28.10.2025 Fachbeitrag

Außerordentliche Kündigung wegen Tätlichkeit gegenüber Vorgesetzten

Update Arbeitsrecht Oktober 2025

LAG Niedersachsen vom 25. August 2025 Az.: 15 SLa 315/25

Tätlichkeiten gegenüber Arbeitskollegen rechtfertigen regelmäßig eine verhaltensbedingte Beendigungskündigung auch ohne vorherige Abmahnung. Das LAG Niedersachsen stellt klar, dass eine außerordentliche fristlose Kündigung sogar dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Tätlichkeit nicht mit erheblicher Gewaltanwendung erfolgte.

Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer geriet mit seinem Vorgesetzten in eine Auseinandersetzung, nachdem dieser ihn auf ein im Betrieb bestehendes Verbot der privaten Handynutzung hinwies, das er missachtete. Konkret entgegnete der Arbeitnehmer seinem Vorgesetzten mit den Worten „Hau ab hier“, stieß ihn mit der Hand gegen die Schulter und führte einen – nur leicht berührenden – Tritt in dessen Richtung aus. Der Arbeitgeber kündigte dem Arbeitnehmer daraufhin außerordentlich fristlos. Der Arbeitnehmer wandte sich gegen die Kündigung mit der Begründung, sie sei unverhältnismäßig; er sei provoziert worden und eine Abmahnung sei erforderlich gewesen.

Entscheidung

Das Gericht erachtete die Kündigung als wirksam. Es stellte maßgeblich darauf ab, dass eine Tätlichkeit einen erheblichen Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB darstelle. Der Kläger habe sich gegenüber dem Vorgesetzten respektlos und unter Anwendung körperlicher Gewalt verhalten. Bereits seine Ansprache sei ein erhebliches Fehlverhalten, welches durch das Stoßen und den Tritt wesentlich verstärkt werde. Insbesondere der – wenn auch leichte – Tritt zeige eine Missachtung des Vorgesetzten, die von der Beklagten nicht hinzunehmen sei.

Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, da der tätliche Angriff auf einen Arbeitskollegen eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten darstelle. Der Arbeitgeber sei nicht nur allen Arbeitnehmern verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern habe auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt werde und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen. Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen bedürfe es vor Ausspruch einer Kündigung regelmäßig keiner Abmahnung, da der Arbeitnehmer von vornherein wisse, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten missbillige. Dies gelte uneingeschränkt bei schweren Tätlichkeiten; jedoch auch bei einer leichten Tätlichkeit dürfe der Arbeitnehmer nicht mit der auch erstmaligen Hinnahme seines Verhaltens durch den Arbeitgeber rechnen.

Auf die Frage, ob eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht, kam es aufgrund der Gefahr, dass sich der Kläger auch an einem anderen Arbeitsplatz gegenüber Arbeitskollegen entsprechend verhält, nach der Entscheidung des LAG Niedersachsen nicht an. Die außerordentliche fristlose Kündigung hielt daher stand.

Praxishinweis

Für Arbeitgeber gilt: Tätlichkeiten rechtfertigen in der Regel eine außerordentliche fristlose Kündigung, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedarf. Entscheidend bleibt dennoch die sorgfältige Dokumentation des Vorfalls und eine strukturierte Einzelfallprüfung; hierzu gehören u.a.

  • eine unverzügliche sachliche Aufklärung (Befragung von Zeugen, Sicherung von Video- oder sonstigen Beweisen), um insbesondere Fristen halten zu können (zwei Wochen ab Kenntnis bei fristloser Kündigung),
  • Prüfung milderer Mittel aufgrund von bspw. Provokation, Notwehr, einmalige Entgleisung, lange störungsfreie Betriebszugehörigkeit, etc. Diese können die Maßnahme beeinflussen, heben die Schwere der Tätlichkeit aber meist nicht auf.
  • Freistellung prüfen, um weitere Eskalationen zu vermeiden.

Wer seinen Vorgesetzten tätlich angreift, verletzt das Vertrauensfundament des Arbeitsverhältnisses in einer Weise, die die außerordentliche Trennung in aller Regel trägt. Eine Sachverhaltsaufklärung und Interessenabwägung bleiben gleichwohl unverzichtbar.

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