08.07.2015Fachbeitrag

Newsletter Health Care 2/2015

e-Vergabe wird verpflichtend – ein Überblick

Spätestens ab April 2018 entfällt grundsätzlich die Möglichkeit, in Vergabeverfahren Angebote in Papierform abzugeben und entgegenzunehmen. Denn ab diesem Zeitpunkt ist das gesamte Vergabeverfahren, d. h. die gesamte Kommunikation und der gesamte Informationsaustausch im laufenden Verfahren, elektronisch abzuwickeln. Schon deutlich früher, ab April 2016, müssen öffentliche Auftraggeber interessierten Bewerbern uneingeschränkten und direkten Zugang zu den Vergabeunterlagen auf elektronischem Weg gewähren. Dies sehen die neuen EU-Vergaberichtlinien vor, die durch den deutschen Gesetz- und Verordnungsgeber momentan in deutsches Vergaberecht umgesetzt werden.

Die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge ist bereits nach geltendem Vergaberecht seit Langem zulässig. In der Praxis bestehen allerdings teilweise erhebliche Berührungsängste, die einer flächendeckenden Nutzung bisher im Wege stehen. Dabei bietet die e-Vergabe in Zukunft zahlreiche Vorteile für öffentliche Auftraggeber. Dies ist, neben Terminsicherheit, Zeit- und Kostenersparnissen infolge kürzerer sowie papierloser Vergabeverfahren, vor allem auch die geringere Fehleranfälligkeit bei gleichzeitiger größerer Prozesssicherheit, da die elektronische Dokumentation Manipulationsvorwürfen vorbeugen kann. Da die im April 2014 in Kraft getretenen neuen Vergaberichtlinien spätestens ab April 2018 grundsätzlich zwingend vorschreiben, läuft die Zeit, um sich mit den neuen Anforderungen vertraut zu machen und deren Umsetzung technisch und organisatorisch anzugehen.

Aktueller Stand

Entgegen einiger verkürzter Äußerungen im Zuge des jetzigen Reformprozesses ist die e-Vergabe bereits seit Langem rechtlich zulässig. Schon die EU-Vergabekoordinierungsrichtlinien aus dem Jahr 2004 enthalten detaillierte Vorschriften zur e-Vergabe. In deren Umsetzung regeln VOB/A, VOL/A und VOF nach geltendem Recht bereits in den Grundsätzen der Informationsübermittlung auch Standards für die elektronische Kommunikation und elektronische Angebotsabgabe.

In der Praxis zeigt sich ein heterogenes Bild: Während in Deutschland einige wenige öffentliche Auftraggeber die vollumfängliche elektronische Vergabe bereits seit Jahren zwingend eingeführt haben – so etwa die Bundesagentur für Arbeit – wickelt das Gros der öffentlichen Auftraggeber Vergabeverfahren nach wie vor in Papierform ab. Lediglich die elektronische Bereitstellung bzw. der Download von Dokumenten – insbesondere den Vergabeunterlagen – ist inzwischen weit verbreitet. Dagegen wird die interaktive elektronische Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten, insbesondere auch die elektronische Angebotsabgabe, nur zurückhaltend praktiziert, da sie bei der rechtskonformen technischen Umsetzung die meisten Probleme bereitet, Stichwort „elektronische Signatur“. Insgesamt werden in Deutschland immer noch weniger als 20 Prozent aller Vergaben vollelektronisch, also einschließlich elektronischer Angebotsabgabe, abgewickelt.

Begriff der e-Vergabe

e-Vergabe meint die Durchführung der Vergabe öffentlicher Aufträge mit elektronischen Mitteln. Da eine allgemeingültige Definition von e-Vergabe fehlt, wird der Begriff allerdings für elektronische Prozesse höchst unterschiedlicher Reichweite verwandt.

So bezeichnet die e-Vergabe im engeren Sinne die elektronische Durchführung des Verfahrens von der Bekanntmachung bis zum Zuschlag, also die „Vergabephase“ der Beschaffung. In diesem Sinne regeln auch die neuen Vergaberichtlinien die e-Vergabe als elektronische, interaktive und (vollständige) Abwicklung von Beschaffungsprozessen im Hinblick auf alle Verfahrensschritte und unter Nutzung des elektronischen Nachweismanagements der Europäischen Kommission (e-Certis) für den Austausch von Bescheinigungen und anderen verlangten Nachweisen.

Darüber hinaus wird e-Vergabe im weiteren Sinne als Begriff verwandt, der auch die elektronische Unterstützung der Geschäftsprozesse in der „Vertragsphase“ nach Zuschlag umfasst. Hierfür enthalten die neuen Vergaberichtlinien allerdings keine Regelungen. Es gelten die allgemeinen Vorschriften zum elektronischen Geschäftsverkehr, zu denen die neue EU-Richtlinie zur elektronischen Rechnungstellung bei öffentlichen Aufträgen hinzutritt.

