Machtmissbrauch im Chefsessel: LAG Köln erklärt Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für Arbeitnehmerin als unzumutbar
Update Arbeitsrecht Oktober 2025
LAG Köln, Urteil vom 09.07.2025 – 4 SLa 97/25
Einleitung
Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem vielbeachteten Urteil klargestellt: Wer seine hierarchische Stellung als Vorgesetzter missbraucht, um persönliche und/oder sexuelle Interessen gegenüber Mitarbeitern durchzusetzen, riskiert nicht nur den eigenen Ruf – sondern auch erhebliche finanzielle Konsequenzen für das Unternehmen.
In dem zugrunde liegenden Fall gab das LAG Köln (Urteil vom 09.07.2025 – 4 SLa 97/25) einem Auflösungsantrag der Klägerin nach § 9 KSchG statt. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses war der Arbeitnehmerin nach massiven und vorsätzlichen Grenzüberschreitungen durch den Geschäftsführer unzumutbar und begründet zeitgleich eine Abfindungssumme in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern pro Beschäftigungsjahr.
Das Urteil setzt ein wichtiges Signal gegen Machtmissbrauch am Arbeitsplatz und zeigt klare Kante gegen eine Täter-Opfer-Umkehr.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit 2019 als Büromitarbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Die Klägerin sowie der Geschäftsführer der Beklagten kommunizierten regelmäßig über WhatsApp. Laut der Beklagten habe ein freundschaftliches Verhältnis bestanden. Unstreitig bestand kein romantisches Verhältnis zwischen den beiden.
Am 19. Februar 2024 schickte der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin mehrere WhatsApp-Sprachnachrichten im Zusammenhang mit einem bevorstehenden Geschäftstermin. Er erfragte ihre Teilnahme und forderte sie auf, etwas „rockmäßiges, was kurzes und Dekolletee-mäßiges“ anzuziehen. High Heels und rote Fingernägel würde der Kunde mögen. Zudem ergänzte er, „Gaanz wichtig. Nichts unter dem Rock anziehen“. Die Klägerin reagierte hierauf zunächst (u.a.) mit Lachsmileys. Der Geschäftsführer schrieb sodann, es sei nur Spaß gewesen und sie solle normal erscheinen und sie reden am Mittwoch. Die Klägerin antwortete hierauf, „Ja, in Ordnung“. Sodann schrieb der Geschäftsführer „du lernst es nie. Das heißt, Ja gerne mein Schatz. Oder Kann es kaum abwarten meinen Traum (Alp) Mann zu sehen.“
Die Klägerin bezeichnete den Geschäftsführer sodann in ihrer Antwort als „Mein Bester“. Daraufhin reagierte der Geschäftsführer äußerst aggressiv und schrieb der Klägerin folgende Nachricht: „[..] Anscheinend schaffst du wirklich nicht was nettes zu finden. Könnte gerade echt kotzen. Deine Einstellung kotzt mich sowas von an. [..]. Du müsstest auf die Knie fallen und Danke sagen. Was bist bloß für ein Mensch. Hast mich wie immer in die Irre geführt, Nicht in der Lage was nettes zu schreiben, geschweige denn ein Kompliment. Weißt du was, ab jetzt Scheiß ich drauf. Du bleibst diese und nächste Woche von zu Hause. Urlaub. Will dich erstmal nicht sehen. [..]“ Ohne weitere Nachricht der Klägerin schrieb er: „Wag es dich zu kommen und du lernst mich kennen. Nach deinem scheiß Urlaub machst du Home Office!!!!!![…]. Bist halt eine dumme Frau. Keine Klasse, Kein Anstand, einfach ein Bauern-Mädchen. […]“. Die Klägerin fragte den Geschäftsführer, weshalb er das mache und dass sie nicht streiten wolle. Der Geschäftsführer erwiderte „Anscheinend bist du auch noch zu dumm zu lesen. Sei froh, das ich nicht noch mehr schreibe. Du bleibst so lange zu Hause, bis ich es dir sage. Will deine dumme hässliche fresse nicht sehen!!!! Du hast alle drei Eigenschaften, die ich an Menschen hasse. Glückwunsch, wenigstens das hast du.“.
