchsuchung einer Kanzlei vor, haben Ermittlungsbeamte jedenfalls im Rahmen der Durchsicht von (auch elektronischen) Papieren (vgl. § 110 StPO) Zugriff auf mglw. nicht verfahrensrelevante Mandantenunterlagen. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das Bundesverfassungsgericht auch insoweit klargestellt hätte, dass nicht relevante Mandantenunterlagen von vornherein von der Durchsicht gem. § 110 StPO auszuschließen sind – dies jedenfalls, soweit Anhaltspunkte für ein planmäßiges „Verstecken“ einschlägiger Beweise in Fremdakten nicht bestehen. Kein Wort hat das Bundesverfassungsgericht auch dazu verloren, ob Unterlagen nicht betroffener Mandaten, die als Zufallsfunde in die Hände von Ermittlungsbehörden gelangen, gem. § 108 StPO verwertbar sind. Es spricht vor dem Hintergrund des generell hoch anzusetzenden Schutzstandards von anwaltlichen Berufsträgern einiges gegen eine Verwertbarkeit solcher Beweismittel.

Konsequenzen für Unternehmen

Mandanten von Rechtsanwälten dürfen sich zwar auch weiterhin nicht auf ein legal privilege verlassen – die Korrespondenz mit ihrem Anwalt ist auch weiterhin nicht vor dem Zugriff durch Behörden geschützt. Ist der Mandant nicht vom strafrechtlichen Vorwurf betroffen, gilt aber ein hoher Schutzstandard: Nicht vom Verfahren betroffene Mandate sind für Ermittlungsbehörden „tabu“, eine sog. „gezielte Suche nach Zufallsfunden“ ist ohnehin unzulässig.  Immerhin verdeutlicht die Entscheidung, dass Unternehmen im Ernstfall darauf vertrauen können, dass Eingriffe in ihre vertraulichen Unterlagen nicht leichtfertig erfolgen dürfen. Wer also seine Rechtsangelegenheiten über eine Kanzlei abwickelt, kann sich auf einen prinzipiell erhöhten Schutzstandard verlassen.

Handlungsempfehlung

Von einer Durchsuchung betroffene Rechtsanwälte müssen zwingend darauf achten, dass auch nur eine Durchsicht von nicht betroffenen Mandantenakten (vgl. § 110 StPO) mit der möglichen Folge eines Zufallsfundes i. S. von § 108 StPO unterbleibt. Sie sollten auf den Beschluss des BVerfG hinweisen und notfalls zur Durchsicht begehrte Akten versiegeln lassen und einen richterlichen Beschluss beantragen. Die berufsrechtlich gebotene getrennte Aktenführung lässt eine saubere Abgrenzung verstrickter Beweismittel von nicht betroffenen Mandatsunterlagen zu.

Fazit

Das BVerfG macht deutlich: Kanzleidurchsuchungen sind ein extremes Mittel und dürfen nur in Ausnahmefällen erfolgen. Für Unternehmen und Mandanten bedeutet das einen erhöhten Schutz sensibler Daten – ein starkes Signal für die Vertraulichkeit in der Zusammenarbeit mit Anwälten. Während der Durchsuchung ist darauf zu achten, dass nicht betroffene Mandatsunterlagen schon nicht gem. § 110 StPO durchsichtet werden.

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