29.07.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juli 2022

Kein Anspruch des Betriebsrates auf Aufstellung eines Sozialplans bei Erstwahl nach begonnener Umsetzung der Betriebsänderung

BAG, Beschluss vom 8. Februar 2022 – 1 ABR 2/21

Ein Betriebsrat, der in einem bislang betriebsratslosen Betrieb gewählt wird, nachdem der Arbeitgeber begonnen hat, eine Betriebsänderung durchzuführen, kann nicht verlangen, dass ein Sozialplan aufgestellt wird.

Sachverhalt

Das Bundesarbeitsgericht hatte jüngst erneut über ein Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans im Rahmen einer Betriebsänderung gemäß §§ 111 ff. BetrVG zu entscheiden. Die Arbeitgeberin unterhielt einen aus zwei Betriebsstätten bestehenden Betrieb mit 25 Arbeitnehmern. Nachdem die Arbeitgeberin ihren Arbeitnehmern die Absicht mitgeteilt hatte, den Betrieb stillzulegen, kündigte sie drei Tage später den überwiegenden Teil der Arbeitsverhältnisse. Wenige Tage darauf wurde im Betrieb eine Betriebsratswahl durch Aushang einer Einladung zur Bestellung eines Wahlvorstandes eingeleitet. Sodann wurde ein Betriebsrat gewählt, welcher die Arbeitgeberin nach seiner Wahl dazu aufgefordert hat, im Rahmen der Betriebsschließung einen Sozialplan aufzustellen. Nach Auffassung des Betriebsrates stehe ihm im Zusammenhang mit der Betriebsstillegung gemäß § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zu.  Der Betriebsrat hat deshalb vor dem Arbeitsgericht Frankfurt beantragt, festzustellen, dass die Aufstellung eines Sozialplans wegen der Betriebsänderung in Form einer Teilbetriebsstilllegung oder eine Betriebsschließung durch die Arbeitgeberin der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt. Nachdem das Arbeitsgericht Frankfurt am Main den Antrag des Betriebsrates zurückgewiesen hat, hat der Betriebsrat Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht Hessen eingelegt. Diese wurde ebenfalls zurückgewiesen. Der Betriebsrat hat daraufhin Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht erhoben.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates mangels Begründetheit zurückgewiesen.

Das Gericht hat dabei die Auffassung vertreten, dass dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zustehe. 
Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BAG, Beschluss vom 22. Oktober 1991 – 1 ABR 17/91; BAG, Beschluss vom 29. November 1983 – 1 ABR 20/82; BAG, Beschluss vom 20. April 1982 – 1 ABR 3/80) hat das Bundesarbeitsgericht diese erneut bestätigt, dass der Betriebsrat eines bislang betriebsratslosen Betriebs, welcher erst nach Beginn der Durchführung der Betriebsänderung gewählt wird, nicht die Aufstellung eines Sozialplans verlangen kann. 

Als Begründung führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass Beteiligungsrechte des Betriebsrates erst in dem Moment entstehen, in dem sich der Tatbestand verwirklicht, an den das jeweilige Recht anknüpft. Im Falle einer Betriebsänderung nach §§ 111 ff. BetrVG ist dies die beabsichtigte – noch in der Zukunft liegende – Betriebsänderung. Nur diese bilde den Gegenstand der Mitbestimmung. Nach dem Sinn und Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungstatbestände soll eine Mitbestimmung grundsätzlich stattfinden, bevor die Betriebsänderung durchgeführt ist. Ein erzwingbares Recht auf Mitbestimmung des Betriebsrates auf Abschluss eines Sozialplans gemäß der §§ 111 ff. BetrVG kann nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts deshalb nicht mehr entstehen, wenn der Betriebsrat in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, noch nicht gebildet war. Dies folgt insbesondere auch aus dem gesetzlichen Wortlaut der §§ 111 S. 1, 112 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 S. 1 sowie § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG, in welchen stets von der „geplanten“ Betriebsänderung die Rede ist. Solange der Arbeitgeber noch nicht damit angefangen hat, die Betriebsänderung auch tatsächlich durchzuführen, besteht noch die Möglichkeit des Betriebsrats, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Hat er hingegen schon mit der Betriebsänderung begonnen und sich fest zu dieser entschlossen, ginge eine Mitbestimmung des Betriebsrates, die sich auf die Entscheidung des Arbeitgebers auswirken könnte, fehl. Auch geht nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes davon aus, dass ein Sozialplan bereits vor Durchführung der Betriebsänderung verhandelt und vereinbart werden soll, weil er nur dann seiner Befriedungs- und Ausgleichsfunktion in vollem Umfang gerecht werden kann (vgl. hierzu schon BAG, Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 5/05).

Praxistipp

Mit seinem Beschluss vom Februar 2022 hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass ein Betriebsrat bereits in dem Zeitpunkt gebildet sein muss, in welchem sich der Arbeitgeber zur Betriebsänderung gemäß der §§ 111 ff. BetrVG entschließt. Für Arbeitgeber ist diese Rechtsprechungsbestätigung erfreulich. Arbeitgebern ist deshalb zu empfehlen, im Falle einer bevorstehenden bzw. beabsichtigten Betriebsänderung in betriebsratslosen Betrieben möglichst früh entsprechende Einleitungsmaßnahmen zu dokumentieren, um zu vermeiden, dass ein später gebildeter Betriebsrat nicht bestehende Mitbestimmungsrechte geltend macht. Vorteilhaft kann hierfür beispielsweise die schriftliche Dokumentation der unternehmerischen Entscheidung einer Betriebsänderung sein, um dadurch die Einleitung der Betriebsänderung zu beginnen.

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