Update Arbeitsrecht April 2025
Beweislast bei gekürzter Betriebsratsvergütung: Volkswagen muss die Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Vergütungsanpassung nachweisen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.03.2025, Az. 7 AZR 46/24 (Pressemitteilung)
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 08.02.2024, Az. 6 Sa 559/23
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt in einer aktuellen Entscheidung klar, dass der Arbeitgeber die Beweislast für die Korrektur von Betriebsratsvergütungen trägt. Dieses Urteil bringt somit Klarheit hinsichtlich einer der zahlreichen Fragen, mit denen Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratsvergütung konfrontiert sind.
Sachverhalt
Im Mittelpunkt des Falls steht ein freigestelltes Betriebsratsmitglied, dessen Vergütung der Arbeitgeber nach einer Überprüfung infolge eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10.01.2023 (Az. 6 StR 133/22) anpasste – sog. „VW-Urteil“. In diesem Verfahren hatte sich der BGH mit Unternehmensvorständen auseinanderzusetzen, die sich aufgrund der Gewährung von überhöhten Vergütungen von Betriebsräten dem Verdacht der Untreue ausgesetzt sahen.
Die Reaktion auf dieses Urteil folgte prompt: Der Arbeitgeber kürzte die Vergütung des klagenden Betriebsratsmitglieds von monatlich knapp 7.093 Euro brutto auf 6.454 Euro brutto. Der Kläger, ein seit 2002 freigestelltes Betriebsratsmitglied und ausgebildeter Kfz-Mechaniker sowie Industriemeister, klagte gegen diese Kürzung und verlangte die Feststellung, dass er weiterhin nach der höheren tariflichen Entgeltstufe zu bezahlen sei und ihm das verlorene Gehalt nachzuzahlen sei.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) gab den Zahlungsanträgen des Klägers weitestgehend statt. Zwar habe der Kläger nach Ansicht des LAG keinen Anspruch auf seine frühere Vergütung gemäß § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG (Vergütungsanpassung), wohl aber nach § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB (fiktiver Beförderungsanspruch).
Inhalt der Entscheidung
Die gegen die Entscheidung des LAG gerichtete die Revision der Beklagten hatte Erfolg und führte zu einer Zurückverweisung der Sache an das LAG.
Das BAG entschied, dass die Beklagte die Beweislast im Rahmen von § 37 Abs. 4 BetrVG für die Korrektur der Betriebsratsvergütung trage. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber darlegen und beweisen muss, dass die ursprüngliche Vergütungserhöhung fehlerhaft war.
Betriebsratsmitglieder haben nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG Anspruch auf Erhöhung ihres Arbeitsentgelts in dem Umfang, in dem das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung steigt. Für das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Anspruchs ist allerdings grundsätzlich das Betriebsratsmitglied darlegungs- und beweisbelastet. Aber: Korrigiert der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, die sich für das Betriebsratsmitglied als Anpassung seines Entgelts entsprechend § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass die Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war.
Das BAG weicht insoweit von der vorangegangenen Entscheidung des LAG ab. Das LAG gab den Zahlungsanträgen des Klägers weitestgehend zwar statt, sah die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von § 37 Abs. 4 BetrVG allerdings beim Kläger und nicht beim Arbeitgeber. Die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit der Vergütung müsse nach Ansicht des BAG den Arbeitgeber treffen, wenn dieser im Nachhinein die Bemessung des Arbeitsentgelts korrigiert.
In einem nächsten Schritt wies das BAG darauf hin, dass erst wenn die Beklagte die Fehlerhaftigkeit der Vergütungsanpassung darzulegen und ggf. zu beweisen vermag, das LAG über den geltend gemachten Zahlungsanspruch des Klägers zu entscheiden habe. Die Entscheidung des LAG bleibt insoweit abzuwarten.
Praxistipps
Die skizzierte Entscheidung des BAG stellt eine Abweichung von dem in der Vergangenheit vielfach differenziert ausgelegten Darlegungs- und Beweislastgrundsatz im Rahmen des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG dar:
Betriebsratsmitglieder haben nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG Anspruch auf Erhöhung ihres Arbeitsentgelts in dem Umfang, in dem das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung steigt. Für das Vorliegen der Voraussetzungen trifft allerdings grundsätzlich das Betriebsratsmitglied die Darlegungs- und Beweislast. Korrigiert der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, die sich für das Betriebsratsmitglied als Anpassung seines Entgelts entsprechend § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte, hat der Arbeitgeber nach aktueller Feststellung des BAG darzulegen und zu beweisen, dass die Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war. Eine Kürzung der Betriebsratsvergütung als Reaktion auf eine mögliche (und strafbare) Begünstigung sollten Arbeitgeber mithin nur infolge einer dezidierten Prüfung unter Berücksichtigung der einschlägigen Beweislast umsetzen.
Die Vergütung von Betriebsräten ist ein komplexer Rechtsbereich, der in den letzten Jahren aufgrund von maßgeblichen Entscheidungen der Rechtsprechung (sog. VW-Urteile) sowie Gesetzesänderungen zunehmend in den Fokus der öffentlichen Diskussion gerückt ist.
Der eingangs erwähnte Fall des BGH, dem u.a. die Zahlung von sehr hohen Boni an Betriebsräte zugrunde lag, diente zuletzt als Präzedenzfall einer möglichen Begünstigung von Betriebsräten. Solch augenfälliger Sachverhalte bedarf es aber gar nicht: Eine rechtswidrige Begünstigung kann sich bereits aus der Gewährung einer (zu hohen) Zulage ergeben. Die Entscheidungen rund um den BGH-Fall sowie die hierauf folgenden Reaktionen von Entscheidungsträgern, die teils schlagartig Vergütungen von Betriebsräten kürzten, zeigen eindrücklich, dass der Grat zwischen der (jeweils strafbaren) Begünstigung und Benachteiligung von Betriebsräten schmal ist. Sie zeigen allerdings ebenfalls, dass die rechtssichere Gestaltung der Betriebsratsvergütung ein Thema ist, mit denen sich Arbeitgeber auseinandersetzen müssen.
Die Brisanz dieses Themas haben wir zum Anlass genommen, Arbeitgebern Schritt für Schritt die wichtigsten Punkte für den rechtssicheren Umgang mit der Betriebsratsvergütung im Rahmen einer neuen Veröffentlichungsserie an die Hand zu geben. Unser erster Beitrag hierzu wird in Kürze erscheinen – wir werden Sie auf dem Laufenden halten.