LAG Thüringen, Urteil vom 24. Juli 2024 – Wartezeit nach dem KSchG: Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten?
Update Arbeitsrecht Juli 2025
Der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) findet erst nach dem Ablauf der sog. Wartezeit von sechs Monaten Anwendung. Die rechtlichen Hürden für Kündigungen sind daher innerhalb Wartezeit deutlich niedriger. Doch was gilt, wenn Arbeitnehmer vor der Kündigung auf Grundlage verschiedener Verträge insgesamt länger als sechs Monate bei einem Arbeitgeber beschäftigt waren?
Das LAG Thüringen hat nunmehr entschieden, dass Beschäftigungszeiten jedenfalls dann nicht zusammenzurechnen sind, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen eine deutliche Zäsur liegt.
I. Sachverhalt
Das Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG) hatte über die Wirksamkeit zweier Kündigungen zu entscheiden.
Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Auswahlverfahren der Beklagten für die Stelle als Konzept- und Musikdramaturgin. Im Zuge des Auswahlverfahrens entscheid sich die Beklagte dazu, der Klägerin und einem weiteren Kandidaten Aufgaben zur Probe zu stellen. Zu diesem Zweck schlossen die Beklagte und die Klägerin im Februar 2021 einen befristeten Dienstleister- und Beratervertrag ab. Dieser sah eine wöchentliche, pauschale Vergütung vor.
Nach mehreren Probeaufgaben und krankheitsbedingter Unterbrechung entschied sich die Beklagte zunächst für den anderen Kandidaten. Nachdem dieser aber absagte, wurde am 17. Mai 2021 die Klägerin als Arbeitnehmerin eingestellt.
Rund acht Monate nach dem Beginn der Probearbeiten, aber nur fünf Monate nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 25. Oktober 2021. Da dieses Schreiben aber lediglich durch die nicht zur Kündigung berechtigte Intendantin unterzeichnet war, kündigte die Beklagte am 11. November 2021 vorsorglich erneut.
Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und machte geltend, das Arbeitsverhältnis habe bereits mit dem ersten Vertrag im Februar 2021 begonnen, sodass das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung finde. Sie argumentierte, sie sei ab Februar 2021 durchgängig vollständig in den Organisationsablauf des Beklagten eingebunden und abhängig beschäftigt gewesen. Der Dienstleistungs- und Beratervertrag sei ein Scheinvertrag gewesen, um Sozialversicherungen zu täuschen; tatsächlich habe ein Arbeitsverhältnis bestanden.
Die Beklagte hielt dem entgegen, dass der Vertrag vom Februar 2021 ein befristeter Berater- und Dienstleistungsvertrag gewesen sei, der lediglich als Grundlage für Probearbeiten im Bewerbungsverfahren diente. Erst nach der Absage des zunächst ausgewählten Bewerbers im Mai 2021 sei ein Arbeitsverhältnis mit der Klägerin begründet worden.
II. Entscheidungsgründe
Das LAG Thüringen bestätigte im Berufungsverfahren die Entscheidung des Arbeitsgerichts Erfurt.
Das Gericht entschied, dass zwar die erste Kündigung mangels Befugnis der Intendantin nicht wirksam war, die Kündigung vom 11. November 2021 war hingegen wirksam.
Insbesondere stellte das LAG klar, dass das Arbeitsverhältnis erst mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags am 17. Mai 2021 begann. Der vorangegangene befristete Berater- und Dienstleistungsvertrag begründete kein Arbeitsverhältnis, sondern nur ein freies Dienstverhältnis, das auf Rechnung abgerechnet wurde und ausdrücklich die Möglichkeit anderer Tätigkeiten zuließ. Die Klägerin konnte nicht ausreichend substantiiert darlegen, dass sie bereits ab Februar 2021 in persönlicher Abhängigkeit und weisungsgebunden tätig war.
Zudem wies das Gericht weitergehend darauf hin, dass selbst wenn man zugunsten der Klägerin ein Arbeitsverhältnis ab Februar 2021 unterstellen würde, die Beschäftigungszeiten nicht zusammenzurechnen seien. Die erste Beschäftigung sei befristet gewesen und hatte auch nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit dem späteren Arbeitsverhältnis ab Mai 2021 gestanden. Insbesondere lag eine Zäsur vor, da sich der Beklagte zunächst für einen anderen Bewerber entschieden hatte. Eine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten zur Erfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG kam daher nicht in Betracht. Folglich war die Probezeitkündigung wirksam.
III. Praxishinweise
Das Urteil verdeutlicht, dass für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes der tatsächliche Beginn des erheblichen Arbeitsverhältnisses entscheidend ist. Vorangehende freie Dienstverhältnisse, Probearbeiten oder andere Beschäftigungen werden nur dann angerechnet, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem späteren Arbeitsverhältnis stehen. Eine Zäsur – etwa durch die Auswahl eines anderen Bewerbers – unterbricht diesen Zusammenhang.