Wirtschaftsprüferhaftung im Wirecard-Komplex: EY entgeht Musterverfahren
Der Beitrag wurde am 17. März im Versicherungsmonitor erstveröffentlicht.
In der Auseinandersetzung mit tausenden Wirecard-Anlegern konnte EY einen wichtigen Etappensieg verbuchen: Das Bayerische Oberste Landesgericht entschied jüngst, dass die Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht im Musterverfahren zu klären seien. Ob die Entscheidung „hundertprozentig falsch“ ist, wie Musterklägeranwalt Peter Mattil verlautbarte, muss nun der Bundesgerichtshof klären. Sollten die Anleger auch dort Schiffbruch erleiden, würden Schadenersatzansprüche gegen EY in weite Ferne rücken. Schon jetzt zeigt das Verfahren, wie „Mammutverfahren“ in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten die Justiz an die Grenzen bringen.
Die vielfach als einer der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik beschriebene Insolvenz der Wirecard AG beschäftigt die Justiz schon seit Jahren. Ins Visier der vielen Anleger, die mit den Aktien des insolventen Zahlungsdienstleisters Geld verloren haben, rückten dabei schnell die Wirtschaftsprüfer von EY, die in den Jahren 2014 bis 2018 jeweils uneingeschränkte Bestätigungsvermerke – sogenannte Testate – über die Prüfung der Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte von Wirecard erteilt haben.
In der Erwartung, mit EY einen solventen Schuldner in Anspruch nehmen zu können, strengten mehrere tausend Anleger ein sogenanntes Musterverfahren nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) gegen EY an, das aus Sicht der Anleger zunächst vielversprechend begann. Das Landgericht München I erließ im März 2022 einen Vorlagebeschluss, der das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) dazu verpflichten sollte, eine Entscheidung über die für eine Feststellung der Haftung von EY formulierten Feststellungsziele herbeizuführen.
Bestätigungsvermerk keine Kapitalmarktinformation
Vor dem BayObLG erlitten die Anleger jetzt jedoch einen herben Rückschlag, der die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen EY zunächst einmal in weite Ferne rücken lässt. Mit einen Teil-Musterentscheid vom 28. Februar 2025 (Az. 101 Kap 1/22) hat der 1. Zivilsenat des BayObLG sämtliche Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses, mit denen anspruchsbegründende Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche gegen EY festgestellt werden sollten, als unstatthaft zurückgewiesen.
Zum Verhängnis wurde den Anleger dabei, dass das Musterverfahren noch nach dem KapMuG in der bis zum 19. Juli 2024 geltenden Fassung geführt wird. Das BayObLG entschied, dass Schadensersatzansprüche gegen EY wegen der Erteilung der uneingeschränkten Bestätigungsvermerke in den Jahren 2014 bis 2018 nicht in den Anwendungsbereich des „alten“ Paragraph 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG fallen.
Nach dieser Norm sind Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation musterverfahrensfähig. Das BayObLG begrenzt den Anwendungsbereich dabei jedoch auf Schadensersatzansprüche gegen Emittenten und sonstige Personen, die dazu verpflichtet sind oder es freiwillig übernommen haben, den Kapitalmarkt zu informieren.
Soweit die Schadensersatzansprüche auf eine Verletzung von Prüfpflichten durch EY gestützt werden, komme als öffentliche Kapitalmarktinformation, an die eine Haftung geknüpft werden könne, nur die erteilten Bestätigungsvermerke in Betracht. Mit dem Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers kommuniziere der Prüfer das Prüfungsergebnis jedoch nicht gegenüber dem Kapitalmarkt. Vielmehr treffe die Pflicht zur Offenlegung des Bestätigungsvermerks die geprüfte Kapitalgesellschaft, die damit auch die Aufgabe der Unterrichtung des Kapitalmarkts übernehme.
Herber Rückschlag für die Anleger
In der Rechtsprechung und juristischen Literatur ist schon lange umstritten, ob Schadensersatzansprüche gegen den Abschlussprüfer wegen der Erteilung eines Bestätigungsvermerks in den Anwendungsbereich des KapMuG fallen. Hierauf hat der Gesetzgeber reagiert und die Bestätigungsvermerke von Abschlussprüfern zu offenzulegenden Jahresabschlüssen in dem im Sommer vergangenen Jahres in Kraft getretenen „neuen“ KapMuG ausdrücklich in den Katalog der relevanten Kapitalmarktinformationen aufgenommen.
Für die klagenden Anleger kommt diese Gesetzesänderung jedoch möglicherweise zu spät. Zwar ist sie nächste Runde bereits eingeläutet: Die Prozessbevollmächtigten des Musterklägers haben angekündigt, von der vom BayObLG eingeräumten Möglichkeit einer Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) Gebrauch zu machen. Vor dem höchsten Zivilgericht wird sich dann zeigen, ob die Entscheidung des BayObLG wirklich „hundertprozentig falsch“ ist, wie die Anlegervertreter meinen.
Sonderlich wahrscheinlich ist ein Erfolg der Anleger vor dem BGH indes nicht. Der BGH hat sich bereits in der Vergangenheit dazu positioniert, dass nur solche Schadensersatzansprüche in den Anwendungsbereich des „alten“ Paragraph 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG fallen, bei denen die Haftung von der Verantwortung für die Veröffentlichung einer Kapitalmarktinformation abhängt. Das BayObLG führt in seinem Beschluss nachvollziehbar aus, dass ein solcher unmittelbarer Bezug der Haftung von EY zu einer nach dem alten KapMuG zu qualifizierenden Kapitalmarkinformation nicht besteht.
Fazit
Sollten die Anleger mit dem Musterverfahren auch vor dem BGH erfolglos bleiben, könnten sie gezwungen sein, ihre Ansprüche in langwierigen Einzelklagen durchzusetzen – Ausgang offen. Ob darüber hinaus die Möglichkeit besteht, ein Musterverfahren nach den Regeln des „neuen“ KapMuG anzustrengen, ist ebenfalls ungewiss und mit einer Reihe weiterer Risiken behaftet. Zunächst werden die Anleger daher keine andere Wahl haben, als die Entscheidung des BayObLG vom BGH überprüfen zu lassen.
Angesichts der Komplexität und des Umfangs des Verfahrens ist mit einer schnellen Entscheidung aus Karlsruhe jedoch nicht zu rechnen. Es dürfte die Justiz und Anwälte also noch für Jahre beschäftigen. UDas Wirecard-Verfahren ist damit derzeit vor allem ein weiterer Beleg dafür, dass das vom Gesetzgeber ausgerufene Ziel, kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten einfacher und schneller zu gestalten, in der praktischen Umsetzung regelmäßig scheitert.