21.09.2017Fachbeitrag

zuerst erschienen in der Zeitschrift für Versicherungswesen 18/2017

D&O-Versicherung: Die Rechte des Unternehmens bei Untätigkeit des versicherten Managers – Eine BGH-Grundsatzentscheidung

Der Bundesgerichtshof hat im Frühjahr ein Urteil zur D&O-Versicherung erlassen, das die bisher offene Frage klärt, welche Rechte das versicherungsnehmende Unter­nehmen hat, wenn der versicherte Manager hinsichtlich seines Deckungsschutzes untätig bleibt (Urteil vom 5. April 2017, IV ZR360fl5).

Der Sachverhalt

Die D&O-Versicherung zeichnet sich durch die besondere Konstellation aus, dass das Unternehmen den Versicherungsver­trag abschließt und auch die Prämie bezahlt. Die Rechte aus dem Versicherungs­vertrag stehen aber regelmäßig nur dem versicherten Leitungsorgan (Vorstand, Ge­schäftsführer, leitende Angestellte sowie Aufsichtsrat und gelegentlich auch Beirat) zu. Das Unternehmen selbst soll grundsätzlich keine Rechte geltend machen können.

Ob diese Konstruktion wirklich sinnvoll oder aber interessenwidrig ist, soll vorlie­gend nicht erörtert werden; eine Diskussion an anderer Stelle ist es aber wert. Im vorlie­genden Fall spielt dieser Aspekt keine Rolle.

Hier ging es um einen sogenannten ln­nenhaftungsfall. Der Vorstand einer Akti­engesellschaft hatte dieser durch Pflicht­verletzungen im Sinne der Schadensersatz­regelung in§ 93 AktG einen Millionenscha­den zugefügt. Dafür nahm ihn die Gesell­schaft in die Haftung und verlangte von ihm Ersatz des Schadens. Die Gesellschaft hatte eine D&O-Versicherung zugunsten ihrer Leitungsorgane abgeschlossen und auch die Prämie entrichtet. Der Versicherungs­schein blieb in den Händen der Gesell­schaft. Deren Rechte aber sind durch den Versicherungsvertrag stark eingeschränkt.

Die D&O-Versicherung ist eine Haft­pflichtversicherung, und zwar in der beson­deren Ausgestaltung einer Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff. VVG). Der D&O-Versicherer schuldet dem versicherten Leitungsorgan die Prüfung der Haft­pflichtfrage sowie die Abwehr (einschließ­lich Kostenübernahme) unbegründeten Ansprüche beziehungsweise die Freistellung des versicherten Leitungsorgans von begründeten Ansprüchen.

Voraussetzung ist allerdings in der Regel, dass das versicherte Leitungsorgan die ihm in der Versicherungspolice zugestandenen Rechte auch wirklich ausübt, und zwar zunächst und zumindest durch eine Schadenmeldung. Im Grunde ist dies auch ein eingespieltes Szenario, wenn man berück­sichtigt, dass etwa 90 % aller D&O Scha­denfälle in Deutschland auf der sogenann­ten Innenhaftung beruhen, also das Unter­nehmen seine eigenen Leitungsorgane auf Schadensersatz in Anspruch nimmt.

Im hier vorliegenden Fall tat der in An­spruch genommene Vorstand im Hinblick auf seine Versicherungsdeckung jedoch rein gar nichts. Er nahm nicht einmal Kontakt zum Versicherer auf. Die Gesellschaft, die davon ausgehen musste, dass der in An­spruch genommene Vorstand selbst niemals den von ihm angerichteten Schaden aus dem eigenen Vermögen würde ersetzen können, wandte sich deshalb selbst an den Versicherer.

Dieser lehnte die von der Gesellschaft be­gehrte Zusage der Deckung ab und wies darauf hin, dass die Gesellschaft als Versi­cherungsnehmerin gemäß dem Versiche­rungsvertrag keinen Anspruch auf Deckungszusage habe. Die Deckung könne ausschließlich der versicherte Vorstand be­anspruchen, was er aber nicht getan hatte.

