30.05.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Mai 2023

Mit der Formulierung „Freizeitausgleichsansprüche“ in einem Prozessvergleich sind in aller Regel auch Überstundenvergütungsansprüche gemeint

LAG Hamm, Urteil vom 24. 03. 2023

Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Prozessvergleich, dass der Arbeitneh-mer unwiderruflich unter Anrechnung etwaig noch offener Urlaubs- und Freizeitausgleichs-ansprüche freigestellt wird, so sind von der Anrechnung regelmäßig auch Ansprüche auf Überstundenvergütung erfasst.

Sachverhalt

Die Parteien stritten um Vergütung für über 550 Überstunden aus einem bereits beendeten Arbeitsverhältnis.

Die beklagte Arbeitgeberin betreibt mehrere Verbrauchermärkte. Der Kläger war seit 2004 in einer 37,5-Stunden-Woche bei einem Bruttomonatsgehalt von EUR 4.000,00 bei der Be-klagten als Marktleiter beschäftigt. Er war zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits aufgrund eines Prozessvergleichs nach einem vorangegangenen Verfahren zum 30. Juni 2022 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. In jenem Vergleich hatten die Parteien folgende Klau-sel aufgenommen:

„Der Kläger wird unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung sowie unter Anrechnung auf etwaig noch offene Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Ende des Ar-beitsverhältnisses freigestellt. Die Freistellung gilt für den gesamten noch folgenden Zeit-raum vom 10.09.2021 bis zum 30.06.2022.“

Eine Erledigungsklausel nahmen die Parteien in dem Vergleich nach Verhandlungen dar-über bewusst nicht auf. Auf Grundlage des Vergleichs wurde der Kläger über mehr als neun Monate hinweg freigestellt.

Nach Abschluss des Vergleichs machte der Kläger Vergütung für insgesamt 553,20 Über-stunden bei einem Stundenverdienst von EUR 24,62 geltend. Die 553,20 Überstunden ent-nahm der Kläger dabei einem Zeiterfassungssystem bei der Beklagten, in das er die Stun-den über die Dauer des Arbeitsverhältnisses selbst eingetragen hatte. Hinsichtlich der Über-stunden gab er an, die Beklagte habe diese trotz Kenntnis nicht beanstandet, damit geduldet und somit auch konkludent angeordnet.

Eine Vergütung der Überstunden war unstreitig nicht erfolgt.

Bereits das Arbeitsgericht hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, es fehle sub-stantiierter Vortrag des Klägers dazu, dass die Überstunden durch die Beklagte veranlasst worden waren.

Auch die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das LAG Hamm wies die Berufung des Klägers auf dessen Kosten zurück.

Anders als das Arbeitsgericht stützte das LAG seine Entscheidung maßgeblich darauf, dass ein etwaiger Anspruch auf Überstundenvergütung bereits aufgrund der Anrechnungsklausel im Prozessvergleich erloschen sei. Insofern ergebe die Auslegung des Vergleichs, dass die Parteien mit der gewählten Formulierung, auf die Freistellungsphase seien auch „Freizeit-ausgleichsansprüche“ anzurechnen, auch Überstundenvergütungsansprüche haben erfas-sen wollen. Mit der Formulierung „Freizeitausgleichsansprüche“ seien alle Ansprüche ge-meint, die der Kompensation für ein erbrachtes Arbeitszeitvolumen zuzurechnen sind, das die durchschnittlich erbrachte Arbeitszeit überschritten hat.

Dies ergebe sich einerseits bereits daraus, dass die Parteien bei Wahl dieser typischen For-mulierung in arbeitsgerichtlichen Vergleichen, gerade bezweckten die häufig streitigen Ur-laubsansprüche und Ansprüche auf Freizeitausgleich aus Überstunden zu verrechnen. Die Parteien wollten regelmäßig gerade einen solchen Streit beseitigen bzw. vermeiden, wes-halb der Begriff weit zu verstehen sei. Zudem ergebe sich aus der Regelung von vielen De-tailfragen durch die Parteien in dem streitgegenständlichen Vergleich, dass es sich bei der Anrechnungsklausel nicht um ein Versehen handle. Darüber hinaus konnte der Kläger nicht erklären, was seinem Verständnis nach ansonsten mit Freizeitausgleichsansprüchen ge-meint gewesen sei, wenn nicht eben auch die Anrechnung von Überstunden.

