29.07.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juli 2022

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber namensscharfe Auskunft über die beschäftigten schwerbehinderten Mitarbeiter verlangen – unbegrenzt gilt das allerdings nicht.

LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.5.2022 – 12 TaBV 4/21

Dem Arbeitgeber obliegt gegenüber dem Betriebsrat eine Informationspflicht, die jedoch nicht grenzenlos gilt. Neben Informationspflichten, die sich auf konkrete Aufgaben beziehen (vgl. §§ 43, 53, 89, 90, 92, 96, 97, 99, 100, 102, 106, 111, 115 BetrVG), hat der Gesetzgeber in § 80 Abs. 2 BetrVG eine Generalklausel statuiert. Nach dieser besteht eine Informationspflicht des Arbeitgebers, sofern der Betriebsrat die Informationen zur Durchführung der ihm obliegenden Aufgaben benötigt. Erforderlich ist also ein Sachbezug der Information zu den Aufgaben des Betriebsrates. 

In diesem Bereich spielt die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg, die auf folgendem Sachverhalt beruht: 

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin unterhält drei Betriebe und erbringt verschiedene Leistungen zur Entsorgung von Abfällen. In den Betrieben ist jeweils ein Betriebsrat organisiert. Zudem ist ein Gesamtbetriebsrat eingerichtet. Eine Schwerbehindertenvertretung existiert bisher nicht. Der Betriebsrat eines der Betriebe verlangte (zunächst außergerichtlich) von der Arbeitgeberin Auskunft über alle im Betrieb und im Unternehmen beschäftigten schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Personen sowie die Überlassung einer Kopie der für die Bundesagentur für Arbeit bestimmten Anzeige nebst des Verzeichnisses der schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen (§ 163 SGB IX). Nach § 163 SGB IX hat der Arbeitgeber über die in seinen Betrieben beschäftigten schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen ein Verzeichnis zu führen, das auf Verlangen an die Bundesagentur für Arbeit oder das Integrationsamt herauszugeben ist. 

Dem kam die Arbeitgeberin – selbst nach nochmaliger Aufforderung durch den Betriebsrat – nicht nach. Insbesondere habe sie datenschutzrechtliche Bedenken, da die Verzeichnisse sensible personenbezogene (Gesundheits-)Daten enthielten. Entsprechende Einwilligungen zur Weitergabe der Daten lägen nicht von allen Betroffenen vor. Allerdings sei – so wurde dem Betriebsrat mitgeteilt – der Schwellenwert zur Wahl eines Schwerbehindertenvertreters überschritten (§ 177 SGB IX). 

Der Betriebsrat legte daraufhin ein Datenschutzkonzept vor und beharrte auf seiner Forderung nach Übermittlung des namensscharfen Verzeichnisses der schwerbehinderten und gleichgestellten Mitarbeiter. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens trug der Betriebsrat vor, die Informationen seien nötig, um den Pflichten als Betriebsrat nachzukommen. Aus diesem Grund bestünde ein Auskunftsrecht. Es sei Aufgabe des Betriebsrates, auf die Bildung einer Schwerbehindertenvertretung hinzuwirken. Die Verweigerungshandlung der Arbeitgeberin behindere den Betriebsrat zusätzlich in seiner Arbeit und begründe zudem einen Unterlassungsanspruch gegen die Arbeitgeberin. 

Nach Auffassung der Arbeitgeberin fehle es an einem konkreten Aufgabenbezug. Das Hinwirken auf die Bildung einer Schwerbehindertenvertretung sei keine „Aufgabe“ des Betriebsrates. Ferner könne der Betriebsrat nicht die Herausgabe des Verzeichnisses für das gesamte Unternehmen verlangen. Diesen Anspruch habe nur der Gesamtbetriebsrat. Außerdem stünden weiterhin datenschutzrechtliche Bedenken dem Auskunftsanspruch entgegen. 

Das Arbeitsgericht Karlsruhe gab dem Betriebsrat erstinstanzlich insofern Recht, als dieser die Auskunft über die Mitarbeiter „seines“ Betriebes verlangte. Zudem behindere die Arbeitgeberin den Betriebsrat durch ihre Verweigerungshaltung, weswegen ein Unterlassungsanspruch begründet sei. 

Entscheidung des LAG Baden-Württemberg

Das LAG Baden-Württemberg schloss sich der Ansicht des Arbeitsgerichts an und wies die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts zurück. 

Nach Ansicht des LAG stehe dem Betriebsrat der geltend gemachte Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG gegen die Arbeitgeberin zu. Voraussetzung sei, dass 

  • eine konkrete Aufgabe des Betriebsrats vorliege und 
  • die eingeforderte Information zur Wahrnehmung der Aufgabe erforderlich sei. 

Die Darlegungslast läge insoweit beim Betriebsrat. 

Nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG gehöre die Eingliederung und Förderung schwerbehinderter Menschen grundsätzlich zu den Aufgaben des Betriebsrates. Insoweit stünde ein Auskunftsanspruch zur Verfügung, der nicht zur Disposition der Mitarbeiter stehe und daher nicht von deren Einwilligung abhängen könne. 