Die Gesellschaft erhob daher Klage ge­gen den Versicherer und begehrte Feststel­lung, dass dem versicherten Vorstand Versi­cherungsschutz zu gewähren sei. Sie vertrat dabei die Auffassung, dass letztlich der dem versicherten Vorstand zustehende Versiche­rungsschutz im Ergebnis ihr zugutekomme. Das daraus resultierende wirtschaftliche In­teresse der Gesellschaft begründe für sie da­ mit auch das für eine Feststellungsklage stets erforderliche rechtliche Interesse (§ 265ZPO). Sie wies zugleich daraufhin, dass ihr bei weiterer Untätigkeit des schädigenden versicherten Vorstands die Verjährung der Deckungsansprüche drohe und damit der Gesellschaft der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren zu gehen droht.

Die beiden vorinstanzliehen Gerichte teilten jedoch die Auffassung des Versicher­ers und wiesen die erhobene Feststellungs­klage der Gesellschaft als unzulässig ab. Da­ gegen legte die Gesellschaft Revision zum Bundesgerichtshof ein und hatte damit Er­folg.

Die Entscheidung des BGH

Der Bundesgerichtshof geht an den Fall aus einem ganz anderen Blickwinkel heran, als es der Versicherer bei seiner Ablehnung getan hat. Während der Versicherer sich auf die Klausel im Versicherungsvertrag berief, nach der die Rechte aus dem Versiche­rungsvertrag den versicherten Leitungsor­ganen zustünden und nur von diesen auch geltend gemacht werden könnten, verweist der BGH zunächst auf das Gesetz. Der BGH zieht dazu die §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. I VVG heran und stellt fest, dass bei der hier vorliegenden Versicherung für fremde Rechnung von Gesetzes wegen die Geltend­ machung der Rechte der versicherten Per­sonen aus dem Versicherungsvertrag nicht diesen, sondern ausdrücklich dem Versiche­rungsnehmer zustünden. In der hier vorlie­genden Fallkonstellation sei nach dem Gesetz die geschädigte Gesellschaft als Prozes­sstandschafter also berechtigt, den Versicherer zur Erklärung über den Versi­cherungsschutz aufzufordern und die Deckungsansprüche des versicherten Vor­stands auch im Prozess geltend zu machen.

Sodann und auf dieser Grundlage wendet sich der BGH der genau dieses gesetzliche Recht der Versicherungsnehmerin aussch­ließenden Klausel im Versicherungsvertrag zu. Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass diese Klausel zwar nicht grundsätzlich un­wirksam sei, im vorliegenden Fall aber stehe sie der Anwendung der oben zitierten Ge­setzesvorschriften (§§ 44 Abs. 2 und 45 Abs.1 VVG) nicht entgegen. Das Gesetz habe Vorrang, und zwar aus folgenden Gründen.

Der BGH weist darauf hin, dass es dem Versicherer nach Treu und Glauben in ei­nem Fall wie dem hier zu entscheidenden verwehrt sei, sich auf eine fehlende Prozess­führungsbefugnis der Gesellschaft gegen­ über dem Versicherer zu berufen. Die Gel­tendmachung dieses Einwandes erscheine unter den gegebenen Umständen sogar als Rechtsmissbrauch.

Der BGH  befasst sich in diesem Zusam­menhang mit dem Sinn und Zweck der Klausel. Er erkennt an, dass die Klausel si­cherstellen soll, dass sie dem versicherten Vorstand zugutekommen soll, dessen Inter­esse schließlich versichert ist. Eine eigene Prozessführungsbefugnis solle den versi­cherten Vorstand darüber hinaus vor einer Abhängigkeit der Bereitschaft der versiche­rungsnehmenden Gesellschaft schützen, den Deckungsanspruch unter der D&O­-Versicherung zu verfolgen.

Allerdings wären die der Gesellschaft bei der im vorliegenden Fall drohenden Nach­teile bei Anwendung der Klausel gravie­rend. Das liege am in der Haftpflichtversi­cherung geltenden Trennungsprinzip. Da­nach müsste in einem vorgeschalteten Haftungsprozess der Gesellschaft gegen ihren Vorstand zunächst dessen Haftung festgestellt werden. Danach müsste der haf­tende Vorstand die Deckung beim Versi­cherer geltend machen. Täte  er das nicht, wie im vorliegenden Fall, müsste die Gesell­schaft den schädigenden Vorstand um­ständlich und zeitraubend in einem geson­derten Gerichtsverfahren – möglicherwei­se über mehrere Instanzen – dazu zwingen lassen, gegen den Versicherer, der sich dies alles in Ruhe anschauen kann, Deckungs­klage zu erheben. Inzwischen könnte der Deckungsanspruch durchaus verjähren.

