31.07.2025 Fachbeitrag

Betriebliche Übung bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Tarifvertrag

Update Arbeitsrecht Juli 2025

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 8. April 2025 – 5 SLa 112/24

Nicht selten streiten Mitarbeiter mit dem Arbeitgeber in der Praxis über die Entstehung von Ansprüchen kraft betrieblicher Übung. Eine betriebliche Übung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der Gewährung von in regelmäßigen Abständen an die Belegschaft geleisteten Sonderzahlungen bereits nach deren dreimaliger Zahlung anzunehmen. Etwas anderes gilt nur dann, falls besondere Umstände hiergegen sprechen oder der Arbeitgeber einen Bindungswillen für die Zukunft wirksam ausgeschlossen hat. Ein besonderer Umstand liegt insbesondere dann vor, wenn der Arbeitgeber Leistungen gewähren wollte, zu denen er erkennbar aus einem anderen Rechtsgrund verpflichtet war oder sich verpflichtet glaubte.

Mit der Frage, ob eine mehrfache Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet eine betriebliche Übung entstehen lassen kann, hatte sich jüngst das LAG Mecklenburg-Vorpommern auseinanderzusetzen.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit dem Jahr 1999 in einer tarifgebundenen Buchhandlung in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge des Einzelhandels in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Aufgrund eines Betriebsübergangs ging das Arbeitsverhältnis 2015 auf ein nicht tarifgebundenes Unternehmen über. Anlässlich des Betriebsübergangs wurde der Klägerin im entsprechenden Unterrichtungsschreiben mitgeteilt, dass die fehlende Tarifbindung ihrer neuen Arbeitgeberin dazu führe, dass die bisherigen Tarifverträge des Einzelhandels nur noch statisch fortgelten.

Ungeachtet dessen wurde die Vergütung der Klägerin von der neuen Arbeitgeberin bis einschließlich 2021 jährlich entsprechend den jeweiligen Einzelhandelstarifverträgen in Mecklenburg-Vorpommern erhöht. Auch die in den Tarifrunden vereinbarten Einmalzahlungen wurden an die Klägerin ausbezahlt. Erst 2022 wurden die Tariferhöhungen von der neuen Arbeitgeberin nicht mehr an die Klägerin weitergegeben.

Kurz darauf, im Jahr 2023, kam es zu einem erneuten Betriebsübergang im Zuge dessen das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte überging, die ihrerseits ebenfalls nicht tarifgebunden ist. Da auch die Beklagte die Branchentariferhöhungen nicht an die Beklagte weitergab, erhob die Klägerin Klage. Diese richtete sich auf Zahlung der monatlichen Entgeltdifferenzen und auf Feststellung der Anwendbarkeit des jeweils gültigen Entgelttarifvertrags für den Einzelhandel in Mecklenburg-Vorpommern. Nach Ansicht der Klägerin ist insbesondere ein Anspruch aus betrieblicher Übung entstanden, da sie die stichtagsgenaue Weitergabe der Tarifsteigerungen in der Vergangenheit nur dahingehend hätte verstehen können, dass arbeitgeberseitig die Erhöhung der Gehälter dauerhaft entsprechend der Tarifentwicklung stattfinden soll. Außerdem habe die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel eine dynamisierende Wirkung, sodass auch aus diesem Grund der gültige Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel anzuwenden sei

In erster Instanz folgte das Arbeitsgericht Rostock dieser Argumentation jedoch nicht und wies die Klage ab. Hiergegen richtete sich die Berufung der Klägerin, über die das LAG Mecklenburg-Vorpommern zu entscheiden hatte.

Entscheidung

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat die Klage ebenfalls abgelehnt und die Entstehung einer betrieblichen Übung dabei verneint.

