22.12.2025 Fachbeitrag

Revision der MDR und IVDR: Europäische Kommission legt Reformvorschlag zur Vereinfachung vor

Update Health Care & Life Sciences 12/2025

Spätestens mit dem Call for Evidence der Europäischen Kommission im September 2025 waren die Zeichen für eine zeitnahe Revision des europäischen Medizinprodukterechts an die Wand geschrieben (siehe unseren Beitrag). Am 16. Dezember 2025 hat die Europäische Kommission nun den lang erwarteten Vorschlag für die Änderung der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte („MDR“) und der Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika („IVDR“) vorgelegt. 

Die Europäische Kommission reagiert damit auf die seit dem Geltungsbeginn im Jahre 2021 immer deutlicher zu Tage getretenen strukturellen Schwächen des Regelungsregimes. Beide Verordnungen waren ursprünglich dazu bestimmt, ein hohes Niveau an Sicherheit und Gesundheitsschutz zu gewährleisten und gleichzeitig innovationsfördernd zu wirken. In der Praxis hatten sich die Verordnungen für die Industrie aber vor allem als komplex und kostenintensiv erwiesen und Medizinproduktehersteller und insbesondere KMU mit innovativen Produkten durch begrenzte Kapazitäten bei Benannten Stellen, schwer planbare Konformitätsbewertungsverfahren und innovationsfeindliche Regelungen vor immense Probleme gestellt. 

Mit dem umfassenden Reformvorschlag sollen nun unter Beibehaltung des hohen Sicherheitsniveaus die bestehenden Regelungen vereinfacht und regulatorische Hürden für innovative Medizinprodukte abgebaut werden und die Vorhersehbarkeit und Kosteneffizienz des Konformitätsbewertungsverfahrens bei den Benannten Stellen verbessert werden.

I. Vereinfachung der bestehenden Regelungen

Ein Schwerpunkt des Kommissionsvorschlags liegt auf der Entlastung der Hersteller, insbesondere bei etablierten Medizinprodukten und bewährten Technologien.

  • Klassifizierung: Die Klassifizierungsregeln sollen angepasst werden, wodurch in bestimmten Fällen Medizinprodukte wie wiederverwendbare chirurgische Instrumente, Zubehör für aktive implantierbare Medizinprodukte und Software in niedrigere Risikoklassen eingestuft werden (Anhang VIII MDR).
  • Person Responsible for Regulatory Compliance (PRRC): Die detaillierten Qualifikationsanforderungen sollen entfallen. Für KMU sollen bei Nutzung einer externen PRRC künftig deren Verfügbarkeit statt einer „dauerhaften und ständigen“ Präsenz ausreichen (Art. 15 MDR/IVDR). 
  • Bescheinigungen und Rezertifizierung: Die bisherige maximale Gültigkeitsdauer von fünf Jahren soll entfallen. Anstelle einer Rezertifizierung sollen Benannte Stellen risikoadäquate periodische Überprüfungen durchführen, solange die Bescheinigung gültig ist (Art. 56 MDR; Art. 51 IVDR).
  • Klinischer Nachweis: Der Begriff der klinischen Daten soll erweitert werden, die Nutzung klinischer Daten gleichwertiger Medizinprodukte flexibilisiert und die Möglichkeit gestärkt werden, Sicherheit und Leistung auch ausschließlich auf nicht-klinische Daten zu stützen (Art. 2 Nr. 48, Art. 61, Anhang II und XIV MDR; Anhang XIII IVDR).
  • Bewährte Technologien: Eine Definition für Medizinprodukte, die auf bewährten Technologien beruhen („well-established technology devices“), soll geschaffen werden. Für diese Produkte sollen erleichterte Regelungen gelten (Art. 2 Nr. 72, Art. 18, Art. 32, Art. 52, Art. 61, Art. 86 MDR).
  • Repackaging und Relabelling: Die Pflicht zur Anzeige entsprechender Aktivitäten und zur Vorlage einer Bescheinigung der Benannten Stelle vor der Bereitstellung auf dem Markt soll entfallen (Art. 16 MDR/IVDR).

II. Abbau von Hürden für Innovationen und Sonderprodukte

Der Kommissionsvorschlag adressiert ferner Bereiche, in denen die MDR/IVDR bislang als Innovationshemmnis oder Versorgungsrisiko wahrgenommen wurden.

