30.06.2025 Fachbeitrag

Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich

Update Arbeitsrecht Juni 2025

BAG vom 03.06.2025, Az. 9 AZR 104/24

Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 5. Juni 2025 weitergehend klargestellt, dass die Arbeitsvertragsparteien über den gesetzlichen Mindesturlaub nicht disponieren können. Hiernach kann ein Arbeitnehmer in einem bestehenden Arbeitsverhältnis auch nicht durch gerichtlichen Tatsachenvergleich auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten, wenn keine Unsicherheit besteht, die durch den Vergleich ausgeräumt wird. Bislang liegt allein die Presseerklärung der Entscheidung vor.

Hintergrund

Gemäß § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG kann von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden. Eine Vereinbarung, in welcher ein Arbeitnehmer auf gesetzliche Urlaubsansprüche verzichtet, ist daher unwirksam.

Möglich sind Vereinbarungen nach Ende des Arbeitsverhältnisses – wenn anstelle des Urlaubsanspruchs ein Anspruch auf Abgeltung besteht.

Es entsprach jedoch bislang der herrschenden Meinung, dass es stets möglich ist, eine Einigung über Tatsachen zu treffen und somit etwaige künftige Urlaubsabgeltungsansprüche auszuschließen. Einigten sich die Parteien demnach darauf, dass der volle Urlaubsanspruch bereits tatsächlich gewährt und genommen worden war, so bestand am Ende des Anstellungsverhältnisses auch kein Urlaubsabgeltungsanspruch mehr.

Zugrundeliegender Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Abgeltung von sieben Tagen gesetzlichen Mindesturlaubs für das Jahr 2023. Der Kläger war vom 1. Januar 2019 bis 30. April 2023 bei der Beklagten beschäftigt. Von Beginn des Jahres 2023 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Anfang des Jahres 2023 kam es zu einem Rechtsstreit zwischen den Parteien. Diesen Rechtsstreit beendeten die Parteien am 31. März 2023 mit einem Vergleich, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2023 gegen Zahlung einer Abfindung vorsah. Bezüglich etwaiger Urlaubsansprüche einigten sich die Parteien auf folgende Formulierung: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“

Bereits bei Verhandlung des Vergleichs hatte der Klägervertreter Zweifel an der Wirksamkeit der Regelung zum Urlaub geäußert. Die Beklagte war jedoch zu keinerlei weitergehendem Entgegenkommen bereit und bestand auf die Formulierung.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte der Kläger von der Beklagten die Zahlung einer Urlaubsabgeltung für die auf das Kalenderjahr 2023 entfallenden Urlaubstage in Höhe von € 1.615,11.

Das BAG entschied – ebenso wie die Vorinstanzen – zugunsten des Klägers. Die hier streitgegenständige Vereinbarung, Urlaubsansprüche seien in natura gewährt, stelle einen unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs dar und sei daher unwirksam. Dies gelte auch, wenn – wie hier – bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Aus der Richtlinie 2003/88/EG folge, dass der Urlaubsanspruch nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden könne. Im bestehenden Arbeitsverhältnis dürfe der Arbeitnehmer somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“.

Ziffer 7 des hier streitigen Prozessvergleichs könne nicht als – grundsätzlich möglicher – Tatsachenvergleich angesehen werden, auf den § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre. Ein solcher setze voraus, dass eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs bestehe. Eine solche Unsicherheit gab es in dem hier streitigen Fall gerade nicht: Der Kläger war während des gesamten Zeitraums, in dem das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr 2023 bestand, arbeitsunfähig erkrankt. Er konnte daher den ihm zustehenden Urlaubsanspruch schlicht nicht genommen haben.

Einen Missbrauchseinwand der Beklagten wies das BAG ebenfalls deutlich zurück. Die Beklagte könne nicht auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen.

Praxishinweis

Ob ein Tatsachenvergleich geeignet ist, die Interessen der Parteien zu wahren, muss künftig im Einzelfall überprüft werden – der pauschalen Berufung auf einen solchen Tatsachenvergleich hat das BAG eine Absage erteilt.

Kommt ein Tatsachenvergleich mangels Unsicherheiten bei der Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, ist der zu erwartende Urlaubsabgeltungsanspruch bei der Verhandlung der Abfindung zu berücksichtigen. So könnte etwa die Abfindung um die zu erwartende Urlaubsabgeltung reduziert werden. Sollte geplant sein, den Urlaub im Rahmen einer unwiderruflichen Freistellung aufzubrauchen, könnte die Abfindungsregelung auch eine automatische Reduzierung für den Fall unerwarteter Krankheit vorsehen.

In jedem Fall gilt es künftig mehr denn je, individuelle Lösungen auch für den Umgang mit offenen Urlaubsansprüchen zu finden.

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