Die beiden von der Klägerin für die weitere Anwendbarkeit der gültigen Branchentarifverträge vorgetragenen Argumente wies das LAG Mecklenburg Vorpommern mit folgenden Begründungen ab: 

  • Die Bezugnahmeklausel, die vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform in 2002 in sog. Altverträgen vereinbart wurde, ist einschränkend als Gleichstellungsabrede auszulegen. Damit endet die dynamisierende Wirkung der Bezugnahme, sobald der Arbeitgeber nicht mehr tarifgebunden ist. Aus diesem Grund finden die in Bezug genommenen Tarifverträge des Einzelhandels seit dem Betriebsübergang in 2015 nur noch statisch Anwendung.
  • Zwar kommt die frühere Auslegungsregel als Gleichstellungsabrede auch bei Altverträgen nicht mehr zur Anwendung, wenn diese in der Zeit ab 2002 geändert und die Bezugnahmeklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist. Dies sei hier aber trotz der langen Zeitspanne nicht geschehen, da den zwischenzeitlichen Vertragsänderungen die übliche Formulierung zur Weitergeltung der übrigen Vertragsbedingungen fehlte.
  • Schließlich habe die Klägerin auch kein Anspruch auf Anpassung ihres Gehalts aus einer betrieblichen Übung. Sofern ein Arbeitgeber die Gehälter seiner Belegschaft entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet anhebt, so kann eine betriebliche Übung nur dann entstehen, wenn deutliche Anhaltspunkte in seinem Verhalten dafür sprechen, dass Erhöhungen – auch ohne das Bestehen einer tarif- oder arbeitsvertraglichen Verpflichtung – künftig und dauerhaft übernommen werden. Solche Anhaltpunkte seien hier aber nicht erkennbar gewesen. Ganz im Gegenteil: Das Unterrichtungsschreiben aus 2015 enthielt einen deutlichen Hinweis auf die nicht mehr vorhandene und nicht beabsichtigte Tarifbindung der neuen Arbeitgeberin.

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern gewichtete die tarifrechtlichen Hinweise im Unterrichtungsschreiben im Ergebnis stärker als den bloßen Erhalt jährlicher Gehaltssteigerungen im Gleichlauf zur Tarifentwicklung. Trotz mehrfacher Gehaltssteigerungen habe die Klägerin damit rechnen müssen, dass ihre Arbeitgeberin vor jeder Erhöhung stets deren wirtschaftliche Vertretbarkeit und deren personalpolitische Notwendigkeit geprüft hat und auch in Zukunft weitere Erhöhungen davon abhängig machen will. Der Erklärungsgehalt der einzelnen Entgelterhöhungen bezog sich daher nicht auf die Zukunft.

Praxistipp

Um nach einem Betriebsübergang Ansprüche aus betrieblicher Übung in Zusammenhang mit Branchentarifentgelten zu vermeiden, sollten nicht tarifgebundene Betriebserwerber nicht nur die Gestaltung etwaiger Bezugnahmeklauseln und zwischenzeitlicher Vertragsänderungen gründlich prüfen. Denn diese Vertragsunterlagen geben nur Aufschluss über die etwaige Dynamisierung einer Bezugnahmeklausel.

Vielmehr sollte auch ein Augenmerk auf die tatsächliche Vergütungspraxis des Betriebsveräußerers gelegt werden. Sollte der tarifungebundene Betriebsveräußerers Gehaltssteigerungen im Gleichlauf zur Tarifentwicklung weitergeben haben, so sollte darauf geachtet werden, ob Anhaltspunkte für das Bestehen einer betrieblichen Übung bestehen. Hierzu könnten etwa Äußerungen des Betriebsveräußerers zu einzelnen Entgelterhöhungen zählen, die in der Vergangenheit ein schützenswertes Vertrauen geweckt haben. Ebenso wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch ein sauberes Unterrichtungsschreiben, welches die nicht (mehr) vorhandene und nicht beabsichtigte Tarifbindung des Arbeitgebers herausstellt. Denn gab es vor der Veräußerung bereits Betriebsübergänge, so kann ein Unterrichtungsschreiben vor der Entstehung einer betrieblichen Übung schützen. Letzteres könnte gerade bei größeren Unternehmenstransaktionen mit einer Vielzahl von zu übernehmenden Mitarbeitern von essenzieller Bedeutung für den potenziellen Erwerber sein.

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