29.04.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2022

Eine Quarantäneanordnung schließt den Verbrauch von Urlaubstagen nicht aus

Urteil des LAG Schleswig-Holstein v. 15. Februar 2022 – 1 Sa 208/21

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, hat er Anspruch auf Nachgewährung der Urlaubstage, an denen er erkrankt war. Diese Urlaubstage werden also nicht „verbraucht“, sondern dem Urlaubskonto wieder gutgeschrieben. Andere urlaubsstörende Ereignisse nach Urlaubsgewährung fallen als Teil der persönlichen Lebensführung grundsätzlich in den Risikobereich des Arbeitnehmers. Bei häuslicher Isolation während eines gewährten Urlaubs aufgrund einer behördlicher Quarantäneanordnung – nicht aber Arbeitsunfähigkeit – besteht deshalb kein Anspruch auf Nachgewährung der Urlaubstage. Eine Umverteilung zu Gunsten des Arbeitnehmers findet nur statt, soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen. 

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Nachgewährung von sechs Urlaubstagen im Kalenderjahr 2020. Der Kläger ist bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Anwendung. Dem Kläger stehen bei einer 5-Tage-Woche 30 Arbeitstage Urlaub zu.

Für die Zeit vom 23. Dezember bis zum 31. Dezember 2020 hatte der Kläger sechs Tage Erholungsurlaub beantragt, den die Beklagte gewährte und ihm auch das Urlaubsentgelt hierfür zahlte. Wegen eines Kontakts zu einer an Covid-19 erkrankten Person ordnete das zuständige Gesundheitsamt am 21. Dezember 2020 gegenüber dem Kläger die häusliche Isolation für die Zeit vom 21. Dezember 2020 bis zum 4. Januar 2021 an. Der Kläger musste sich demnach während des gesamten Zeitraums des ihm gewährten Urlaubs in Quarantäne begeben. Arbeitsunfähig erkrankt war der Kläger allerdings unstreitig nicht.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Gewährung weiterer sechs Tage Urlaub für das Jahr 2020. Der Kläger hat seinen Begehren erstinstanzlich auf eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG gestützt. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass Quarantäneanordnung mangels anderweitiger Regelung in den Risikobereich des Arbeitnehmers falle und der Anspruch deshalb durch Erfüllung bereits erloschen sei. Mit seiner Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Ein Anspruch des Klägers auf Nachgewährung der sechs Urlaubstage bestehe nicht. Das Landesarbeitsgericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG im Streitfall nicht in Betracht kommt.

Da der Arbeitgeber mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) als Schuldner alles nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan habe, habe er den Anspruch erfüllt. Deshalb fielen alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Dabei sei die Urlaubserteilung des Arbeitgebers jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis so zu verstehen, dass der Arbeitgeber damit zugleich unstreitig stellt, dass er für den gewährten Urlaub dem Grunde nach zur Zahlung von Urlaubsentgelt nach den gesetzlichen Vorgaben und etwaigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet ist, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen.

Von diesem Grundsatz sind nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Ausnahmen möglich; ein Ausnahmesacherhalt läge im Streitfall jedoch nicht vor. Nur soweit der Gesetzgeber – wie in §§ 9, 10 BUrlG – oder aber auch die Tarifvertragsparteien besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, finde eine Umverteilung des Risikos zu Gunsten des Arbeitnehmers statt. Ein tariflich geregelter Ausnahmefall lag im Streitfall unzweifelhaft nicht vor. Die Ausnahme des § 9 BUrlG greife ebenfalls nicht ein, da mangels Arbeitsunfähigkeit des Klägers die Voraussetzung der Norm nicht erfüllt seien.

Auch eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG lehnt das Landesarbeitsgericht im konkreten Fall ab, da es sowohl an einer planwidrigen Lücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage fehle. Zwar bestünde durchaus eine Regelungslücke, da für den Fall der Quarantäneanordnung ohne Arbeitsunfähigkeit nicht gesetzlich geregelt ist, was mit bereits bewilligtem Urlaub geschieht. Jedoch sei diese nicht planwidrig, da die Kategorisierung als „Ansteckungsverdächtiger“ schon lange bekannt sei und das Bundesarbeitsgericht seit Jahren eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf andere ähnlich gelagerte Sachverhalte wegen des Ausnahmecharakters der Norm ablehne. Das Landesarbeitsgericht folgt damit der engen Auslegung von § 9 BurlG.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hat das Landesarbeitsgericht – wie schon die anderen mit dieser Frage konfrontierten Landesarbeitsgerichte – die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Hinweise

Der interessengerechten Entscheidung ist in der Sache zuzustimmen. Quarantäneanordnungen während des Urlaubs stehen nicht per se dem Erholungszweck des Urlaubs entgegen. Aus praktischer Perspektive wird man davon ausgehen müssen, dass es dem Kläger weniger um den fehlenden Erholungszweck gegangen ist, sondern vielmehr um die entgangene Möglichkeit, während des Urlaubs tun zu können, was er wollte. Dies mag zwar aus persönlichen Gründen nachvollziehbar sein. Letztendlich verwirklicht sich hierin jedoch das allgemeine Lebensrisiko, mit welchem der Arbeitgeber nicht belastet werden kann.

Die Entscheidung reiht sich in die bisherige Rechtsprechung des LAG Düsseldorf (Urt. v. 15. Oktober 2021 – 7 Sa 857/21) und zuletzt des LAG Köln (Urt. v. 13. Dezember 2021 – 2 Sa 488/21) ein und ergänzt deren Begründung um die Ausführungen zur Ablehnung einer Analogie zu § 9 BUrlG. Bislang wurde insbesondere auf die Unterscheidung zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit abgestellt. Während bei Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsleistung ausgeschlossen sei, führe die Quarantäneanordnung nur im Einzelfall zur Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung. Eine Analogie des § 9 BUrlG hat bislang nur das LAG Hamm bejaht (Urt. v. 27. Januar 2022 – 5 Sa 1030/21).

In praktischer Hinsicht ist die Entscheidung auch deshalb bedeutsam, da angesichts der neu aufgetretenen Virusvarianten die Fälle der infizierten, aber nicht arbeitsunfähig erkrankten, Arbeitnehmer deutlich zugenommen hat. Es ist daher begrüßenswert, dass mittlerweile ein so deutlicher Trend in der Rechtsprechung erkennbar ist. Arbeitgeber, die sich mit einem Nachgewährungsbegehren im Fall der Quarantäneanordnung konfrontiert sehen, sollten diesem Begehren angesichts dieses Trends bis zur Klärung durch das Bundesarbeitsgericht zumindest nicht vorschnell nachgeben.

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