31.10.2025 Fachbeitrag

EU-Reform: Trilog zum Pharma-Paket

Update Health Care & Life Sciences 9/2025

Die größte Pharmareform in der EU seit über 20 Jahren geht in die nächste Runde. Der Rat der Europäischen Union hat im Juni 2025 seinen Standpunkt zum Reformentwurf der Europäischen Kommission vom 26. April 2023 festgelegt. Nachdem sich zuvor bereits das Europäische Parlament zum Pharma-Paket positioniert hatte, war der Weg damit frei für den Beginn der Trilog-Verhandlungen. Die erste Sitzung fand am 17. Juni 2025 statt und die Diskussionen wurden in den letzten Wochen fortgeführt. Die nächste Verhandlungsrunde ist für Mitte November vorgesehen, so dass entgegen früheren Verlautbarungen nicht mehr mit einem Abschluss der Verhandlungen unter der dänischen Ratspräsidentschaft zu rechnen ist. Das Reformpaket besteht im Wesentlichen aus einer neuen Verordnung (VO-E) und einer neuen Richtlinie (RL-E), die die zentralen pharmazeutischen Rechtsakte der Union ersetzen sollen. (Insbesondere: Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel); Richtlinie 2009/35/EG (Stoffe zum Zwecke der Arzneimittelfärbung); Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln); Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 (Kinderarzneimittel); Verordnung (EG) Nr. 141/2000 (Arzneimittel für seltene Leiden)).

I. Unterlagenschutz und Vermarktungsschutz 

Ein wesentlicher und zugleich besonders umstrittener Aspekt der Reform betrifft die Fristen für den Unterlagen- und Vermarktungsschutz für neu zugelassene Arzneimittel. Diese regulatorischen Schutzfristen dienen dem Interessenausgleich, indem zunächst Innovationen geschützt und gefördert werden, bevor der Markt für andere Anbieter geöffnet wird, um Wettbewerb und Preissenkungen zu ermöglichen. Aktuell beträgt der Unterlagenschutz für Arzneimittel acht Jahre ab dem Tag der Zulassung, gefolgt von zwei Jahren Vermarktungsschutz mit der Möglichkeit der Verlängerung um ein weiteres Jahr, wenn innerhalb der ersten acht Jahre ein neues Anwendungsgebiet für den Wirkstoff zugelassen wird, das von bedeutendem klinischem Nutzen im Vergleich zu bestehenden Therapien ist („8+2+1-Regel“). 

Im Kommissionsentwurf ist eine Verkürzung des Basisschutzes von acht auf sechs Jahre vorgesehen. Durch verschiedene Möglichkeiten den Unterlagenschutz zu verlängern und einem anschließenden Vermarktungsschutz von zwei Jahren kann nach dem ursprünglichen Entwurf eine maximale Schutzfrist von zwölf Jahren erreicht werden. Die Verlängerungsoptionen sollen zusätzliche Innovationsanreize schaffen, beispielweise für die Entwicklung von dringend notwendigen Arzneimitteln oder ihre Verfügbarkeit im gesamten Unionsgebiet. 

Abweichend hiervon spricht sich das Parlament für eine Erhöhung des Basisunterlagenschutzes auf 7,5 Jahre aus und sieht ebenfalls verschiedene Verlängerungsmöglichkeiten vor, wobei die Länge des Unterlagenschutzes maximal 8,5 Jahren betragen soll. Die Dauer des Vermarktungsschutzes soll der bisherigen Rechtslage entsprechen: eine Frist von zwei Jahren, die bei Zulassung einer therapeutisch bedeutsamen Zusatzindikation innerhalb der achtjährigen Unterlagenschutzfrist um ein weiteres Jahr verlängert werden kann. Die maximale Schutzdauer nach der Position des Parlaments liegt somit bei 11,5 Jahren.

Der Rat geht noch weiter und nimmt eine wesentliche Neugestaltung der Schutzfristen vor. Zum einen ist eine Rückkehr zu einem Unterlagenbasisschutz von acht Jahren vorgesehen – ebenso wie nach geltendem Recht. Verlängerungsoptionen für den Unterlagenschutz gibt es nicht. Der Rat verlagert diese vielmehr auf die Dauer des Vermarktungsschutzes. Dafür wird der Vermarktungsschutz auf ein Jahr reduziert und es werden folgende Verlängerungsoptionen vorgeschlagen: 

  • Ein Jahr bei der Deckung eines „unmet medical need" oder
  • Ein Jahr beim kumulativen Nachweis der Durchführung von Vergleichsstudien, der Durchführung der klinischen Studien in mehr als einem Mitgliedstaat und Beantragung der Zulassung zuerst in der EU oder innerhalb von drei Monaten nach Erstzulassung außerhalb der EU; 
  • Ein Jahr bei einer therapeutisch bedeutsamen Zusatzindikation.

