Bundesverfassungsgericht kippt Triage-Regelung des Infektionsschutzgesetzes – Konsequenzen auch für Strafbarkeitsrisiken
Update Compliance 14/2025
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. September 2025 die Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz für verfassungswidrig erklärt. Die Vorschrift des § 5c IfSG greift zwar in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte ein, was dem Grunde nach verfassungsrechtlich zulässig sein kann. Es fehlt jedoch an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen des § 5c Abs. 1-3 IfSG. Ärztinnen und Ärzte können sich daher nicht mehr verbindlich an der Triage-Regelung des IfSG orientieren, wenn sie in Katastrophenfällen und Engpässen Zuteilungsentscheidungen treffen. Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken werden dadurch reduziert – voraussichtlich jedoch nur vorübergehend.
Ausgangslage
Während der Covid 19 Pandemie wurde kontrovers diskutiert, nach welchen Kriterien bei Kapazitätsengpässen zu priorisieren ist. Die Kriterien für eine „Triage“, also die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen bei unzureichenden Kapazitäten, waren hochumstritten. Kennzeichnend ist das moralische und rechtliche Dilemma, dass jede Verteilungsentscheidung potenziell den Verlust eines Menschenlebens zugunsten eines anderen bedeutet.
Mit § 5c Abs. 1-3 IfSG regelte der Bund erstmals ein Verfahren, ein Priorisierungskriterium sowie verbotene Kriterien für Triage-Situationen. § 5c Abs. 1 IfSG enthielt ein Diskriminierungsverbot und Vorgaben zum intensivmedizinischen Kapazitätsnotstand. § 5c Abs. 2 IfSG stellte auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit als maßgebliches Kriterium ab. § 5c Abs. 3 IfSG bestimmte die Zuständigkeit für Zuteilungsentscheidungen.
Auslöser für diese gesetzliche Regelung war ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus 2021, der den Gesetzgeber verpflichtete, Menschen mit Behinderungen im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung wirksam vor Benachteiligungen zu schützen.
Vierzehn Fachärztinnen und Fachärzte der Notfall- und Intensivmedizin erhoben Verfassungsbeschwerde gegen § 5c IfSG und rügten insbesondere eine Verletzung der Berufsausübungsfreiheit.
Wesentliche Erwägungen
Das Bundesverfassungsgericht hat der Beschwerde stattgegeben und die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Regelungen festgestellt. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit bedarf einer gesetzlichen Rechtfertigung, für die dem Bund jedoch die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Das Grundgesetz verleiht dem Bund Kompetenzen zur Abwehr und Vorbeugung von Krankheiten; eine detaillierte Allokationsregelung für Triage-Situationen fällt danach nicht in seine Zuständigkeit und bedarf auch nicht zwingend einer einheitlichen gesamtstaatlichen Regelung.
Kurz: Triage ist Ländersache.
Praxishinweis
Mit dem Wegfall des § 5c IfSG entfällt eine bundesrechtliche Pflicht, nach einem einheitlichen Schema (Überlebenswahrscheinlichkeit als einziges Kriterium) zu priorisieren. Die alleinige Orientierung an der Überlebenswahrscheinlichkeit war in der Ärzteschaft wegen Unklarheiten und Eingriffen in die Berufsfreiheit ohnehin umstritten.
Zuteilungsentscheidungen bei Engpässen sind nun nach ärztlichem Ermessen, der ärztlichen Sorgfaltspflicht und innerhalb der therapeutischen Verantwortung zu treffen – frei von bundesrechtlichen Weisungen. Die in § 5c IfSG vorgesehenen Kriterien entfalten keine Bindungswirkung mehr und dürfen jedenfalls nicht schematisch angewandt werden, wenn dies der ärztlichen Sorgfalt widerspräche.
Strafrechtlich kann daher ein Vorwurf nicht darauf gestützt werden, dass nicht „exakt nach § 5c IfSG“ entschieden wurde, da diese Norm nicht mehr gilt. Das stärkt die Therapiefreiheit und senkt das Risiko formaler Pflichtverletzungen durch Entscheidungen anhand des angegriffenen Regelung. Umgekehrt drohen Ärztinnen und Ärzten strafrechtliche Risiken, wenn eine Entscheidung – selbst bei Orientierung an der (ehemals) gesetzlichen Überlebenswahrscheinlichkeit – die fachärztlichen Sorgfaltsanforderungen verfehlt.
Eine zukünftige Triage Regel ist damit nicht vom Tisch. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2021 klargestellt, dass der Gesetzgeber Triage Regeln erlassen darf. Da dem Bund für die hier gekippte Regelung die Kompetenz fehlte, können nun die Länder eigene Regelungen oder Verfahren schaffen. Ärztinnen, Ärzte und Kliniken werden dann gegebenenfalls landesrechtliche Vorgaben beachten müssen.
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Saskia Reimann erstellt.