28.01.2022FachbeitragCorona

Update Arbeitsrecht Januar 2022

Corona-Prämien können unpfändbar sein

LAG Niedersachsen, Urteil vom 25. November 2021 – 6 Sa 216/21

Vom Arbeitgeber freiwillig zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn an Arbeitnehmer gezahlte Corona-Prämien im Gastronomiebereich sind nicht notwendigerweise als pfändbarer Teil des Arbeitsentgelts einzustufen, sondern können aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als sogenannte Erschwerniszuschläge gemäß § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sein. 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Schuldnerin, die bei dem Beklagten vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 befristet als Küchenhilfe angestellt war. Der Beklagte bezahlte der Schuldnerin im September 2020 neben ihrem Festlohn von EUR 1.350 brutto sowie Sonntagszuschlägen in Höhe von EUR 66,80 brutto auch eine Corona-Unterstützung in Höhe von EUR 400. Die Klägerin forderte von dem Beklagten Zahlung eines von ihr errechneten pfändbaren Betrages in Höhe von EUR 182,99 netto. Bei der Berechnung ging die Klägerin von einem pfändungsrelevanten Nettoverdienst im September 2020 in Höhe von EUR 1.440,47 aus, welcher sich aus dem Festlohn zuzüglich der Corona-Unterstützung ohne Sonntagszuschläge zusammensetzen sollte. Der Beklagte verweigerte die Zahlung mit der Begründung, die Corona-Sonderzahlung sei unpfändbar.

Mit Klage vor dem Arbeitsgericht Braunschweig (Urteil vom 10. März 2021 – 4 Ca 515/20) machte die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung des von ihr errechneten und nach ihrer Auffassung pfändbaren Betrages in Höhe von EUR 182,99 netto gerichtlich geltend. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung begehrte die Klägerin weiter die Zahlung von EUR 182,99 netto.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Die zulässige Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen war ohne Erfolg. Das LAG hielt an der Entscheidung des Arbeitsgerichts fest. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu. Völlig zutreffend habe das Arbeitsgericht seine Entscheidung damit begründet, dass die Corona-Prämie und damit das im September 2020 erzielte Einkommen der Schuldnerin insgesamt unpfändbar seien.

Die freiwillige Corona-Prämie in Höhe von EUR 400 falle als Arbeitsentgelt unter die allgemeinen Bestimmungen zum Pfändungsschutz für das Arbeitseinkommen nach §§ 850ff. ZPO. Als Erschwerniszulage im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO sei sie unpfändbar und damit dem Zugriff der Klägerin gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO entzogen. Der Begriff der Erschwernis umfasse besondere Belastungen bei der Arbeitsleistung, wie für den Arbeitnehmer gesundheitlich nachteilige und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit des Arbeitnehmers erfordernde Umstände. Die Arbeit im Gastronomiebetrieb sei gerade im September 2020 aufgrund der Inzidenzzahlen mit besonderen Belastungen und gesundheitlichen Risiken verbunden gewesen, welche der Beklagte über die Corona-Prämie kompensieren wollte. Hierzu gehörten Abstandsregelungen, Hygienevorschriften, Maskenpflicht sowie das Infektionsrisiko. Hinzu komme die psychische Komponente im Hinblick darauf, dass im September 2020 noch nicht die Möglichkeit der Impfung bestand. Der Einordnung als Erschwerniszulage im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO stehe nicht entgegen, dass im Pflegebereich die obligatorische Corona-Prämie für bestimmte Pflegekräfte gemäß § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB IX für unpfändbar erklärt wurde. Aus der ausdrücklichen Regelung der Unpfändbarkeit im Bereich der Pflege lasse sich nicht schließen, dass eine besondere Belastung anderer Tätigkeitsfelder, wie der Gastronomie, hierdurch pauschal verneint worden sei. 

Das LAG betont, dass an diesen Grundsätzen auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen festzuhalten sei. Dem entspreche der Sinn und Zweck der eingeschränkten Pfändbarkeit von Arbeitseinkommen nach § 850a Nr. 3 ZPO. Dem Gläubigerinteresse auf staatlich geregelte Durchsetzbarkeit von Forderungen stehe das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Schuldners an der Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage gegenüber. Würde man die Corona-Sonderzahlung an Arbeitnehmer nicht pfändungsfrei stellen, stünde diese in den Grenzen der Pfändbarkeit für das Arbeitseinkommen den Gläubigern und nicht den Beschäftigten selbst zur Verfügung.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht ausdrücklich zugelassen.

Hinweise

Der Entscheidung des LAG ging eine uneinheitliche Rechtsprechung voraus. Bereits das AG Zeitz (Beschluss vom 10. August 2020 – 5 M 837/19) sowie das AG Cottbus (Beschluss vom 23. März 2021 – 63 IN 127/18) erklärten die steuer- und sozialversicherungsfrei gestellten Corona-Sonderzahlungen nach deren Sinn und Zweck für unpfändbar. Das ArbG Bautzen (Urteil vom 17. März 2021 – 3 Ca 3145/20) dagegen verneinte die Unpfändbarkeit.

Der Entscheidung des LAG ist beizupflichten. Der Zweck einer freiwilligen Corona-Sonderzahlung besteht gerade darin, die besondere Arbeitsleistung und die besonderen Belastungen von Arbeitnehmern in Krisenzeiten anzuerkennen und erlittene Erschwernisse auszugleichen. Würden die Prämien am Ende den Gläubigern zugutekommen, wäre ihr Zweck vollständig verfehlt. Diese Bewertung anhand des Zwecks ist auf der anderen Seite aber auch die maßgebliche Stellschraube für weitere Entscheidungen: Bei Corona-Prämien in anderen Branchen und für andere Arbeitnehmergruppen ist es ebenso denkbar, dass diese nicht für besondere Belastungen, sondern als Motivationsprämie oder für sonstige Zwecke bezahlt werden. Solche Prämien wären dann nicht per se unpfändbar.

Abschließend sind Arbeitgeber noch auf die Verlängerung der Regelung des § 3 Nr. 11a EStG bis zum März 2022 hinzuweisen, wonach eine Corona-Prämie bis zu einem Betrag von EUR 1.500 branchenunabhängig durch jeden Arbeitgeber steuer- und sozialversicherungsfrei gezahlt werden kann.

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