28.11.2025 Fachbeitrag

Versuchter Prozessbetrug als Kündigungsgrund

Update Arbeitsrecht November 2025

LAG Niedersachsen, Urteil vom 13. August 2025 – 2 SLa 735/24

Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen des Arbeitnehmers im Prozess können eine außerordentliche und fristlose Kündigung rechtfertigen.

Sachverhalt

Die Parteien stritten um eine ordentliche fristgerechte und sodann um eine zusätzlich im Prozess erklärte außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten. Bei der Beklagten handelte es sich um einen Fachhändler für E-Bikes. Der Kläger war seit Anfang 2016 bei der Beklagten als Filialleiter beschäftigt. Unstreitig bestand zwischen den Parteien kein unterzeichneter Arbeitsvertrag. Die Beklagte übersandte dem Kläger im März 2023 einen Arbeitsvertragsentwurf als E-Mail-Anhang. In diesem Entwurf wurde neben einer monatlichen Bruttovergütung für den Kläger auch eine Bonuszahlung für den Fall eines mit Gewinn abgeschlossenen Wirtschaftsjahres in Höhe von EUR 10.000,00 zzgl. zwei Prozent des Filialgewinns vereinbart. Unstreitig wurde dieser Vertragsentwurf von den Parteien nicht unterzeichnet. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis im Januar 2024 ordentlich fristgerecht und begründete diese Kündigung mit dem Verdacht, der Kläger habe Fahrräder bzw. Zubehör eigenmächtig und ohne Abrechnung verkauft und di„Arbeitsvertrag (vom 15. Januar 2016)“ überschrieben war. In diesem Schriftstück war eine Bonuszahlung festgelegt, die inhaltlich der Formulierung in dem Arbeitsvertragsentwurf vom 14. März 2023 glich, aber vom Wortlaut erkennbar anders formuliert war. Der Kläger behauptete, die Parteien hätten sich auf den Inhalt eben dieses Dokuments geeinigt. Die Beklagte bestritt diesen Vortrag als bewusst wahrheitswidrig und erklärte noch im Prozess die außerordentliche und fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Prozessbetrugs.

Das Arbeitsgericht Lingen hatte nicht nur dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben, sondern dem Kläger auch den geltend gemachten Bonusanspruch zugesprochen.

Entscheidungsgründe

Das LAG Niedersachsen sah die zulässige Berufung als begründet an.

Soweit hier relevant wurde das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LAG Niedersachsen stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten wegen versuchten Prozessbetrugs beendet sei.

Der für die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB erforderliche wichtige Grund könne auch in einer Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB liegen. Nach dieser Vorschrift seien die Parteien des Arbeitsvertrages zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der jeweils anderen Partei verpflichtet. Trägt der Arbeitnehmer im (Kündigungsschutz-) Prozess bewusst wahrheitswidrig vor, verletze er nicht nur gegebenenfalls strafrechtliche Vorschriften, sondern in jedem Fall die trotz des gekündigten Arbeitsverhältnisses bestehende Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers. Unerheblich sei, ob der wahrheitswidrige Vortrag entscheidungserheblich ist, denn es reiche aus, dass er es hätte sein können. Insofern stehe der (untaugliche) Versuch des Prozessbetrugs dem vollendeten Delikt gleich. Für den Unrechtsgehalt einer Falschbehauptung könne es nicht darauf ankommen, wie offensichtlich diese für

Erkennbar unwahr könne nur eine Tatsachenbehauptung sein, also eine Erklärung, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit dem Beweis zugänglich sei. Eine Behauptung sei somit falsch, wenn sie die Wirklichkeit unzutreffend wiedergebe.

Für eine Tatkündigung wegen (versuchten) Prozessbetrugs bedürfe es somit der vorsätzlichen Behauptung unwahrer Tatsachen mit dem Ziel, bei dem Gericht einen Irrtum zu erzeugen, wodurch dieses ein für den Täuschenden günstiges Urteil erlässt, das zu einem finanziellen Nachteil der Gegenseite führt.

Auch in der Geltendmachung einer Forderung könne eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Zwar können Rechtsauffassungen als Werturteile nicht Gegenstand der Täuschung sein, aber wenn die Äußerungen einen dem Beweis zugänglichen Tatsachenkern enthält, könne hierüber getäuscht werden. Das sei dann der Fall, wenn das Einfordern der Leistung einen Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachengrundlage oder einem den Anspruch begründenden Sachverhalt herstellt.

Der Kläger klagte eine Bonusforderung ein. Anspruchsgrundlage sollte das von ihm als Arbeitsvertrag aus dem Jahre 2016 vorgelegte Dokument sein. Der Kläger habe dabei gewusst, dass dieser Vertrag zwischen ihm und der Beklagten nicht zustande gekommen war. Indem der Kläger im Prozess einräumte, dass die von der Beklagten vorgelegte Vereinbarung im Wesentlichen mit seinem Dokument übereinstimmen würden, zeige er, dass ihm bewusst gewesen sei, dass sich beide Parteien nie auf den von ihm vorgelegten Vertrag geeinigt hatten. So habe er zu erkennen gegeben, dass er die Unvollständigkeit und die Unrichtigkeit seines Vortrages zumindest billigend in Kauf genommen hatte.

Im Ergebnis sah das Gericht einen Faktenvortrag des Klägers im Hinblick auf den angeblich vertraglich festgehaltenen Anspruch auf Bonuszahlung als gegeben an, der über eine reine Rechtsauffassung hinausgehe und in dem Vertragsdokument seinen Tatsachenkern habe. Die Beklagte habe im Prozess mithin sowohl den objektiven als auch subjektiven Tatbestand eines versuchten Prozessbetruges darlegen und beweisen können.

Wegen der Schwere des versuchten Prozessbetrugs im vorliegenden Fall sei auch eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen.

Praxistipp

Diese Entscheidung zeigt auf, dass auch die tatsächliche Grundlage eines Anspruchs – in diesem Fall das von dem Kläger vorgelegte Vertragsdokument – eine Tatsachenbehauptung sein kann und ein auf das Dokument gestützter Anspruch mithin nicht nur eine „fehlerhafte“ Rechtsansicht darstellt, sondern darüber hinaus auch einen wahrheitswidrigen Tatsachenvortrag beinhaltet.

Bei der Einführung von Dokumenten in den (Kündigungs-) Prozess ist Arbeitnehmern zu raten, auf deren Richtigkeit zu achten.

Arbeitgebern ist zu raten, einen bewusst unrichtigen Prozessvortrag des Arbeitnehmers nicht hinzunehmen, sondern auf einen solchen weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen zu stützen. Dies kann neben dem Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 KSchG auch der Ausspruch einer außerordentlichen und fristlosen Kündigung sein. Hierdurch verbessert sich nicht nur die Position des Arbeitgebers im Hinblick auf die gewünschte Beendigung des mit dem Arbeitnehmer bestehenden Arbeitsverhältnisses, es verbessert sich auch seine Position in den Vergleichsverhandlungen bzw. es erhöht die Einigungsbereitschaft des Arbeitnehmers. Zu beachten ist jedoch, dass der Arbeitgeber für einen von ihm als Kündigungsgrund behaupteten Prozessbetrug die Darlegungs- und Beweislast trägt. Für einen solchen müssen daher ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die vom Arbeitgeber im Vorfeld sorgfältig geprüft werden sollten.

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