27.07.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juli 2022

Kein Beschäftigungsverbot im Krankenhaus trotz fehlender Impfung gegen SARS-CoV-2

ArbG Bonn vom 18. Mai 2022 – 2 Ca 2082/21

Die Kündigung eines im Krankenhaus beschäftigten Auszubildenden aufgrund der Weigerung zum dem Hygienekonzept entsprechendem, ordnungsgemäßem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist ohne vorige Abmahnung unwirksam. 

Die Regelung des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG enthält kein gesetzliches Beschäftigungs- oder Tätigkeitsverbot für bereits zuvor beschäftigte Arbeitnehmer, die dem Arbeitgeber bis zum 15. März 2022 keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen.

Sachverhalt

Der 52-jährige Kläger macht bei der Beklagten seit dem 25. März 2019 eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. Der gegen SARS-CoV-2 nicht geimpfte oder davon genesene Kläger wurde mehrere Male ohne die vorgeschriebene Mund-Nasen-Bedeckung in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus beobachtet. In diesen Situationen befand sich der Kläger zu anderen Personen in einem Abstand von vier bis fünf Metern und kam der Aufforderung, die Maske ordnungsgemäß zu tragen – unter anderem durch den Geschäftsführer der Beklagten sowie den Schulleiter – nach, wenn auch nur zögerlich. Darüber hinaus kam es mehrmals zu Problemen im Testzentrum der Beklagten. Der Kläger bestand darauf, sich aufgrund einer Sensibilität im Rachen- und Nasenraum selbst zu testen. Eine Selbsttestung war jedoch nicht vorgesehen und auch nicht zulässig, weshalb der Kläger am 27. November 2021 im Unterricht keinen Test vorlegen konnte und deshalb unentschuldigt im Unterricht fehlte. Aufgrund dieser Divergenzen das Testungsverfahren betreffend legte der Kläger am 29. November 2021 ein negatives Testergebnis einer auswärtigen Teststelle vor, woraufhin es zu einer Ermahnung durch den Schulleiter kam. Daraufhin kündigte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2021 und stellte am selben Tag die Zahlung der Ausbildungsvergütung ein.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. Mai 2022 entschieden, dass die fristlose Kündigung ohne vorige Abmahnung unwirksam war. Trotz Einführung der einrichtungsbezogenen Impfflicht ab dem 15. März 2022 wurde dem Kläger ein Annahmeverzugslohn zugesprochen, obwohl er entgegen § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegte. Im Einzelnen: 
Da der Kläger seitens der Beklagten – trotz behaupteter Verstöße gegen ihr Schutzkonzept – nicht abgemahnt wurde und es aufgrund der Einhaltung der Abstandsregelungen von mindestens vier Metern zu keiner konkreten Gefährdung von Dritten gekommen ist, überwiege vorliegend das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung seines Ausbildungsverhältnisses gegenüber dem Interesse der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung. Es sei der Beklagten zumutbar gewesen, die Pflichtverstöße des Klägers vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzumahnen. Zudem wurde berücksichtigt, dass der Kläger zwei Drittel seiner Ausbildung ohne darüberhinausgehende Verfehlungen nahezu beendet hatte und sein Interesse an der Weiterbeschäftigung dadurch als sehr hoch einzustufen war. Mit dem Ausspruch der Ermahnung gegenüber dem Kläger habe die Beklagte im Übrigen selbst zum Ausdruck gebracht, dass die dem Kläger vorgeworfene Pflichtverletzung nicht so schwer wiegt, dass sie diese zu dem Ausspruch einer Kündigung heranziehen werde. 

Darüber hinaus hat die Kammer des Arbeitsgerichts dem Kläger seinen Lohn zugesprochen, obwohl der Kläger keinen Impf- oder Genesenennachweis vorgelegt hat. Damit wurde erstmals gerichtlich festgestellt, dass die Nachweispflicht nicht für Mitarbeiter gilt, die bereits vor dem 15. März 2022 und damit vor Inkrafttreten der Regelung in § 20a Abs. 3 Satz 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG) beschäftigt waren. 

Praxistipp

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung bedarf es in aller Regel zuvor der (schriftlichen) Abmahnung. Dies gilt nur in Ausnahmefällen nicht, wenn die Hinnahme der ersten verhaltensbedingten Pflichtverletzung offensichtlich unzumutbar ist. Eine solche Ausnahme liegt aber jedenfalls dann nicht vor, wenn keine konkrete Gefährdungssituation durch das Verhalten des Arbeitnehmers nachgewiesen werden kann. Eine Ermahnung ist gegenüber der Abmahnung eine mildere Maßnahme. Durch ihre rügende Funktion wird dem Arbeitnehmer signalisiert, dass das Arbeitsverhältnis erst im Wiederholungsfall gefährdet ist.

Auch wenn die Regelung des § 20a Abs. 3 Satz 4 IfSG nur auf Mitarbeiter Anwendung findet, die ab dem 16. März 2022 beschäftigt worden sind, verbleibt Arbeitgebern in konkreten Gefahrensituationen nach § 20a Abs. 4 S. 2 IfSG die Pflicht, Verstöße beim Gesundheitsamt zu melden. Ausschließlich dem Gesundheitsamt obliegt die Befugnis, zum Schutze Dritter ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot zu erlassen, vgl. § 20a Abs. 5 S. 3 IfSG. 

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