27.10.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Oktober 2023 & Update Health Care 4/2023

Pool-Arzt im vertragszahnärztlichen Notdienst ist nicht automatisch selbstständig

Pressemitteilung des Bundessozialgerichts vom 24.10.2023 – B 12 R 9/21 R

Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 24. Oktober 2023 das mit Spannung erwartete Urteil zur Frage der Sozialversicherungspflicht sog. Poolärzte, die am (zahn-)ärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen, gefällt und eine selbstständige Beschäftigung des klagenden Zahnarztes verneint. Obschon das BSG in seiner Pressemitteilung die Bedeutung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls betont, steht außer Frage, dass dieses Urteil weitreichende Folgen für eine Vielzahl von (Zahn-)Ärztinnen und Ärzten im Not- und Bereitschaftsdienst haben wird. 

Sachverhalt

Die beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung organisiert Notdienste. Zu diesem Zweck betreibt die Beigeladene ein Notdienstzentrum, in dem sie Personal, Geräte und Material zur Verfügung stellt. Der klagende Zahnarzt war nach dem Verkauf seiner Praxis nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Der Kläger teilte der Beigeladenen seine Bereitschaft zur Übernahme konkreter Schichten in diesem Notdienstzentrum mit, die überwiegend auf Wochenenden entfielen. Hiervon ausgehend teilte ihn die Beigeladene nach ihrem Ermessen zu konkreten Schichten ein. Während einer Schicht waren neben dem Kläger ein bis zwei zahnmedizinische Fachangestellte anwesend, die Assistenz- und Dokumentationstätigkeiten ausführten. Der Kläger erhielt für seine Leistungen ein festes Stundenhonorar, zur patientenbezogenen Abrechnung war er nicht berechtigt. Im Rahmen des durch den Kläger initiierten Statusfeststellungsverfahrens vertrat dieser die Ansicht, dass es sich bei seiner Tätigkeit für die Beigeladene um eine abhängige Beschäftigung handele. Dies jedoch ohne Erfolg.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen und die selbstständige Tätigkeit des Zahnarztes in Übereinstimmung mit der beklagten Deutschen Rentenversicherung u.a. damit begründet, dass der Kläger durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg mittels eines (mitwirkungsbedürftigen) Verwaltungsakts zum zahnärztlichen Notdienst herangezogen worden sei und dieser für die Dauer des Notdienstes an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilgenommen habe. Damit sei das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen nahezu vollständig durch öffentlich-rechtliche Normen geprägt.

Die hiergegen eingelegte Revision des Klägers hatte Erfolg.

Inhalt der Pressemitteilung

Das Bundessozialgericht folgt laut seiner Pressemitteilung der Auffassung des Klägers, dass allein die Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst nicht automatisch zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit führe. Vielmehr sei auch dann eine Gesamtabwägung der konkreten Umstände vorzunehmen. Der Kläger sei in die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisierten Abläufe eingegliedert gewesen und habe auf diese keinen entscheidenden, erst recht keinen unternehmerischen Einfluss gehabt. Auch sei der Kläger unabhängig von konkreten Behandlungen stundenweise bezahlt worden. Er habe bereits nicht über eine Abrechnungsbefugnis verfügt, die für das Vertragszahnarztrecht eigentlich typisch sei. Dass der Kläger bei der konkreten medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich handeln konnte, falle dagegen nicht entscheidend ins Gewicht. Infolgedessen unterliege der Kläger bei der vorliegenden Notdiensttätigkeit aufgrund seiner abhängigen Beschäftigung der Versicherungspflicht.

Einordnung und Bedeutung der Entscheidung für die Praxis

Wenngleich sich eine abschließende Beurteilung der Entscheidung ohne Lektüre der – noch nicht vorliegenden Entscheidungsgründe – verbietet, stellt die Entscheidung des BSG im Ergebnis keine Überraschung dar. Bereits in seiner äußerst praxisrelevanten Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht von in Krankenhäusern tätigen Honorarärzten (BSG, Urteil vom 4.6.2019 – B 12 R 2/18 R) hatte das BSG betont, dass eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und das Fehlen eines unternehmerischen Risikos nicht durch die auf den Kernbereich der medizinischen Behandlung beschränkte Weisungsfreiheit des beschäftigten Arztes ausgeglichen werde.

Die seinerzeitigen Erwägungen des BSG gelten auch für den vorliegenden Fall. Denn auch hier meldete sich der klagende Zahnarzt freiwillig für die Übernahme von Schichten, konnte also nicht einseitig in Schichtpläne eingeteilt werden. Nach der Vereinbarung konkreter Schichten bestand seine Leistung jedoch allein in der Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft. Räumlichkeiten, Geräte und assistierendes Personal stellte die Beigeladene. Demgegenüber übernahm der Kläger kein unternehmerisches Risiko, was insbesondere in der Zahlung eines Stundenhonorars zum Ausdruck kommt. Eine Abrechnung gegenüber den Patienten stand dem Kläger dagegen nicht zu, so dass er seine Vergütung nicht durch seine Leistung beeinflussen konnte.

Die immense Bedeutung der vorliegenden Entscheidung liegt auf der Hand.

Bereits im Vorfeld der Verkündung des Urteils hatte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg in ihrem Internetauftritt davor gewarnt, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst in Baden-Württemberg für den Fall, dass das BSG eine Sozialversicherungspflicht des klagenden Zahnarztes feststelle, in der bisherigen Form nicht fortgeführt werden könne. Denn dieser werde zu einem großen Teil von freiwillig im Bereitschaftsdienst mitarbeitenden Ärztinnen und Ärzte übernommen, die aufgrund der Vergleichbarkeit mit dem Kläger dann ebenfalls als sozialversicherungspflichtig anzusehen seien.

Dieser Einschätzung ist zuzustimmen, zumal die Organisationsstruktur im ärztlichen Bereitschaftsdienst in vielen Fällen mit derjenigen vergleichbar ist, die der Entscheidung des BSG zugrunde lag. So übernehmen im Rahmen des (zahn-) ärztlichen Bereitschaftsdienstes regelmäßig Poolärzte Dienste in Notfallpraxen, nachdem sie sich hierfür freiwillig gemeldet haben. Sie nutzen für diese Dienste in der Regel kein eigenes Personal oder eigene Betriebsmittel und rechnen nicht gegenüber den Patienten ab, so dass mit den Erwägungen des BSG auch in diesen Fällen von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BSG hat umgehend nach ihrem Bekanntwerden für großes Aufsehen im Healthcare-Bereich gesorgt und, vergleichbar mit der Reaktion auf die Entscheidung zu den Syndikusrechtsanwälten, Rufe nach einer Gesetzesänderung ausgelöst. Angesichts der Ungewissheit, ob und, wenn ja, in welcher Weise die Politik diesen Forderungen nachkommen wird, erscheint es nicht opportun, die weitere Entwicklung lediglich abzuwarten. Stattdessen sollte jeder, der (Zahn-) Ärztinnen und Ärzte als freie Mitarbeiter im Rahmen von Bereitschafts- oder Notdiensten einsetzt, seine Organisation umgehend unter Hinzuziehung fachkundiger rechtlicher Beratung einer kritischen Untersuchung unterziehen, um das Risiko einer Scheinselbstständigkeit dieser Ärztinnen und Ärzte einzuschätzen und ggfs. durch geeignete Maßnahmen auszuschließen.

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