Sofern allerdings sensible Daten der Mitarbeiter im datenschutzrechtlichen Sinne betroffen seien (z.B. Name des schwerbehinderten Menschen), habe der Betriebsrat bei Verarbeitung dieser Daten angemessene und spezifische Schutzmaßnahmen zu treffen (vgl. §§ 26 Abs. 3 S. 3 i.V.m. § 22 Abs. 2 BDSG), da diese dann nicht mehr vom Arbeitgeber getroffen werden könnten. Da der Arbeitgeber dem Betriebsrat jedoch keine Weisungen geben könne, müsse der Betriebsrat diese Maßnahmen selbst darlegen. Dieser Pflicht sei der Betriebsrat mit dem von ihm vorgelegten Datenschutzkonzept nachgekommen. Diesem zufolge sei das Betriebsratsbüro gesichert und für unbefugten Zugang verschlossen. Das Postfach, an welches die Daten übermittelt werden sollten, sei zudem durch ein Passwort geschützt. Es seien Löschkonzepte und Kontrollen vorgesehen. Auch sollten die befassten Betriebsratsmitglieder entsprechend sensibilisiert werden. 

Überdies bestünde ein konkreter Aufgabenbezug im Sinne des § 80 Abs. 2 BetrVG. Der Betriebsrat habe konkrete Pläne zur Initiierung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung dargelegt und sich nicht auf bloße pauschale Verweise auf gesetzliche Vorschriften beschränkt. 

Die Angabe der konkreten Namen der schwerbehinderten Mitarbeiter sei zudem erforderlich. Es müsse frühzeitig feststehen, dass die Grundvoraussetzung von fünf wahlberechtigten schwerbehinderten Mitarbeitern vorliege und wer diese Mitarbeiter konkret sind. Eine Prüfung der Schwerbehinderteneigenschaft beim Erscheinen zur Wahlversammlung sieht die Kammer als praxisfern an. Eine Pseudonymisierung könne daher nicht verlangt werden.  

Ferner benötige der Betriebsrat die Angaben, um die Situation der schwerbehinderten Mitarbeiter am Arbeitsplatz bewerten zu können. Anders könne er seinen Aufgaben aus § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, § 176 SGB IX nicht nachkommen. Ohne Kenntnis der Namen sei aber eine Ansprache der Mitarbeiter unmöglich. Dem Betriebsrat stehe insofern auch ein Initiativrecht zu; er müsse nicht abwarten, bis sich die schwerbehinderten Mitarbeiter an ihn wenden. 

Praxisfolgen

Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg hat der Betriebsrat also einen Anspruch auf namensscharfe Mitteilung der schwerbehinderten Menschen, die in dem Betrieb beschäftigt sind, für den der Betriebsrat zuständig ist. Dieses Recht dürfte nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg auch unabhängig von konkret geplanten Wahlen zur Schwerbehindertenvertretung gelten, da das LAG Baden-Württemberg den Anspruch auch auf § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG (Eingliederung der Schwerbehinderten) gestützt hat. 

Der Betriebsrat muss aber die Datensicherheit der sensiblen Daten gewährleisten können (vgl. dazu § 79a BetrVG). Dafür kann er auf ein eigenes Datenschutzkonzept zurückgreifen. Denkbar wäre aber auch die freiwillige Einsetzung eines Datenschutz-Sonderbeauftragten für den Betriebsrat oder eine Grundschulung aller Mitglieder des Betriebsrates im Datenschutz. Wichtig ist, dass die Rechte der Betroffenen gewahrt werden und insbesondere ein Löschkonzept sichergestellt ist. 

Das LAG ließ die Rechtsbeschwerde zum BAG zu. Das Verfahren ist dort anhängig. Das BAG hatte dem Betriebsrat bereits in der Vergangenheit einen Anspruch auf Mitteilung der Namen der Mitarbeiter zugestanden, die für ein betriebliches Eingliederungsmanagement in Frage kommen, also die Mitarbeiter, die im Kalenderjahr mehr als sechs Wochen erkrankt waren (vgl. BAG, 7.2.2012 – 1 ABR 46/10). Auch könne der Betriebsrat Einsicht in die namensscharfen Bruttolohnlisten des Arbeitgebers nehmen, sofern solche existieren (vgl. BAG, 7.5.2019 – 1 ABR 53/17). Jedoch hat das BAG die Bedeutung des Vorhaltens besonderer Maßnahmen zur Sicherung der sensiblen Daten stets betont (vgl. u.a. BAG, 9.4.2019 – 1 ABR 51/17). Nach Ansicht des BAG ist der Auskunftsanspruch außerdem nur auf diejenigen Mitarbeiter im Betrieb begrenzt, für die der jeweilige Betriebsrat funktional zuständig ist (vgl. BAG, 20.3.2018 – 1 ABR 11/17). Das Auskunftsbegehren des Betriebsrates könne ferner nicht pauschal auf die Überwachung der Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und die daraus resultierende Fürsorgepflicht des Betriebsrates gestützt werden (vgl. BAG, 20.3.2018 – 1 ABR 11/17). Insofern ist insbesondere die Auffassung des LAG Baden-Württemberg, die Auskunft könne auf § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG (Eingliederung der Schwerbehinderten) gestützt werden – ohne Vorliegen eines konkreten Aufgabenbezugs – zweifelhaft. 
 

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