28.03.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht März 2022

Ab wann greift der Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen?

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 01.12.2021 – 4 Sa 32/31

Gem. § 17 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung einer Frau während ihrer Schwangerschaft unzulässig. Um den Zeitraum zu bestimmen, in dem die schwangere Arbeitnehmerin von diesem Kündigungsschutz profitiert, wendet das BAG in ständiger Rechtsprechung eine Rückrechnung um 280 Tage vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungstermin an. Dem stellt sich das LAG Baden-Württemberg nun entgegen und rechnet um lediglich 266 Tage zurück.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit dem 15. Oktober 2020 bei der Beklagten angestellt. Am 7. November 2020, noch während der Probezeit, ging ihr die Kündigung zu. Fünf Tage später ging die Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht ein. Am 2. Dezember 2020 informierte die Klägerin die Beklagte über ihre Schwangerschaft, von der sie angeblich erst am 26. November 2020 Kenntnis erhalten hatte. Ausgerechneter Entbindungstermin war der 5. August 2021. Das Arbeitsgericht Heilbronn hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Das LAG Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin sei im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht schwanger gewesen. 
Zwar sei zum Schutz und zur Sicherheit der schwangeren Arbeitnehmerin vom frühestmöglichen Zeitpunkt einer Schwangerschaft auszugehen. Jedoch überspanne das BAG mit seiner Rechtsprechung den Schutzzeitraum in einer dem Zweck der Norm widersprechenden Weise. 
Zum Schutz der Schwangeren rechnet der BAG um 280 Tage vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungstermin zurück. Dabei legt er der Berechnung zehn Menstruationszyklen à 28 Tage zugrunde. Damit liegt der Schwangerschaftsbeginn nach der Rechtsprechung des BAG am ersten Tag der letzten Regelblutung. 
Dem widerspricht nun das LAG entgegen. Wie das BAG selbst einräume, finde die Ovulation in der Regel erst am 12. bis 13. Zyklustag statt. Erst nach der Ovulation sei aber eine Befruchtung der Eizelle überhaupt möglich.
Könne die Arbeitnehmerin den Zeitpunkt der Befruchtung nicht nachweisen, so müsse im Wege des Anscheinsbeweises von einem typischen Geschehensablauf ausgegangen werden. Bei einem typischen Geschehensablauf bestehe die Schwangerschaft aber erst mit der Befruchtung der Eizelle. 
Deshalb sei vom ausgerechneten Entbindungstermin lediglich um 266 Tage zurückzurechnen. Denn eine Schwangerschaft am ersten Tag der Regelblutung sei extrem unwahrscheinlich und praktisch fast ausgeschlossen.
Außerdem würde die Rückrechnung durch das BAG dazu führen, dass eine zunächst wirksame Kündigung durch die tatsächlich erst später beginnende Schwangerschaft nachträglich unwirksam werde. Dies könne vor dem Hintergrund der Grundrechte des Arbeitgebers nicht gerechtfertigt werden. 
Im vorliegenden Fall sei daher von einem Schwangerschaftsbeginn am 12. November 2020 auszugehen, sodass dieser nach dem Zugang der Kündigung liege.

Praxistipp

Die Revision beim BAG wurde bereits eingelegt. Ob das BAG angesichts der Kritik seine Rechtsprechung ändern wird, bleibt abzuwarten. Der bisherigen Kritik in der Literatur war er jedenfalls bisher nicht gefolgt. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGHs geht das BAG von einem größtmöglichen Schutz der Schwangeren aus. Damit geht eine Rückrechnung zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Schwangerschaft einher.  

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