31.08.2020Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht August 2020

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers im Rahmen von Annahmeverzug bei anderweitigem Erwerb

BAG vom 27. Mai 2020 - 5 AZR 387/19

Die Einschätzung des Risikos, ob und in welcher Höhe der Arbeitgeber nach Ausspruch einer Kündigung die Vergütung für den gesamten Zeitraum nach Freistellung des Arbeitnehmers bzw. nach Ablaufs der Kündigungsfrist schuldet, hat enorme Auswirkungen auf die Beratungssituation. Es handelt sich um namentlich die entscheidende Weichenstellung dafür, ob und unter welchen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine gütliche Einigung mit dem Arbeitnehmer sinnvoll ist.

Dem liegt die gesetzliche Ausgangsposition zugrunde, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn im Falle einer rechtsunwirksamen Kündigung nicht schrankenlos besteht: Erzielt der Arbeitnehmer zwischenzeitlich anderweitigen Verdienst bei einem anderen Arbeitgeber oder aufgrund selbständiger Tätigkeit, wird dieser anspruchsmindernd auf seinen Vergütungsanspruch angerechnet. Das gleiche gilt, wenn es der Arbeitnehmer sehenden Auges unterlässt, einer zumutbaren Erwerbsmöglichkeit nachzugehen (sog. böswilliges Unterlassen von Zwischenverdienst).

Praktisch verhält es sich allerdings so, dass es Arbeitgebern vor der Entscheidung über die Rechtswirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung bereits nicht möglich ist, einzuschätzen, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe der Arbeitnehmer zwischenzeitlich anderweitigen Verdienst erzielt hat. Die Erkenntnis, ob der Arbeitnehmer anderweitigen Zwischenverdienst böswillig unterlassen hat, ist ihm nahezu unmöglich.

In seiner Entscheidung vom 27. Mai 2020 befasst sich das BAG nunmehr mit der überaus bedeutsamen Frage, ob der Arbeitgeber dem Annahmeverzugslohnanspruch des Arbeitnehmers (zumindest) einen – gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen – Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und durch das Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge entgegen halten kann. 

Sachverhalt

Der Entscheidung liegt folgende Ausgangssituation zugrunde: 

Die beklagte Arbeitgeberin hatte gegenüber dem seit 1996 als Bauhandwerker beschäftigten Kläger seit dem Jahr 2011 mehrere Kündigungen ausgesprochen. Unter anderem hatte sie das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich fristgerecht mit Schreiben vom 30. Januar 2013 gekündigt. Seit Februar 2013 zahlt sie keine Vergütung mehr.

Der klagende Arbeitnehmer war mit sämtlichen Kündigungsschutzklagen erfolgreich  . Das Arbeitsverhältnis besteht demnach fort. Er erhob anschließend Klage auf Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit ab Februar 2013 unter Anrechnung bezogenen Arbeitslosengeldes und Arbeitslosengeldes II. Die Beklagte hielt dem entgegen, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Sie fordert von dem Kläger widerklagend schriftlich Auskunft über von der Agentur für Arbeit und durch das Jobcenter an den Kläger übermittelte Stellenangebote von Dritten (nachfolgend Vermittlungsvorschläge genannt). Dies jeweils unter Nennung der Tätigkeit, der Arbeitszeit und des Arbeitsortes sowie der ausgeschriebenen Vergütung in Euro. 

Verfahrensgang & Entscheidung

Das Arbeitsgericht Erfurt hat der auf Auskunftserteilung gerichteten Widerklage erstinstanzlich durch Teilurteil stattgegeben. Das Thüringer Landesarbeitsgericht hat die hierauf vom Kläger eingelegte Berufung zurückgewiesen. Dies hat es damit begründet, es sei schwer nachvollziehbar, dass der Kläger in der gesamten Zeit keinen Arbeitsplatz habe finden können. Zudem sei die Beweissituation für einen Arbeitgeber bei ausgeschlagenen Vermittlungsvorschlägen noch schwieriger, als bei tatsächlich erzieltem Zwischenerwerb des Arbeitnehmers. 

Das BAG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Ebenso wie die Vorinstanzen hat es der Beklagten den geltend gemachten Auskunftsanspruch gegen den Kläger durch Teilurteil zugesprochen. Es handele sich hierbei um eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Zwar kenne die Zivilprozessordnung grundsätzlich keine Auskunftspflichten. Materiell-rechtlich könne eine solche allerdings nach Treu und Glauben bestehen, wenn die Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann, ohne dass hierdurch die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess unzulässig verändert wird. Nach diesen Voraussetzungen stehe der Beklagten der geltend gemachte Auskunftsanspruch zu. Die Beklagte sei durch die von dem Kläger erhobene Zahlungsklage in ihren vertraglichen Rechten betroffen. Denn anderweitig erzielter Verdienst oder böswillig unterlassener Zwischenverdienst des Arbeitnehmers verhindere insoweit die Entstehung eines Vergütungsanspruchs aus Annahmeverzug. Der Arbeitgeber benötige allerdings entsprechende Auskünfte, um die ihm nach materiellem Recht eröffnete Einwendung des böswilligen Unterlassens anderweitiger zumutbarer Arbeit in den Prozess einführen und so die Zahlungsansprüche des klagenden Arbeitnehmers abwehren zu können.