Die Länge des Vermarktungsschutzes ist auf insgesamt zwei Jahre begrenzt, außer es findet eine Verlängerung aufgrund einer Zusatzindikation statt. Dies ergibt eine maximale Schutzdauer von elf Jahren. Der einjährige Vermarktungsschutz soll entfallen können, wenn der Zulassungsinhaber seinen Lieferverpflichtungen nicht (ausreichend) nachkommt. 

Mit der Position des Rates liegen nun drei konträre Entwürfe für die Regulierung des Unterlagen- und Vermarktungsschutzes vor. Es bleibt abzuwarten, ob es im Trilog gelingt, einen gemeinsamen Nenner für diesen wesentlichen Aspekt der Reform zu finden. Der Unterlagenschutz sorgte bereits im bisherigen Gesetzgebungsverfahren für erhebliche Kontroversen. Kritisiert wurden die Willkürlichkeit der Verlängerungen sowie der erwartete negative Effekt auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas im pharmazeutischen Sektor.

Im Gegensatz dazu zeichnet sich beim sogenannten „drug repurposing“ eine einheitliche Meinung ab. Alle drei Entwürfe sehen mit nur unwesentlichen Abweichungen einen neuen vierjährigen Unterlagenschutz für die Zulassung zusätzlicher Indikationen bei bereits vorhandenen Arzneimitteln vor, wenn für das betreffende Arzneimittel bislang keine Schutzfristen galten oder die Erstzulassung vor mehr als 25 Jahren erfolgte. Damit wird ein wirtschaftlicher Anreiz geschaffen, Arzneimittel zeit- und kostengünstig für neue Indikationen zu entwickeln und zu einer besseren Versorgung der Bevölkerung mit benötigten Arzneimitteln beizutragen.

II. „Bolar“-Ausnahme 

Die „Bolar"-Ausnahme ermöglicht die Durchführung von Studien, die für eine Arzneimittelzulassung erforderlich sind, bereits vor dem Ablauf eines etwaigen entgegenstehenden Patents. Der Kommissionsentwurf sieht eine Erweiterung dieser Ausnahme und eine deutlich präzisere Formulierung als bisher vor. Ausdrücklich sollen Studien und Tätigkeiten erfasst sein, die auf eine Marktzulassung, die Bewertung von Gesundheitstechnologien sowie die Preisfestsetzung und Erstattung gerichtet sind. Außerdem wird klargestellt, dass auch (Dritt-)Dienstleister und Zulieferer in den Anwendungsbereich der „Bolar"-Ausnahme fallen. Die Ausnahme erstreckt sich nicht auf das Inverkehrbringen von Arzneimitteln nach erfolgter Zulassung. Die bisher sehr allgemeine Formulierung hatte zu unterschiedlichen nationalen Umsetzungen und einer damit einhergehenden rechtlichen Unsicherheit geführt.

Die Positionen des Parlaments und Rats übernehmen den Vorschlag der Kommission im Wesentlichen. Beide ergänzen den Anwendungsbereich ausdrücklich um die Erlangung einer Marktzulassung und die sich ergebenden praktischen Anforderungen, die mit Aktivitäten zur Arzneimittelzulassung verbunden sind. Der Rat erweitert die Ausnahme zusätzlich auf Anträge im Rahmen der öffentlichen Beschaffung. Ferner ergänzt der Rat klarstellend, dass Entscheidungen, die in Bezug auf Tätigkeiten nach Art. 85 Abs. 1 RL-E getroffen werden. nicht als Verletzung von Rechten des Geistigen Eigentums zu werten seien. Eine ähnliche Zielrichtung verfolgt der Vorschlag des Parlaments: Danach sollen die in Art. 85 Abs. 1 RL-E aufgeführten regulatorischen Prozesse und Entscheidungen durch den Schutz von Rechten des Geistigen Eigentums nicht verzögert oder anderweitig beeinträchtigt werden, wobei die gesetzlichen Regelungen der EU und der Mitgliedstaaten zum Schutz des Geistigen Eigentums als solche unberührt bleiben sollen.

