27.10.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Oktober 2023

Zur Kündigung nach Namensliste in der Insolvenz

BAG vom 17. August 2023 – 6 AZR 56/23

Ist eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG geplant und schließen der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat hierüber einen Interessenausgleich mit Namensliste, so wird nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung des in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. 

Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessensausgleiches muss sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden, damit dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich ist. 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung. Der Kläger war seit 2011 bei der Insolvenzschuldnerin, einem Unternehmen aus der Stahlindustrie mit ca. 400 Arbeitnehmern, tätig. Vor dem Hintergrund einer geplanten Betriebsstilllegung schloss der beklagte Insolvenzverwalter mit dem bei der Insolvenzschuldnerin gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste. Nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen.

Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte die Kündigung mit Urteil vom 13. Januar 2023 (Az.: 16 Sa 485/21) als unwirksam angesehen, da die Betriebsstilllegung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleiches noch keine „greifbaren Formen“ als Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutungswirkung nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO angenommen habe. 

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben und stellt fest, dass die ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat. Die Kündigung sei jedenfalls aufgrund der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei, wirksam. Der Kläger habe die Vermutungswirkung nicht widerlegen können.

Die schriftlichen Urteilsgründe der Entscheidung, zu der bislang lediglich eine Pressemitteilung vorliegt, sind mit Spannung zu erwarten: Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 InsO greift nämlich nur ein, soweit die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG bei Abschluss des Interessenausgleiches bereits „geplant“ war. Das setzt nach der (bisherigen) Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes eine hinreichend bestimmte, in Einzelheiten bereits absehbare Maßnahme voraus, deren Durchführung der Arbeitgeber konkret anstrebt (vgl. Urteil vom 20. November 2001 – 1 AZR 97/01, NZA 2002, 992). 

Das Landesarbeitsgericht Hamm hingegen hatte ausführlich und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dargelegt, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleiches lediglich eine „Ausproduktion“ eingeleitet worden sei, eine vollständige Stilllegung des Betriebes aber noch nicht ernstlich zur Debatte gestanden habe. Dies ist vom Bundesarbeitsgericht schlussendlich gegenteilig beurteilt worden.

Praxistipp

In der Praxis sollte gleichwohl nicht darauf vertraut werden, dass die Gerichte den Begriff der „greifbaren Form“ nun denkbar weit auslegen. Befindet sich die Betriebsänderung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleiches lediglich in einem planerischen Vorstadium, droht die Vermutungswirkung des § 125 InsO nicht einzugreifen: In einem planerischen Vorstadium wird es bereits kaum möglich sein, den Betriebsrat  über die Maßnahmen der Betriebsänderung hinreichend zu informieren. Es fehlt (noch) an einem konkreten Konzept. Unbeschadet dessen, führt die Entscheidung wieder ein Mal vor Augen, wie wertvoll die Verhandlung einer Namensliste im Kündigungsschutzprozess aus Sicht des Arbeitgebers sein kann.

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