Wenige Tage später schrieb er ihr eine weitere WhatsApp-Nachricht. Er teilte ihr mit, dass sie arbeiten kommen solle und es ihm „scheiß egal“ sei. Er forderte sie auf, sämtliche Geschenke, die er ihr in den letzten Jahren übergeben hatte, zurückzugeben. Zeitgleich teilte er ihr mit, dass man ihr Gehalt auf EUR 5.500,00 brutto reduzieren werde. Den Dienstwagen dürfe sie noch so lange nutzen, bis sie Ersatz gefunden habe; die Tankkarte sei unverzüglich zurückzugeben. Er beendete die Nachricht mit dem Hinweis, dass er nicht begrüßt werden will und ob sie das verstanden habe; sie solle einfach mit „ja oder nein antworten!!!!“.
Die Klägerin nahm ihre Arbeit wieder auf. Im Büro fand die Klägerin auf ihrem Schreibtisch einen Blumenstrauß sowie eine Entschuldigungskarte, in der der Geschäftsführer einen gemeinsamen Sauna-/Thermenbesuch vorschlug. Die Klägerin bedankte sich für die Blumen und ignorierte die Einladung. Der Geschäftsführer fragte, ob das eine Zusage zum Saunabesuch sei. Die Klägerin antwortete, dass er „doch wisse, wie sie dazu stehen würde. Und sie wirklich oft Gespräche darüber geführt hätten“. Der Geschäftsführer forderte sie sodann abermals auf, u.a. alle Geschenke und die Tankkarte herauszugeben. Nachdem die Klägerin am Folgetag die Geschenke an den Geschäftsführer übergab, erklärte dieser ihr zwei Tage später die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin reichte eine Kündigungsschutzklage ein, in der sie u.a. einen Weiterbeschäftigungsantrag ankündigte. Im Rahmen des Verfahrens forderte die Klägerin den Geschäftsführer auf, keinerlei Kontakt mehr zu ihr herzustellen.
Die Beklagte erklärte im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens das Anerkenntnis gegenüber dem Kündigungsschutzantrag und der allg. Feststellungsklage. Sie forderte die Klägerin auf, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.
Die Klägerin nahm sodann den Weiterbeschäftigungsantrag zurück und stellte einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG. Sie trug vor, dass ihr die Weiterbeschäftigung trotz der Sozialwidrigkeit der Kündigung nicht zumutbar sei.
Die Beklagte führte hiergegen an, dass der Arbeitnehmerin die Weiterbeschäftigung zumutbar sei, da sie (u.a.) aus dem Homeoffice arbeiten könne; auch führte die Beklagte aus, die Klägerin hätte sich den Nachrichten durch ein Wechsel der Rufnummer oder das Blockieren der Nummer leicht entziehen können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Unzumutbarkeit der Fortsetzung festgestellt. Es sprach der Klägerin eine Abfindung in Höhe von EUR 70.000,00 brutto (entspricht in etwa 10 Bruttomonatsgehältern der Klägerin) zu. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein.
Entscheidung Landesarbeitsgericht Köln
Das Landesarbeitsgericht Köln hat festgestellt, dass das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis zu Recht und mit überzeugender Begründung nach § 9 KSchG aufgelöst hat.
Ein zunächst gestellter Weiterbeschäftigungsantrag steht dem Auflösungsantrag nicht entgegen. Ein Weiterbeschäftigungsantrag sei weder treuwidrig noch rechtsmissbräuchlich im Hinblick auf einen Auflösungsantrag, insbesondere da ein Weiterbeschäftigungsantrag regelmäßig mit Klageerhebung gestellt werde und damit kein Verzicht auf einen später gestellten Auflösungsantrag erklärt werden solle.
Das LAG bestätigt, dass der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Die Kammer hat zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer vor dem 19. Februar 2024 ein freundschaftliches Verhältnis bestand. Dies ist jedoch nur insoweit relevant, als das private Verhältnis keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hatte. Ab dem 19. Februar 2024 zeigen die Äußerungen des Geschäftsführers, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt kein freundschaftliches Verhältnis mehr bestand. Ab diesem Zeitpunkt missbrauchte der Geschäftsführer seine Führungsposition gegenüber der Klägerin.
Das Landesarbeitsgericht findet deutliche und zutreffende Worte für das Verhalten des Geschäftsführers sowie die Argumentationsstruktur der Beklagten.