III. Rückkehr von der Verkürzung des Zulassungsverfahrens

Der Kommissionsentwurf sieht eine Reduzierung der regelmäßigen Dauer des Zulassungsverfahrens von 210 Tagen auf 180 Tage vor, um regulatorische Hürden bei der Arzneimittelzulassung abzubauen. Auch weitere Fristen im RL-E zum dezentralen Verfahren und im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung sowie die Fristen im VO-E zum zentralisierten Verfahren sollen verkürzt werden. Das Parlament nahm keine Änderung an diesem Vorschlag vor.

Der Rat dagegen schlägt eine Rückkehr zur Frist von 210 Tagen vor. Ferner wird die Beteiligungsfrist der Mitgliedstaaten im dezentralisierten Verfahren wieder von 60 auf 90 Tage angehoben. Die Beteiligungsfrist im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung bleibt dagegen auch in der Position des Rates auf 60 Tage verkürzt.

IV. Arzneimittel für seltene Leiden, sog. Orphan Drugs

Der Kommissionsentwurf enthält flexiblere Regelungen zur Dauer der Marktexklusivität bei Arzneimitteln, die für seltene Leiden vorgesehen sind. Ein verkürzter Basisschutz von neun Jahren Marktexklusivität soll auf bis zu 13 Jahren verlängert werden können. Ferner gelten Sonderfristen:

  • Zehn Jahre für Arzneimittel für seltene Leiden, für die ein hoher ungedeckter medizinischer Bedarf besteht;
  • Fünf Jahre für Arzneimittel für seltene Leiden, deren Genehmigung auf der Grundlage bibliografischer Daten beruht.

Das Parlament übernimmt den Vorschlag der Kommission von neun Jahren Schutz für reguläre orphan drugs. Die Dauer der Sonderfristen wird um jeweils ein Jahr angepasst:

  • Elf Jahre für Arzneimittel für seltene Leiden, für die ein hoher ungedeckter medizinischer Bedarf besteht;
  • Vier Jahre für Arzneimittel für seltene Leiden, deren Genehmigung auf der Grundlage bibliografischer Daten beruht.

Die Anpassungen des Rates sind deutlich substanzieller. Zunächst wird Art. 70 VO-E, der die Voraussetzungen für orphan drugs, für die ein hoher ungedeckter medizinischer Bedarf besteht, regeln soll, vollständig gestrichen. Der Basisschutz der Marktexklusivität von Arzneimitteln für seltene Leiden wird auf die aktuell bereits bestehenden zehn Jahre erhöht.

In allen drei Entwürfen wird das Konzept der globalen Marktzulassung auch für Arzneimittel für seltene Leiden (Global Orphan Marketing Authorisation) eingeführt, so dass die Exklusivitätsfristen für denselben Wirkstoff nur noch einmal und nicht für jede seltene Indikation gesondert gewährt werden. Stattdessen soll der Marktschutz maximal zweimal um jeweils ein Jahr verlängert werden können, wenn neue therapeutische Indikationen für ein zugelassenes orphan drug entwickelt werden. Eine Verlängerung der Marktexklusivität bei der Durchführung pädiatrischer Studien ist ebenfalls in allen drei Entwürfen nicht mehr vorgesehen.

Die im Kommissionsentwurf vorgesehene einjährige Verlängerung für den Fall, dass das Arzneimittel in allen Mitgliedstaaten auf den Markt gebracht wird, wird von Rat und Parlament abgelehnt. Die Position des Parlaments führt damit im Ergebnis zu einer maximalen Schutzfrist von 13 Jahren, die des Rates zu 12 Jahren.

V. Antimikrobielle Arzneimittel

Aufgrund der stetig wachsenden Resistenzen soll mit der Pharma-Reform ein Anreiz für die Entwicklung neuer Antibiotika geschaffen werden. Die Kommission schlägt hierfür ein Gutscheinsystem vor, bei dem Entwickler eines neuartigen, „revolutionären" antimikrobiellen Mittels einen übertragbaren Gutschein über ein zusätzliches Jahr Unterlagenschutz erhalten sollen, den sogenannten „transferable exclusivity voucher".

Sowohl das Parlament als auch der Rat befürworten dieses Belohnungssystem im Grundsatz, ergänzen es jedoch in verschiedenen Punkten. Während das Parlament sich für Markteintrittsprämien und Zahlungen für das Erreichen gewisser Etappen bei der Entwicklung neuer Antibiotika ausspricht, sieht der Rat Anpassungen an den Bedingungen für den Gutschein und seinen Transfer vor. Das Parlament bringt außerdem ein Abonnementen-Modell auf Basis freiwilliger Vereinbarungen über die gemeinsame Beschaffung ins Spiel. Hierfür soll eine Entkoppelung („delinkage“) der Finanzierung vom Absatzvolumen des antimikrobiellen Mittels sowie die Verpflichtung des Vertragspartners zu einer kontinuierlichen und ausreichenden Lieferung in vorab vereinbarten Mengen vereinbart werden. Im Ergebnis würde der Vertragspartner die in der Vereinbarung festgelegten Zahlungen unabhängig vom tatsächlichen Absatz des antimikrobiellen Arzneimittels erhalten. Die Einführung eines ähnlichen Modells wurde in Großbritannien bereits getestet und wird in den USA seit Längerem diskutiert (PASTEUR Act).

