BGH: Berufsübliche Beratung kann als Beihilfe strafbar sein – wo die Grenze zu unerlaubten Gefälligkeitsgutachten verläuft
Update Compliance 12/2025
Berufstypische Beratungsleistungen können strafbare Beihilfe sein, wenn sie bewusst zur Unterstützung einer Straftat eingesetzt werden. Das gilt auch für Gutachten von Rechtsanwälten. Der Bundesgerichtshof hat die Revision eines Rechtsanwalts verworfen, der wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Gefälligkeitsgutachten im Kontext von Cum/Ex-Gestaltungen verurteilt worden war. Der Senat betont: Unabhängige, lege artis erstellte und auf vollständigem Sachverhalt beruhende Gutachten sind zulässig – „Gefälligkeitsgutachten“ bergen hingegen erhebliches Strafbarkeitsrisiko. Für Rechtssuchende gilt: Auf Gefälligkeitsgutachten kann man sich nicht berufen; sie tragen keinen sogenannten „Verbotsirrtum“.
Sachverhalt
Der Angeklagte verfasste mehrere Gutachten zur steuerlichen „Unbedenklichkeit“ von sog. Cum-Ex-Geschäften. Den Gutachten lagen bewusst unrichtige bzw. unvollständige Sachverhalte zugrunde; wesentliche Absprachen, Funktionsweisen und die Aufteilung der Gewinne über nicht marktgerecht bepreiste Derivate wurden – so die Urteilsgründe – verschleiert.
Zugrundelegung erkanntermaßen falscher oder unvollständiger Tatsachen ist strafbar
Der 1. Strafsenat qualifizierte dies als Beihilfe zur Steuerhinterziehung: Im Grundsatz bestätigte er die herrschende Ansicht, dass auch berufstypische Handlungen eine strafbare Beihilfe sein können. Weder Alltags- noch Berufshandlungen seien per se neutral. Es bedürfe einer wertenden Betrachtung im Einzelfall, ob es sich bei berufsneutralen Verhaltensweisen um eine strafbare Beihilfe oder straflose Berufsausübung handele.
Rechtsgutachten hätten normativen Charakter; von herrschenden Ansichten abweichende, aber rechtlich vertretbare Auffassungen seien zulässig und nicht strafbar. Lege artis erteilte Rechtsauskünfte bewegten sich also im erlaubten Risiko.
Allerdings seien „unrichtige deskriptive Aussagen“ problematisch: Wer bewusst Gegenauffassungen verschweigt oder einen falschen/unvollständigen Sachverhalt zugrunde legt, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen, erteile eine falsche Rechtsauskunft.
Im konkreten Fall habe der Angeklagte seinem Gutachten unzutreffende oder unvollständige Tatsachen zugrunde gelegt, um steuerliche Unbedenklichkeit zu begründen. Er habe gewusst, dass bei vollständiger Sachverhaltskenntnis die Steueranrechnung versagt würde, womit er sich abgefunden habe. Daher habe er Beihilfe zur durch Dritte begangene Steuerhinterziehung (§ 370 AO) geleistet.
Wichtig: Eine objektiv vertretbare Rechtsansicht führt für sich genommen nicht zur Strafbarkeit. Strafbar wird es, wenn die Beratung bewusst tatsachenwidrig/unvollständig ist oder als Werkzeug zur Tatförderung eingesetzt wird.
Konsequenzen für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
Gutachten, die auf bewusst falschem oder unvollständigem Sachverhalt beruhen, die beachtliche Gegenauffassungen und tragfähige Gegenargumente verschweigen oder verzerren oder die erkennbar der Ermöglichung/Absicherung einer Straftat dienen, sind, wenn der Anwalt dies weiß oder billigend in Kauf nimmt, als strafbare Beihilfe zu bewerten – wenn sie denn eine Haupttat fördern.
Straflos bleiben hingegen lege artis erstellte Gutachten auf vollständiger Sachverhaltsbasis mit nachvollziehbarer Auseinandersetzung mit Gegenansichten, die zu einer rechtlich vertretbaren Schlussfolgerung gelangen – auch wenn sie später als unzutreffend bewertet werden.
Rechtsanwälte müssen ihren Gutachten also eine sorgfältige, dokumentierte Sachverhaltsaufklärung zugrunde legen und Widersprüche oder offene Sachverhaltsaspekte adressieren. Sie müssen methodische Unsicherheiten offenlegen und Pro- und Contra-Argumente darlegen. Vor allem müssen sie ihre Unabhängigkeit wahren und dürfen keine Ergebnisvorgaben akzeptieren.
Konsequenzen und Rechtslage für Rechtssuchende
Für Rechtssuchende sind Gefälligkeitsgutachten rechtlich „wertlos“. Sie begründen keinen Vertrauensschutz und tragen keinen Verbotsirrtum (§ 17 StGB), weil sie nicht unabhängig, nicht sorgfältig und nicht sachverhaltsvollständig sind. Für einen (unvermeidbaren) Verbotsirrtum – der die Strafbarkeit ausschließt – verlangt die ständige BGH-Rechtsprechung
- die Einholung qualifizierter, unabhängiger, sorgfältiger Rechtsauskunft,
- vollständige und wahrheitsgemäße Offenlegung aller maßgeblichen Tatsachen,
- ernsthafte Prüfung und Plausibilisierung der Auskunft; Auseinandersetzung mit erkennbaren Gegenargumenten und
- Vertretbarkeit der Rechtsauffassung und kein „Ergebnisgutachten“.
Zusammenfassung und Praxishinweis
Nicht jede tatfördernde berufliche Handlung ist Beihilfe. Die Einholung von Rechtsrat vor zweifelhaften Entscheidungen gehört zum Alltag von Entscheidern – und das ist auch völlig in Ordnung. Zweifel an der Zulässigkeit von Verhaltensweisen oder Entscheidungen können Anlass für die Einholung eines Gutachtens sein, das die Zulässigkeit bestätigen kann – auch wenn sich später etwa im Rahmen einer rechtlichen Auseinandersetzung anderes ergibt. Rechtsrat allein ist daher nicht schon wegen Tatförderung strafbar, selbst wenn er auf einer abweichenden, aber vertretbaren Auffassung beruht. Erst die bewusste Verzerrung oder Verschleierung von Tatsachen – oder das Ausblenden relevanter Gegenauffassungen bei erkennbarer Tatnutzung – hebt die Handlung aus der Neutralität heraus und macht sie zur strafbaren Beihilfe.