Haftung gut verzinst: Bis zur Versicherungssumme und noch viel weiter
Der Beitrag wurde am 28. Oktober im Versicherungsmonitor erstveröffentlicht.
Halloween steht vor der Tür und dank des amerikanischen Kulturimports haben auch hierzulande Angst und Schrecken Hochkonjunktur. Das ist Anlass genug, einen Blick auf ein wenig beachtetes Zinsrisiko zu werfen, das in vielen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung schlummert. Auch hier kann ein Irrtum über die Haftungsfrage zu einem teuren Schreckensszenario werden. Das muss aber nicht passieren.
Es entspricht dem Leitbild des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), dass die Versicherungssumme in der Haftpflichtversicherung nur die Entschädigungsforderung, nicht aber die auf diese zu zahlenden Zinsen begrenzt. Gemäß Paragraf 101 Absatz 2 Satz 2 VVG soll dies jedenfalls dann gelten, wenn die Zinsbelastung des Versicherungsnehmers auf eine vom Versicherer veranlasste Verzögerung der Regulierung zurückzuführen ist. Welche Implikationen sich dadurch für die Mehrfachversicherung ergeben können, wurde in diesem Format schon beleuchtet.
In der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt ist hingegen, wann der Versicherer eine Verzögerung der Regulierung „veranlasst“ hat. Nach einer Ansicht soll hierfür ausreichen, dass er die Forderung des Dritten „nicht rechtzeitig“ erfüllt, sondern einen erfolglosen Abwehrprozess führt. Auf ein Verschulden des Versicherers soll es insoweit nicht ankommen.
Dahinter steht der Gedanke, dass die Erweiterung der Leistungspflicht des Versicherers auf die Zinsen der angemessen Risikoverteilung der bei der Abwehr von gegen den Versicherungsnehmer gerichteten Haftpflichtansprüchen entstehenden Risiken dient. Der Versicherungsnehmer wird den Schaden ohne Zustimmung des Versicherers regelmäßig nicht anerkennen. Ihn würde also das Risiko der Fehleinschätzung des Versicherers hinsichtlich der Begründetheit des Haftungsanspruchs voll treffen, wenn er dem Dritten die über die Versicherungssumme hinausgehenden Zinsen selbst erstatten müsste.
Von teuren Irrtümern…
Damit kann den Versicherer die Zinstragungslast bereits dann treffen, wenn er sich über den zu erwartenden Ausgang des Haftungsprozesses geirrt hat.
Entschließt sich der Versicherer zur Abwehr eines die Versicherungssumme bei weitem übersteigenden Haftungsanspruchs und wird dessen Begründetheit erst nach einem langjährigen Rechtsstreit geklärt, kann die Versicherungssumme die Zinslast erheblich übersteigen. Solche Konstellationen kommen in der Praxis häufig vor. Ein Beispiel: Beläuft sich die Versicherungssumme auf einen Betrag in Höhe von 2,5 Mio. Euro und wird gegen den Versicherungsnehmer ein Haftungsanspruch in Höhe von 10 Mio. Euro geltend gemacht, fallen auf den Haftungsanspruch bei aktuellem Zinsniveau und einer Verzinsung mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich circa 860.000 Euro Zinsen an. Bereits die Zinsen für drei Jahre übersteigen in dem Beispiel die Versicherungssumme.
Da Verfahrensdauern von fünf oder zehn Jahren in komplexen Haftungsprozessen in der Praxis keine Seltenheit sind, kann sich ein solcher Prozess dann als ein Fass ohne Boden für den Versicherer erweisen.
…und schweigsamen Versicherungsbedingungen
Dass der versicherte Zinsanspruch sich nach der Höhe des begründeten Haftpflichtanspruchs richten könnte, ist dabei ein wenig beachtetes Risiko. Abhilfe könnten insoweit die Versicherungsbedingungen schaffen. Die Vorschrift des Paragrafen 101 VVG ist nach herrschender Meinung dispositiver Natur, mithin unter Beachtung AGB-rechtlicher Grenzen auch in Versicherungsbedingungen abdingbar.
Zwar dürfte es sich zu weit vom gesetzlichen Leitbild entfernen, wenn der Versicherer das Zinsrisiko vollständig dem Versicherungsnehmer aufbürdet. Eine Begrenzung der Zinstragungslast dahingehend, dass die Zinsen im Verhältnis des begründeten Haftpflichtanspruchs und der Versicherungssumme gequotelt werden, dürfte hingegen auf deutlich weniger Bedenken stoßen.
Viele Bedingungswerke – beispielsweise die Musterbedingungen des Versichererverbands GDV für die Haftpflichtversicherung – enthalten eine solche Regelung jedoch lediglich für die Prozesskosten. Sie sehen vor, dass der Versicherer diese Kosten lediglich im Verhältnis der Versicherungssumme zur Gesamthöhe der begründeten Haftpflichtansprüche trägt. Die vom Versicherungsnehmer dem Dritten als Nebenforderung geschuldeten Zinsen lassen sich nicht unter diese Regelung fassen.
Um dem „Zinsgespenst“ den Schrecken zu nehmen, lohnt sich deshalb nicht nur an Halloween ein kritischer Blick auf Lücken in den bestehenden Bedingungswerken.