Das BAG führt sodann aus, der Arbeitgeber könne regelmäßig nicht darlegen und beweisen, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe der Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst erzielt hat. Insbesondere sei die Einschaltung eines Detektivs „ins Blaue hinein“ datenschutzrechtlich unzulässig. Hinsichtlich eines etwaigen böswilligen Unterlassens anderer zumutbarer Arbeit könne der Arbeitgeber in Bezug auf Vermittlungsvorschläge aufgrund des Sozialgeheimnisses erst Recht keine Angaben machen. Auch eine zufällige Kenntniserlangung sei quasi ausgeschlossen. Daher liefe die gesetzlich vorgesehene Anrechnungsmöglichkeit in Bezug auf anderweitig erzielen Verdienst und Anrechnungsmöglichkeiten bei Dritten ohne Auskunftsanspruch faktisch leer. Demgegenüber kenne der Arbeitnehmer die übersandten Vermittlungsvorschläge und könnte die Auskunft unschwer erteilen. Schützenswerte Interessen an der Geheimhaltung der übermittelten Vermittlungsvorschläge stünden der Auskunftserteilung nicht entgegen. Schließlich sei die Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdiensts gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. Hierdurch werde auch die Darlegungs- und Beweissituation nicht unzulässig verändert. 

Praxishinweis

Die Entscheidung schafft Rechtsklarheit und wird die Verhandlungsposition von Arbeitgebern in Kündigungsschutzprozessen nachhaltig positiv beeinflussen. Dies gilt insbesondere, weil die Instanzenrechtsprechung (zuletzt das Hessische LAG, 11.05.2018 - 10 Sa 1628/17) einen solchen Auskunftsanspruch verneint hat. 

Völlig zu Recht weist das BAG allerdings darauf hin, dass es nach der gesetzlichen Konzeption ausdrücklich vorgesehen ist, dass sich der Arbeitnehmer tatsächlich erzielten Zwischenverdienst ebenso auf seinen Annahmeverzugslohnanspruch anrechnen lassen muss, wie solchen, den er böswillig nicht erzielt hat. Dies folgt nicht nur aus der Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses als Dienstverhältnis, sondern auch aus dem Gedanken, dass im Rahmen eines jeden Schuldverhältnisses die jeweils andere Partei auf die Rechte und Rechtsgüter der anderen Rücksicht zu nehmen hat. Praktisch scheitert die effektive Durchsetzung dieser Anrechnungsmöglichkeiten bislang allerdings in der Regel an der fehlenden Möglichkeit des Arbeitgebers, die hierfür erforderlichen Umstände überhaupt in Erfahrung zu bringen. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung traditionell die Hürden hinsichtlich der Bejahung böswilligen Unterlassens von Zwischenerwerb denkbar hoch hängt. So wird in Bezug auf böswilliges Unterlassen von Zwischenerwerb vom Arbeitgeber nicht nur verlangt, darzulegen, dass der Arbeitnehmer zumutbare Verdienstmöglichkeiten „böswillig“ ausgeschlagen hat. Er hat vielmehr auch darzulegen und zu beweisen, dass wenn sich der Arbeitnehmer hypothetisch beworben hätte, er auch tatsächlich eingestellt worden wäre und dementsprechend auch Zwischenverdienst erzielt hätte. Ein solcher hypothetischer Kausalverlauf lässt sich praktisch allerdings nahezu nie führen. 

Hinzu kommt, dass das BAG in einer früheren Entscheidung, die allerdings vor Inkrafttreten der Hartz-4-Reform erging, noch vertreten hat, eine Anrechnung wegen böswilligen Unterlassens von Zwischenerwerb folge nicht einmal daraus, dass der Arbeitnehmer sich nicht beim Arbeitsamt arbeitssuchend meldet. Auch hieran hält das BAG scheinbar zukünftig nicht mehr fest. 

Die Entscheidung ändert im Ergebnis zwar nichts daran, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Anrechnung unverändert beim Arbeitgeber liegen. Anders als bislang werden Arbeitnehmer allerdings zukünftig darzulegen haben, welche Vermittlungsvorschläge ihnen konkret unterbreitet wurden und ob sie sich auf diese beworben haben. Auch dies ist zu begrüßen und stellt mit Blick auf die sozialversicherungsrechtlichen Mitwirkungspflichten sicherlich keine unangemessene Überforderung dar.

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