Daneben führte das LAG aus, dass der Kläger auch nicht hinreichend dargelegt habe, die Überstunden seien von der Beklagten angeordnet oder genehmigt worden. Insbesondere genüge es nicht, wenn der Kläger sich alleine auf den Vortrag zur Anwesenheit im Betrieb – ergebend aus der Arbeitszeitaufzeichnung – in bestimmten Zeiten stütze. Denn daraus folge keine Vermutung dafür, Überstunden seien zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwen-dig gewesen.

Die Berufung hat das LAG nicht zugelassen.

Praxistipp

Der erfrischend pragmatischen Entscheidung des LAG Hamm ist vollends zuzustimmen. Das LAG legt die Vereinbarung im Prozessvergleich nicht strikt am Wortlaut aus, wonach man sich auf den Standpunkt stellen könnte, es handele sich bei der begehrten Überstun-denvergütung gerade nicht um Ausgleich in Freizeit, sondern um Ausgleich in Geld. Die überzeugende Argumentation des LAG stellt insbesondere darauf ab, dass mit Freizeitaus-gleichsansprüchen im Sinne des Vergleichs gerade sämtliche Ausgleichsansprüche für et-waige Mehrarbeit erfasst sein sollten, da die Parteien gerade bezweckten, die Unsicherheit über solche Ansprüche zu beseitigen. Diese Interessenlage ist derart typisch für Fälle, in de-nen eine solche Anrechnungsklausel vereinbart wird, weshalb davon auszugehen ist, dass das Argumentationsmuster des LAG auch auf weitere Fälle unproblematisch übertragbar und damit generalisierbar ist. Das Begriffsverständnis dürfte damit insbesondere auch für außergerichtliche Vergleiche und Aufhebungsverträge maßgeblich sein.

Die Entscheidung zeigt aber auch deutlich, wie wichtig für Arbeitgeber eine professionelle Beratung sowohl beim Entwurf von (Muster-)Arbeitsverträgen als auch bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist. So war im entscheidenden Fall offenkundig keine wirksame Ausschlussklausel im Arbeitsvertrag des Klägers enthalten, mit der das Risiko solcher Über-stundenvergütungsansprüche auf die letzten drei Monate vor Geltendmachung hätte be-grenzt werden können. Auch eine wirksame Regelung zur Abgeltung eines Teils der Über-stunden fehlte offenkundig im Arbeitsvertrag. Mit entsprechend entworfenen Arbeitsverträ-gen lassen sich solche Rechtsstreitigkeiten häufig vermeiden, bevor diese überhaupt begin-nen. Daneben hatte die Beklagte sich in den Verhandlungen des Vergleichs dahingehend übervorteilen lassen, dass eine Erledigungsklausel, die die gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erledigt hätte, nicht aufgenommen wurde.

Interessant ist die Entscheidung des LAG Hamm auch dahingehend, dass es erneut die ho-hen Anforderungen darlegt, die ein Arbeitnehmer bei der Geltendmachung von Überstunden zu erfüllen hat: Ein Arbeitnehmer muss insbesondere darlegen, welche Überstunden in wel-chem Zeitraum erbracht wurden und, dass diese Überstunden jeweils von dem Arbeitgeber veranlasst – das heißt ausdrücklich oder konkludent angeordnet, zumindest aber gebilligt – waren. Ein schlichter Verweis auf die erfasste Arbeitszeit reicht dabei nicht aus. Dies dürfte Arbeitgeber beruhigen, die in Anbetracht der durch das BAG ausgeurteilten generellen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung die massenhafte Geltendmachung von Überstundenvergütungsansprüchen befürchten.

 

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