Bereits unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Kommissionspläne wurde Kritik an dem Gutscheinsystem geäußert. Während weitgehend Einigkeit besteht, dass es neuer Anreize für Investitionen in diesem Sektor bedarf, wird die Gutscheinlösung von vielen als ungeeignet hierfür angesehen. Insbesondere werden die indirekte Finanzierung und die nicht abschätzbaren Kosten für die Gesundheitssysteme kritisiert. Es wird bezweifelt, ob ein solches Modell ausreichende Anreize für Investitionen in die Forschung in diesem Bereich setzen kann.

VI. Verbesserung der Arzneimittelverfügbarkeit

Ein weiteres Ziel der Reform ist die Verbesserung der Arzneimittelverfügbarkeit. Nach dem Kommissionentwurf sollen Zulassungsinhaber verpflichtet werden, Pläne zur Vermeidung von Engpässen zu erstellen (SPP). Das Parlament nimmt insoweit wenig Änderungen vor. Der Rat ergänzt das Kapitel um Ausnahmen. So sollen einige der Verpflichtungen zur Disposition der Mitgliedsstaaten stehen, zum Beispiel wenn Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit vorliegen.

Bereits die im Kommissionsentwurf vorgesehenen Fristen zur Meldung sich abzeichnender Engpässe wurden kritisiert. Die Position des Rates sieht eine weitere Verkürzung der Frist für die Meldung temporärer Engpässe vor. Zudem wurde die Möglichkeit ergänzt, eine verspätete Meldung durch eine substanzielle Begründung von außerordentlichen Umständen zu entschuldigen.

Plant ein Zulassungsinhaber ein kritisches Arzneimittel („critical medicinal product“), ein als solches von der Kommission in einem separaten Rechtsakt identifiziertes oder ein priorisiertes antimikrobielles Arzneimittel dauerhaft vom Markt zu nehmen bzw. die Zulassung zurückzunehmen, werden weitere Pflichten begründet.

VII. Neu: Lieferverpflichtungen

Die Position des Rates sieht erstmals Lieferverpflichtungen für Zulassungsinhaber vor. Mitgliedstaaten sollen Zulassungsinhaber verpflichten können, das betreffende Arzneimittel in diesem Mitgliedstaat in ausreichenden Mengen zur Verfügung zu stellen, um den Bedarf der Patienten zu decken. Wird ein zugelassenes Produkt nicht innerhalb von vier Jahren auf den Markt eines Mitgliedstaates gebracht bzw. nicht kontinuierlich bereitgestellt, soll der vom Rat vorgesehene einjährige Vermarktungsschutz in diesem Mitgliedstaat entfallen können. Soweit einschlägig, soll ferner eine Verlängerung der Marktexklusivität für orphan drugs bei einer neuen therapeutischen Indikation in diesem Mitgliedstaat nicht möglich sein.

Parallel hierzu wird auch die Lieferverpflichtung von Zulassungsinhabern bei zentralisiert zugelassenen Arzneimitteln geregelt und Mitgliedstaaten die Befugnis eingeräumt, Zulassungsinhaber insoweit in Anspruch zu nehmen. Zunächst sind keine Strafen vorgesehen. Allerdings soll nach vier Jahren ein Report der Kommission über die Anwendung der Norm erstellt werden. Basierend hierauf sollen explizit Strafen ergänzt werden können.

VIII. Übergangsfristen und Inkrafttreten

Die Kommissionsentwürfe sehen jeweils eine Frist von 18 Monaten für das Inkrafttreten der Verordnung und zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht vor, Art. 181 VO-E und Art. 219 RL-E. Das Parlament hat dies unverändert übernommen.

Nach der Position des Rates sollen diese Fristen deutlich verlängert werden. Die Verordnung soll erst 36 Monate nach dem Inkrafttreten Anwendung finden. Ebenso ist eine Frist von 36 statt 18 Monaten für die nationale Umsetzung der Richtlinie vorgesehen. Lediglich eine frühere Anwendung der Lieferverpflichtungen ist den Mitgliedstaaten freigestellt.

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