  • In-house Devices: Die Bedingungen für Herstellung und Nutzung selbst entwickelter Medizinprodukte in Gesundheitseinrichtungen sollen gelockert werden. Übertragungen von In-house Devices an andere Gesundheitseinrichtungen sollen unter bestimmten Bedingungen zulässig sein. Unter der IVDR soll die Anforderung, dass kein gleichwertiges Produkt am Markt erhältlich ist, entfallen. Zentrallabore für klinische Prüfungen sollen unter die Ausnahmeregelung fallen (Art. 5 Abs. 5 MDR/IVDR).
  • Konformitätsbewertung für Breakthrough Devices (BtX) und Orphan Devices: Für neue BtX und Orphan Devices sollen erstmals Kriterien und Erleichterungen für die Konformitätsbewertung eingeführt werden. Für alte BtX und Orphan Devices mit CE-Kennzeichnung unter dem Richtlinienregime soll ein Bestandsschutz gelten (Art. 52a MDR; Art. 48a IVDR; Art. 120 MDR; Art. 110 IVDR).
  • Regulatorische Sandboxes: Zur Erprobung neuer Technologien sollen die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten regulatorische Sandboxes bereitstellen (Art. 59b, c MDR; Art. 54b, c IVDR).
  • Leistungsstudien: Leistungsstudien, die routinemäßige Blutabnahmen umfassen, sollen keine vorherige Genehmigung mehr erfordern und die Meldepflicht für Studien zu Companion Diagnostics (CDx) unter Verwendung von Restproben soll entfallen (Art. 58 IVDR).

III. Vorhersehbarkeit und Kosteneffizienz des Konformitätsbewertungsverfahren

Mit dem Kommissionsvorschlag soll zudem das Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte unter Einbeziehung der Benannten Stellen vorhersehbarer und effizienter gestaltet werden.

  • Strukturierter Dialog und externe Sachverständige: Für die bereits in den MDCG-Leitlinien vorgesehenen strukturierten Dialoge zwischen Hersteller und Benannter Stelle sollen gesetzliche Grundlagen und klare Verfahren geschaffen werden. Für wissenschaftlich-technische Fragen sollen externe Sachverständige beteiligt werden (Anhang VII MDR/IVDR; Art. 106, 106a MDR; Art. 100 IVDR).
  • Konformitätsbewertung: Die Bewertung der Technischen Dokumentation soll bei geringem oder mittlerem Risiko in größerem Umfang als bisher auf repräsentative Produkte begrenzt werden. Für Benannte Stellen sollen in begründeten Fällen Remote-Audits möglich sein und Überwachungs-Audits sollen in der Regel nur alle zwei Jahre stattfinden (Art. 52 MDR, Anhang IX, X, XI MDR; Art. 48 IVDR, Anhang IX, X, XI IVDR)
  • Vergütung der benannten Stellen: Für KMU und bei Orphan Devices sollen Ermäßigungen bei der Vergütung möglich sein und die Europäische Kommission soll zur Vorgabe von Höhe und Struktur der Vergütung ermächtigt werden (Art. 50 MDR; Art. 46 IVDR).

IV. Weitere wichtige Aspekte

  • Digitale Compliance-Instrumente: EU-Konformitätserklärungen, bestimmte Angaben und Gebrauchsanweisungen sollen elektronisch bereitgestellt, Informationen elektronisch übermittelt und digitale Kontaktdaten in EUDAMED hinterlegt werden können (Art. 19, Art. 52b, Art. 110a MDR, Anhang I und VI MDR; Art. 17, Art. 48b, Art. 103a IVDR, Anhang I und VI IVDR).
  • Herausnahme aus AI-Act: Medizinprodukte mit künstlicher Intelligenz sollen in Annex I des AI-Act von Abschnitt A in Abschnitt B verschoben werden, sodass für Medizinprodukte grundsätzlich allein die MDR/IVDR gelten soll, um Doppelregelungen und Überschneidungen der Rechtsakte zu vermeiden.

V. Fazit und Ausblick

Der Kommissionsvorschlag bedeutet einen Meilenstein für die Medizinproduktebranche. Die Europäische Kommission scheint mittlerweile erkannt zu haben, dass ein Regulierungssystem zum Schutz von Patienten und Anwender, das auf hochkomplexen und vielschichtigen Regelungen basiert, in der Umsetzung ab einem gewissen Punkt „kippt“, wenn innovative und mitunter lebensrettende Medizinprodukte erst gar nicht mehr auf den Markt gelangen. Die grundlegende Vereinfachung der regulatorischen Anforderungen und Verfahren ist daher zu begrüßen. Jedoch haben etwa das ursprüngliche Gesetzgebungsverfahren zur MDR/IVDR oder auch das aktuell noch laufende Verfahren zur Reform des europäischen Pharmarechts gezeigt, wie schwierig der Weg zu einem verbindlichen Rechtsakt sein kann. Es bleibt also abzuwarten, welche der beschriebenen oder weiteren Änderungen es wirklich in die Änderungsverordnung zur MDR/IVDR schaffen.

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