Laut LAG maßte sich der Geschäftsführer nicht nur an, der Klägerin erst sexuell anzügliche Arbeitsanweisungen zu geben und sie im Folgenden beleidigen zu dürfen, ohne dass die Klägerin in irgendeiner Weise Anlass hierzu gegeben hat. Mehr noch: Nachdem die Klägerin seiner Auffassung nach fehlendes Wohlverhalten zeigte (Ansprache mit „Mein Lieber“ anstatt „Mein Schatz“) missbrauchte er seine Machtstellung als Geschäftsführer. Er beleidigte sie nicht nur, sondern ergriff sowie drohte mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Homeoffice-Pflicht; Kürzung des Gehalts; Rückgabe Firmenwagen usw.).
Auch die Blumen und die Entschuldigungskarte ändern nichts an dem Ergebnis oder relativieren das vorangegangene Verhalten; waren sie doch mit einer Einladung zu einem gemeinsamen Besuch in der Therme verknüpft. Einer erneuten anzüglichen und übergriffigen Verhaltensweise.
Im Ergebnis nahm der Geschäftsführer die Zurückweisung der privaten Annäherungsversuche zum Anlass, die einschneidendste arbeitsrechtliche Maßnahme, die einem Arbeitgeber zur Verfügung steht, nämlich die Kündigung, zu ergreifen.
Gegen den Vortrag der Beklagten, die Klägerin hätte ihre Nummer ändern oder den Geschäftsführer blockieren können, um sich seinen Nachrichten zu entziehen – Äußerungen, die man in derartigen Kontext leider häufig liest und beabsichtigen, Opfern eine Mitverantwortung an dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters zu geben – findet das Arbeitsgericht ebenfalls klare Worte: Die Argumentation der Beklagten offenbare, dass sie den Kern des Problems nicht erkannt habe. Wenn die falsche Anrede bereits zu einem Wutausbruch mit Beleidigungen und arbeitsrechtlichen Sanktionen führt, dann hätte die Klägerin bei einem von ihr vollzogenen Kontaktabbruch mit noch gravierenderen arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen. Die Klägerin war aufgrund ihrer Abhängigkeit im Arbeitsverhältnis nicht frei, das private Verhältnis zu dem Geschäftsführer nach ihren Wünschen zu gestalten und gegebenenfalls auch zu beenden.
Die Bemessung der Abfindungssumme nach §§ 9, 10 Abs. 1, 2 KSchG liegt im Rahmen der Höchstgrenzen im Ermessen des Gerichts. Die Abfindung dient nach ständiger Rechtsprechung auch als Sanktion des Arbeitgebers, zukünftig sozialwidrige Kündigungen zu unterlassen. Aufgrund der groben Sozialwidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung, der erheblichen Herabwürdigung der Person der Klägerin, der Ehrverletzungen sowie der vorsätzlichen Androhungen und teilweise erfolgter Umsetzung rechtswidriger arbeitsrechtlicher Sanktionen, sprach das LAG Köln der Arbeitnehmerin eine Abfindung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern pro Beschäftigungsjahr zu.
Bewertung und Einordnung
Die Entscheidung verdient uneingeschränkte Zustimmung. Das LAG Köln hat deutlich gemacht, dass Machtmissbrauch – insbesondere mit sexualisiertem Bezug – kein Randphänomen ist, sondern eine arbeitsrechtliche Relevanz besitzt, die bis zur gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses reicht.
Erfreulich klar grenzt sich das Gericht von einer vielfach anzutreffenden Täter-Opfer-Umkehr ab. Wenn Betroffene angehalten werden, „die Nummer zu blockieren“ oder „den Kontakt abzubrechen/ dem Täter aus dem Weg zu gehen“, verkennt dies die Abhängigkeit, die einem Arbeitsverhältnis strukturell innewohnt.
Das Urteil stärkt damit nicht nur die Rechte Betroffener, sondern formuliert zugleich eine gesellschaftspolitische Botschaft: Führung und Macht verpflichten – sie sind kein persönliches Privileg, sondern vor allem Verantwortung.
Gerade in Zeiten hybrider Arbeit und digitaler Kommunikation, in denen Hierarchien zunehmend informeller erscheinen, bleiben Machtasymmetrien real. Arbeitgeber sind gut beraten, Präventionsstrukturen zu schaffen, Beschwerdewege zu etablieren, Fehlverhalten zu sanktionieren und Führungskräfte zu schulen – nicht zuletzt, um eigene Haftungsrisiken und negative Presse zu vermeiden und eine sichere Arbeitsumgebung für Mitarbeiter zu schaffen.