29.08.2025 Fachbeitrag

Verpflichtung zur Erteilung eines Vermittlungsauftrags

Update Arbeitsrecht August 2025

BAG, Urteil vom 27.3.2025 – 8 AZR 123/24

Die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts beleuchtet die Pflichten privater und öffentlicher Arbeitgeber bei der Besetzung freier Stellen mit Blick auf schwerbehinderte Bewerber und konkretisiert zugleich die Voraussetzungen, unter denen das Unterlassen eines ausdrücklichen Vermittlungsauftrags an die Agentur für Arbeit als Indiz für eine Benachteiligung nach § 22 AGG gewertet wird. Die Entscheidung vermittelt daher nicht nur klare Handlungspflichten, sondern setzt zugleich wichtige Leitplanken für die Dokumentationspraxis im Recruiting und sollte folglich in die Compliance-Prozesse von Unternehmen integriert werden.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Rahmen eines erfolglosen Bewerbungsverfahrens.

Die Beklagte, ein privates Dienstleistungsunternehmen im Bereich der IT-Sicherheit, suchte einen „Scrum Master/Agile Coach“ und veröffentlichte die Ausschreibung unter anderem in der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit. Einen ausdrücklichen Vermittlungsauftrag an die Agentur erteilte sie nicht.

Der Kläger bewarb sich elektronisch am 24. August 2021 um 12:30 Uhr und wies direkt auf seine Schwerbehinderung hin. Wenige Stunden zuvor – um 11:09 Uhr – hatte der zuständige Divisionsleiter bereits per E-Mail die Einstellung eines anderen Bewerbers final gebilligt. Noch am Nachmittag schickte die Personalabteilung diesem Mitbewerber einen Vertragsentwurf, den beide Parteien bis zum 3. September 2021 unterzeichneten. Die Stellenanzeige blieb bis dahin online, sämtliche nach der Auswahlentscheidung eingehenden Bewerbungen wurden jedoch nicht mehr bearbeitet („Freeze“). Die Absage an den Kläger erfolgte ebenfalls erst am 3. September 2021.

Der Kläger machte eine Entschädigung in Höhe von 1,5 Monatsgehältern geltend. Er fühlte sich wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert und stützte sich auf die Vermutungstatbestände des § 22 AGG: Der Arbeitgeber habe gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX verstoßen, weil er keinen Vermittlungsauftrag erteilt habe. Arbeits- und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab; das BAG bestätigte die Entscheidungen.

Entscheidung

Das BAG wies die Klage als unbegründet zurück und lehnte einen Anspruch des Klägers auf Entschädigungszahlung gem. § 15 Abs. 2 AGG ab. Im Rahmen seiner Entscheidung stellte das BAG klar, dass auch private Arbeitgeber frühzeitig Verbindung gem. § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX mit der Agentur für Arbeit aufnehmen müssen, und zwar durch einen ausdrücklichen Vermittlungsauftrag über die von der Agentur vorgesehenen Kommunikationswege. Nur so könne überprüft werden, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können und Arbeitgebern geeignete schwerbehinderte Menschen vorgeschlagen werden. Allein die Veröffentlichung in der Jobbörse genügt demnach nicht. Unterbleibt der Vermittlungsauftrag, liegt regelmäßig ein ausreichendes Indiz i.S.v. § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung vor.

In dem streitgegenständlichen Fall gelang es der Beklagten jedoch, die Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung zu widerlegen. Nach umfassender Beweisaufnahme stand für das Gericht fest, dass das Auswahlverfahren bereits vor Eingang der Klägerbewerbung abgeschlossen war, da die Bewerbung des Klägers zwei Stunden nach der Einstellungsentscheidung eingegangen war. Die Benachteiligung könne folglich nicht (mehr) auf die Schwerbehinderung gestützt werden, da diese bei der Entscheidung gar nicht berücksichtigt worden sei. Das BAG hält auch die Praxis eines „Freeze“ nach finaler Auswahl für zulässig. Maßgebend sei allein der Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung, nicht der spätere Vertragsschluss. Demnach dürfe der Arbeitgeber die Ausschreibung bis zur formalen Vertragsunterzeichnung offenhalten, um bei Scheitern des Vertrags doch noch kurzfristig weitere Kandidaten ansprechen zu können.

Praxistipp

Für die tägliche Praxis bedeutet die Entscheidung des BAG, dass sowohl private als auch öffentliche Arbeitgeber künftig vor jeder Stellenbesetzung den Vermittlungsauftrag auf einem von der Agentur für Arbeit vorgesehenen Kommunikationsweg erteilen sollten. Alleinige Veröffentlichungen auf unternehmenseigenen Karriereseiten oder in externen Online-Portalen genügen der Rechtsprechung nicht und vermögen die Vermutungswirkung des § 22 AGG im Streitfall nicht zu entkräften. Treffen Arbeitgeber eine Auswahlentscheidung und lassen die Stellenausschreibung dennoch bis zum formalen Vertragsabschluss bestehen, empfiehlt es sich, den exakten Entscheidungszeitpunkt sowie sämtliche zugrunde liegenden Erwägungen umfassend, nachvollziehbar und unveränderbar zu dokumentieren. Nur durch eine derart lückenlose Beweisführung lässt sich der Vorwurf einer mittelbaren oder unmittelbaren Benachteiligung wirksam entkräften und das Risiko kostenintensiver AGG-Schadensersatzansprüche minimieren.

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