Vergabeplattformen und Vergabemanagementsysteme

Bezüglich der technischen Mittel (tools) zur Umsetzung lassen sich momentan e-Vergabeplattformen einerseits und e-Vergabemanagementsysteme andererseits unterscheiden. e-Vergabeplattformen dienen dazu, die elektronische Kommunikation zwischen Vergabestelle und Bieter zu ermöglichen. Dies betrifft insbesondere die Veröffentlichung von Bekanntmachungen, die Bereitstellung der Vergabeunterlagen, die Bieterkommunikation und die Angebotsabgabe. Während für die elektronische Abwicklung der Verfahrensschritte im Sinne der neuen EU-Richtlinien somit Vergabeplattformen eine ausreichende Oberfläche bieten, zielen Vergabemanagementsysteme darüber hinaus. Sie bieten neben den Funktionen einer Vergabeplattform eine Strukturierung der internen Arbeitsabläufe beim öffentlichen Auftraggeber. Dieser wird – in unterschiedlicher Ausgestaltung je nach Anbieter und ggf. customizing – durch den Verfahrensablauf geleitet und zu entsprechender sukzessiver Dokumentation „gezwungen“. Neben der externen Kommunikation werden so auch die internen Prozesse und Entscheidungen, ausgehend von der Bedarfsermittlung über die Schätzung des Auftragswertes, Wahl der Verfahrensart, Strukturierung des Verfahrens, Management von Bieterfragen, Angebotsauswertung, etc., transparent und manipulationsfrei dokumentiert und archiviert.

Anforderungen der neuen Vergaberichtlinien an die e-Vergabe

Zentrale Norm der e-Vergabe ist Artikel 22 der klassischen Vergaberichtlinie 2014/24/EU. Die Regelung schreibt vor, dass die gesamte Kommunikation und der Informationsaustausch im laufenden Vergabeverfahren grundsätzlich nur mithilfe elektronischer Mittel erfolgen dürfen. Dies umfasst die Übermittlung und Veröffentlichung der Bekanntmachungen, das Zurverfügungstellen von Vergabeunterlagen sowie die Einreichung von Angeboten. Darüber hinaus müssen Bieterfragen, Informationen und Zwischenmitteilungen an die Bieter ebenfalls elektronisch übermittelt werden. e-Vergabe nach den EU-Vergaberichtlinien umfasst also alle Verfahrensschritte der Vergabephase.

Fristen für die Einführung der e-Vergabe

Bereits ab dem 18. April 2016 müssen alle Bekanntmachungen und Ausschreibungsunterlagen elektronisch zugänglich sein. Die Elektronisierung der übrigen Verfahrensschritte kann durch den deutschen Gesetzgeber für normale öffentliche Auftraggeber bis zum 18. Oktober 2018 aufgeschoben werden. Dies gilt allerdings nicht für zentrale Beschaffungsstellen, für die ein Aufschub nur bis zum 18. April 2017 zulässig ist.

Detailanforderungen werden entwickelt

Die neuen Vergaberichtlinien fordern, dass die Kommunikation nicht diskriminierend, allgemein verfügbar sowie kompatibel mit allgemein verbreiteten Erzeugnissen der Informations- und Kommunikationstechnik zu sein hat. Was dies im Detail bedeutet, ist noch offen. Bei Anforderung des uneingeschränkten und voll- ständigen direkten Zugangs anhand elektronischer Mittel zu den Vergabeunterlagen ist beispielsweise bereits umstritten, ob das Erfordernis des uneingeschränkten und direkten Zugangs noch gewahrt ist, wenn der interessierte Bieter sich auf einer Website – auftraggebereigen oder Vergabeplattform – registrieren muss. Die Europäische Kommission hat mittlerweile signalisiert, dass ein Anmeldeprozess von nicht mehr als 10 Minuten die Vorgabe nicht verletzt. Das Beispiel zeigt, dass die Krux im Detail steckt. Der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber ist nun am Zug, die europäischen Anforderungen in nationales Vergaberecht zu übersetzen. Dem aktuell vorliegenden Referentenentwurf zum neuen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist bezüglich der e-Vergabe allerdings nur wenig zu entnehmen. Denn die e-Vergabe wird primär im Regelungsbereich der Vergabeordnung liegen, deren Verabschiedung für Winter 2015/2016 erwartet wird. Öffentliche Auftraggeber sollten diesen Prozess kontinuierlich verfolgen, da die technische und organisatorische Umrüstung nicht von heute auf morgen funktioniert. Nur eine rechtzeitige Umsetzung im eigenen Haus kann nicht nur Rechtsstreitigkeiten vermeiden, sondern auch die Vorteile der e-Vergabe möglichst früh fruchtbar machen.

Fazit

Sicher ist, dass dies für alle öffentlichen Auftraggeber, die e-Vergabe nicht ausnahmsweise bereits jetzt vollumfänglich praktizieren, einen erheblichen Umstellungsaufwand bedeuten wird. Hardware, Software, hausinternes Formularwesen und hausinterne Arbeitsabläufe sind auf die neuen Anforderungen umzustellen. Nicht zuletzt elektronische Signatur und Datenschutz werden dabei aktuelle Themen sein. Nach vollzogener Umstellung dürften aber die Vorteile überwiegen – spätestens dann, wenn auch die Vergabekammern nachziehen und im Nachprüfungsfall medienbruchfrei eine elektronische Zurverfügungstellung der Vergabeakte akzeptieren, wird die Papierakte endgültig entbehrlich.

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