Die Gesellschaft würde damit den von ihr kontrahierten und durch Prämienzahlung finanzierten Zugriff auf die Versicherungs­summe und den in Gestalt des Versicherers womöglich einzigen liquiden Schuldner verlieren.

Der BGH wendet sich in diesem Zusam­menhang der Sozialbindung in der Haft­pflichtversicherung zu. Es sei allgemein an­ erkannt, dass ein am Versicherungsvertrag nicht beteiligter geschädigter Dritter ein ei­genes rechtliches Interesse an der gerichtli­chen Feststellung haben kann, dass der Versicherer dem Schädiger Deckungsschutz zu gewähren habe. Der Rekurs auf die Sozial­bindung in der Haftpflichtversicherung be­zwecke, dass dem Geschädigten die Versi­cherungsentschädigung zugute komme.

Dieses Prinzip sei auf den hiervorliegen­ den Fall übertragbar, in dem wegen der Untätigkeit des versicherten Vorstands die Verjährung des Deckungsanspruchs sowie der "Verlust" des solventen Schuldners dro­he. Die Sozialbindung in der Haftpflicht­versicherung die – unter anderem in Fällen nicht ausreichender Mittel des Schädigers­ Geschädigte schützen und deren Schaden­ersatz sichern soll, gelte auch in Innenhaf­tungsfällen bei der D&O-Versicherung.

Dies wiederum verweist auf zwei andere, im Jahre 2016 ergangene, Grundsatzent­ scheidungen des BGH (IV  ZR 304/ 13, IV ZR 51/ 14), in denen festgeschrieben wurde, dass die für Dritte geltende Regelung des § 108 Abs. 2 VVG auch für ein Unternehmen als Versicherungsnehmer einer D&O­-Versicherung in Innenhaftungsfällen gelte: Dann ist das Unternehmen in der Position eines geschädigten Dritten und ist durch die Sozialbindung in der Haftpflichtversiche­rung begünstigt.

Der BGH rundet sodann diese Argumente mit dem Hinweis darauf ab, dass die ge­setzliche Regelung den Versicherer in der vorliegenden Fallkonstellation auch gar nicht benachteilige. Die §§ 44 Abs., 45 Abs.l VVG dienten schließlich gerade auch dem Schutz des Versicherers. Ihm solle die zweckmäßige Abwicklung des Versiche­rungsvertrags erleichtert werden, indem er es nur mit dem Versicherungsnehmer als Vertragspartner zu tun habe. Es wäre dann sogar von Nachteil für den Versicherer, wenn er sowohl mit dem Versicherungsneh­mer als auch der versicherten Person paral­lel zu tun hätte, und dadurch ließe sich dann auch die Umkehr der Verhältnisse durch Abbedingung der gesetzlichen Regelung rechtfertigen. Ein solcher Fall liege hier aber gar nicht vor, denn der versicherte Vorstand sei untätig. In dieser Konstellation gebühre dem dargestellten Interesse der ge­schädigten Gesellschaft der Vorrang.

Ausblick

Mit dieser grundlegenden Entscheidung hat der BGH seine Rechtsprechung weiter gefestigt, wonach dem geschädigten versi­cherungsnehmenden Unternehmen auch bei Innenhaftungsfällen in der D&O-Versicherung dieselben Rechte wie die eines ge­schädigten Dritten in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung zustehen.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die Urteilsbegründung die bemerkenswerte Si­tuation des versicherungsnehmenden Un­ternehmens, das zwar der Vertragspartner des Versicherers ist und die teils erheblichen Prämien bezahlt. Auf der anderen Seite soll es bei einem Schaden im Innenverhältnis nicht nur praktisch rechtlos sein. Vielmehr sieht sich das Unternehmen sowohl dem Versicherer als auch dem Vorstand als Geg­ner gegenüber – was oft zu erbitterten Pro­zessen und mancher unschönen Situation führt.

Die Entwicklung der D&O-Versicherung, die in Deutschland einmal gleichsam als Import aus dem US-amerikanischen Recht eingeführt wurde und noch immer von Aspekten des Common Law beeinflusst ist, kann – wie sich gerade hier wieder zeigt immer noch nicht als abgeschlossen gel­ten. Vor allem den anbietenden Versiche­rern und Maklern bleibt hier noch vieles zu tun übrig, auch außerhalb der in der vorlie­genden höchstrichterlichen Grundsatzent­scheidung nun geregelten und entschiede­nen Sachverhalte.

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