Mitversicherung: Was darf der Führende?
Der Beitrag wurde am 10. Februar im Versicherungsmonitor erstveröffentlicht.
Bei der Abdeckung von Großrisiken, hauptsächlich im Bereich der industriellen Sachversicherung, ist es weit verbreitet, die Risiken im Rahmen einer sogenannten offenen Mitversicherung durch mehrere Versicherer zu decken. Trotz der großen praktischen Bedeutung ist das durch die gemeinsame Deckung entstehende Innenverhältnis der Versicherer häufig nur rudimentär geregelt. Es bleibt offen, mit welchen konkreten Befugnissen der führende Versicherer ausgestattet ist. Ein Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts sorgt für mehr Klarheit und stärkt die Rolle des Führenden.
Bei einer offenen Mitversicherung schließt der Versicherungsnehmer mehrere jeweils selbständige, jedoch untereinander korrespondierende Verträge mit mehreren Versicherern ab, mit denen das zu versichernde Risiko auf mehrere Versicherer verteilt wird. Die beteiligten Versicherer haften demnach nicht als Gesamtschuldner, sondern nur für ihren jeweils übernommenen Risikoanteil, der in der Regel in Quoten ausgedrückt wird.
Damit der Versicherungsnehmer sich aber nicht mit sämtlichen an der Mitversicherung beteiligten Versicherern einzeln auseinandersetzen muss, treffen die Versicherer untereinander üblicherweise eine Führungsabrede, wonach einem der Versicherer die Rolle des Führenden zugewiesen wird. Um dem Interesse des Versicherungsnehmers an einer zügigen Regulierung des Schadens Rechnung zu tragen, hat der Führende die Aufgabe, den Vertrag zu betreuen und die vertraglichen Pflichten gegenüber dem Versicherungsnehmer zu erfüllen. Mit welchen Kompetenzen der Führende ausgestattet sein soll, ist unterschiedlich und manchmal nur rudimentär geregelt – was zu Streit führen kann.
Streit unter Mitversicherern
So auch in dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht entschiedenen Fall (Urteil vom 7. Januar 2025, Az. 9 U 37/20), in dem der Führende einer Mitversicherungsgemeinschaft einen der Mitversicherer auf Erstattung verauslagter Versicherungsleistungen in Anspruch nahm.
Die Klägerin und die Beklagte waren gemeinsam mit anderen Versicherern als Mitversicherer an einer Garantie- und Betriebsunterbrechungs-Versicherung beteiligt, in der die Rolle des führenden Versicherers der Klägerin übertragen war. In der maßgeblichen Führungsklausel war vereinbart, dass die von dem Führenden abgegebenen Erklärungen und getroffenen Vereinbarungen für die Mitversicherer verbindlich sind – mit wenigen Ausnahmen, die zum Beispiel Änderungen der Höhe der Versicherungssummen oder der Kündigungsbestimmungen betreffen.
Auf Grundlage der ihr zugewiesenen Rolle als führender Versicherer regulierte die Klägerin mehrere Schäden durch Abschluss eines Vergleichs mit der Versicherungsnehmerin. Sie verpflichtete sich zur Zahlung eines Vergleichsbetrags in Höhe von 15 Mio. Euro. Nachdem die Klägerin mit der Zahlung des Vergleichsbetrags in Vorleistung gegangen war, forderte sie die Mitversicherer zur Zahlung ihrer jeweiligen Anteile am Vergleichsbetrag auf. Bis auf die Beklagte zahlten sämtliche Mitversicherer den ihren Quoten entsprechenden Anteil an die Klägerin aus.
Hanseatisches Oberlandesgericht stärkt die Rolle des Führenden
Die Klägerin machte in dem anschließenden Rechtsstreit zunächst vor dem Landgericht und sodann vor dem Oberlandesgericht Hamburg geltend, dass ihr als führender Versicherer ein vertraglicher Ausgleichsanspruch aus den für das Innenverhältnis der Mitversicherer vereinbarten Regelungen der Führungsvereinbarung gegen sämtliche Mitversicherer und somit auch gegen die Beklagte zustehe.
Das Hanseatische Oberlandesgericht vertrat den Standpunkt, die Klägerin habe als Führende aus der im Innenverhältnis getroffenen Führungsvereinbarung einen vertraglichen Erfüllungsanspruch auf Zahlung des von ihr verauslagten Anteils der Beklagten an dem Vergleichsbetrag. Die Führungsabrede begründe eine Pflicht der Mitversicherer, sich entsprechend ihres Anteils an der Erfüllung von Vereinbarungen zu beteiligen, die von dem führenden Versicherer im Rahmen seines rechtlichen Dürfens zur Abwicklung des Versicherungsfalles mit der Versicherungsnehmerin geschlossen werden.
Aus der Führungsklausel ergebe sich, dass die Erklärungen des Führenden und die von ihm mit dem Versicherungsnehmer getroffenen Vereinbarungen ohne Zustimmung der Mitversicherer wirksam sind. Denn für das Funktionieren der Mitversicherung sei es unerlässlich, dass jeder Mitversicherer verlässlich für seinen eigenen Anteil hafte. Mit der Führungsklausel hätten die Mitversicherer daher weitgehend ihre Mitbestimmungs- und Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Abwicklung eines Versicherungsfalls abgegeben und den Führenden mit weitgehenden Kompetenzen ausgestattet.
Da die Klägerin den Rahmen ihres rechtlichen Dürfens gemäß der Führungsklausel bei dem Abschluss des Vergleichs mit der Versicherungsnehmerin eingehalten habe, verurteilte das Gericht die Beklagte zur Zahlung des ihrer Beteiligungsquote entsprechenden Anteils an dem Vergleichsbetrag.
Fazit
Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts sorgt für mehr Klarheit hinsichtlich des Umfangs der an den führenden Versicherer übertragenen Kompetenzen und stärkt die Rolle des Führenden. Er hat bei der Regulierung von Schäden auch mit Wirkung für seine Mitversicherer – je nach Gestaltung der Führungsabrede – weitgehende Handlungsfreiheit.
Angesichts der Vielfältigkeit der in der Praxis vorkommenden Führungsabreden, sollte das Verhältnis der Mitversicherer jedoch nicht nur oberflächlich, sondern in einer die Rechte und Pflichten der Mitversicherer konkretisierenden Vereinbarung ausgestaltet werden. Denn durch eine klare Rollenverteilung kann anschließenden Kompetenzstreitigkeiten vorgebeugt werden.