25.02.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Februar 2022

Kein Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Stellenbewerbers

LAG Köln, Urteil vom 10.11.2021 – 3 Sa 1187/20

Ist die Bewerbersuche abgeschlossen, kommt ein Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Bewerbers, dessen Bewerbung nach Schluss der Bewerbersuche einging, nach dem AGG nicht mehr in Betracht. 

Sachverhalt

Dem LAG Köln lag im November 2021 folgender Fall zur Entscheidung vor:

Die Beklagte (wohl eine Gesellschaft in öffentlicher Trägerschaft) hatte gegen Ende des Jahres 2019 eine Stelle ausgeschrieben. Die Stelle war unter anderem in zwei Onlineportalen veröffentlicht. Diese Annoncen liefen jeweils bis zum 27. November 2019 bzw. 7. Dezember 2019. 

Innerhalb kürzester Zeit gingen bei der Beklagten diverse Bewerbungen ein, von denen der Beklagten vier (darunter der aktuelle Stelleninhaber) fachlich besonders attraktiv erschienen. Das Bewerbungsverfahren wurde daraufhin vom Geschäftsführer der Beklagten am 21. November 2019 vorzeitig für beendet erklärt. Die fachlich besonders attraktiven Bewerber wurden am selben Tag zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. 

Solche Bewerbungen, die nach dem 21. November 2019 eingingen, wurden von der Beklagten unterschiedslos mit identischen Schreiben abgesagt. Unter den Einsendungen nach Abschluss der Bewerbersuche war auch das Schreiben des schwerbehinderten Klägers, das auf den 2. Dezember 2019 datierte. 

Der Kläger argumentiert, die Beklagte habe seine Bewerbung berücksichtigen müssen. Insbesondere hätte die Beklagte nicht davon ausgehen können, dass nach vorzeitiger Beendigung der Bewerbersuche bis zum Ablauf der Veröffentlichung der online Annoncen keine Bewerbungen mehr eingehen würden. Entsprechend werde der Kläger aufgrund einer Behinderung benachteiligt und ihm stehe ein Entschädigungsanspruch nach dem AGG zu. 

Das Arbeitsgericht Köln hatte der Klage mit Urteil vom 5. November 2020 (14 Ca 1497/20) stattgegeben und die Beklagte zu einer Entschädigungszahlung von EUR 3.000 an den Kläger verurteilt. 

Entscheidung des LAG

Das LAG änderte das Urteil des ArbG Köln ab und wies die Klage ab. 

Zur Begründung führt das LAG aus, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung des Klägers nicht vorgelegen habe. 

Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG komme nur bei einem Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot in Betracht. Eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes (z.B. ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Behinderung) setze eine Kausalität zwischen dem in § 1 AGG genannten Grund und der Benachteiligung voraus. 

Grundsätzlich seien Verstöße gegen die Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Bewerber (§ 165 S. 3 SGB IX) geeignet die Vermutung zu begründen, dass eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung vorliege (vgl. § 22 AGG). Der (potentielle) Arbeitgeber erwecke dadurch den Anschein, er sei an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert. 

Entsprechend der Beweisregelung in § 22 AGG, trage daher der (potentielle) Arbeitgeber die Beweislast für die Erbringung des Gegenbeweises, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden sei. Diesen Gegenbeweis habe die Beklagte erbracht.

Die Beklagte habe vorgetragen, dass die Bewerbersuche trotz der weiter laufenden Stellenanzeigen bereits am 21. November 2019 geschlossen und keine weiteren Bewerbungen berücksichtigt worden seien. Insbesondere die von der Beklagten benannte und vernommene Zeugin habe dies schlüssig und glaubhaft dargestellt. So sei der Geschäftsführer der Beklagten aufgrund der qualitativ ansprechenden Bewerbungen vorzeitig zu dem Schluss gelangt, dass keine weiteren Bewerbungen nötig seien und der Bewerbungsprozess insoweit abgeschlossen werden könne. Nachfolgende Bewerbungen sollten nur noch gesammelt, aber nicht mehr an die Geschäftsleitung weitergeleitet werden. 

Praxishinweise

Die Entscheidung des LAG Köln ist klar verständlich und zu begrüßen. Das LAG stellt klar, dass nicht jede Abweisung eines schwerbehinderten Bewerbers im Bewerbungsprozess automatisch eine Benachteiligung wegen der Behinderung ist. Insoweit prüft das LAG konsequent und fragt nach der Ursache für die abweisende Entscheidung gegenüber dem schwerbehinderten Bewerber. Die Ursache lag im oben dargestellten Fall gerade nicht in der Behinderung des Bewerbers, sondern darin, dass der Geschäftsführer den Bewerbungsprozess aufgrund bereits eingegangener qualitativ attraktiver Bewerbungen für abgeschlossen erklärte. Alle weiteren Einsendungen nach internem Abschluss des Bewerbungsprozesses wurden gleichermaßen abgewiesen. Entsprechend musste eine Benachteiligung des Klägers aufgrund seiner Behinderung ausscheiden. 

Es kann für die Beurteilung auch keinen Unterschied machen, ob der potentielle Arbeitgeber eine online Annonce bei einem Serviceanbieter geschaltet hat, die nach internem Abschluss weiterläuft. Der Bewerbungsprozess liegt in der Hand des potentiellen Arbeitgebers. Sofern er den Bewerberpool für ausreichend erachtet, muss er die Möglichkeit haben weitere Einsendungen zu ignorieren. Spannend wird sein, ob und wie sich das BAG zu dieser Frage positioniert, sofern es die Entscheidung zur Revision annimmt (Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Az. 8 AZN 36/22).

Die Teilnahme schwerbehinderter Menschen an Bewerbungsprozessen birgt in der Praxis diverse Stolperfallen. Auch aufgrund der mannigfaltigen Rechtsprechung zu diesem Thema, sind die Anforderungen stetig im Fluss. Auch das BAG hat in den letzten Jahren Entscheidungen getroffen, die zu berücksichtigen sind. Exemplarisch seien die Folgenden benannt: 

So hat das BAG am 29. April 2021 entschieden, dass schwerbehinderte Bewerber nicht allein aufgrund der Nichterreichung einer vom Arbeitgeber festgelegten Abschlussnote als „fachlich offensichtlich ungeeignet“ i.S.d. § 165 S. 4 SGB IX gelten und daher die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht allein deshalb entfalle (BAG, Urteil vom 29.4.2021 – 8 AZR 279/20). Unter dem Begriff „Vorstellungsgespräch“ seien zudem alle Instrumente des Verfahrens der Personalauswahl zu verstehen, mit denen sich der Arbeitgeber ein Bild der fachlichen und persönlichen Eignung mache – das gelte auch in mehrstufigen Bewerbungsprozessen, sodass ein schwerbehinderter Bewerber nicht nur zu einem Auswahlgespräch, sondern auch zu einer anschließenden Potenzialanalyse eingeladen werden müsse (vgl. BAG, Urteil vom 27.8.2020 – 8 AZR 45/19). Schließlich könne ein schwerbehinderter Bewerber nicht auf die Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 165 SBG IX verzichten, da diese kein individuelles Recht begründe (vgl. BAG, Urteil vom 26.11.2020 – 8 AZR 59/20). Der Bewerber ist also auch einzuladen, wenn er mitteilt, nur eingeladen werden zu wollen, wenn er in die engere Auswahl fällt.

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