29.08.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht August 2023

Außerordentliche Kündigung wegen verbaler sexueller Belästigung

Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn 26.04.2023, Az. 3 Ca 1501 e/22 (nicht rechtskräftig)

Das Arbeitsgericht Elmshorn (ArbG) stellt klar, dass eine sexuelle Belästigung einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellt, die eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Der Umstand, dass die Äußerung auf einer betrieblichen Weihnachtsfeier in gelockerter Atmosphäre unter Einfluss von Alkohol erfolgt sei, änderte nichts hieran.

Sachverhalt

Der Kläger war seit 2019 bei der beklagten Arbeitgeberin, einem Handwerksbetrieb, als Bodenleger beschäftigt. Neben sechs männlichen Mitarbeitern beschäftigte die Beklagte eine Arbeitnehmerin. Der der Kündigung zugrunde liegende Sachverhalt ereignete sich auf der betrieblichen Weihnachtsfeier im Dezember 2022. Auf der Weihnachtsfeier sammelte die Kollegin des Klägers Geld von ihren Kollegen für das gemeinsame Weihnachtsgeschenk des Geschäftsführers. Nachdem der Kläger kein passendes Bargeld bei sich führte, äußerte er gegenüber seiner Kollegin in Anwesenheit von vier Kollegen:

„Wir können sie ja auf den Kopf stellen und die Geldkarte durch den Schlitz ziehen.“

Noch am selben Abend beschwerte sich die Kollegin hierüber gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten. Vier Tage später kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zu dem Kläger außerordentlich und fristlos.

Inhalt der Entscheidung

Das ArbG wies die Kündigungsschutzklage des Klägers ab. Es stellt klar, dass auch unerwünschte Bemerkungen sexuellen Inhalts eine sexuelle Belästigung und damit einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung darstellen können, wenn sie die Würdeverletzung der betreffenden Person bezwecken oder bewirken.

Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) führt das ArbG aus, dass es sich bei einer sexuellen Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG um eine schwerwiegende Verletzung der vertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers gemäß § 7 Abs. 3 AGG handele, welche an sich einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen könne (vgl. BAG, Urt. v. 29.06.2017, 2 AZR 302/16). Eine sexuelle Belästigung liege vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt wird, das die Würde der betreffenden Person verletzt. Hierzu zählen sowohl eindeutig sexuell verbale Äußerungen sowie sexuell bestimmte Berührungen gegen den Willen einer Person (BAG, Urt. v. 23.10.2014 – 2 AZR 865/13). Gleiches gelte auch für Beleidigungen unter Arbeitnehmern, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten.

Nach Auffassung des ArbG stelle die Äußerung des Klägers eine sexuelle Belästigung dar, die die Kollegin schwer beleidigt. Mittels dieser Äußerung habe der Kläger die Kollegin auf derbste Art und Weise zum Objekt sexueller Anspielung herabgewürdigt. Die Schwelle einer bloßen „Anzüglichkeit“ sei bei dieser besonders krassen Form der Herabwürdigung überschritten. Auch das Vorbringen des Klägers, er habe nur einen Scherz machen wollen, könne ihn nicht entschuldigen. Zum einen habe die Äußerung nur frauenfeindlich bzw. sexistisch verstanden werden können.  Zum anderen sei es ohne Belang für die Intensität einer Beleidung oder eines sexuellen Übergriffs, wenn Kollegen darüber lachen – ganz im Gegenteil.

Auch die Reaktion des Opfers könne die Schwere der Äußerung nicht relativieren. Auf die unmittelbare Reaktion der Kollegin komme es nach Ansicht des ArbG daher nicht an.

Schließlich führt das ArbG aus, dass das Verhalten des Klägers auch aufgrund der Gesamtumstände der Weihnachtsfeier nicht anders zu bewerten sei. Eine gelöste Stimmung und der Konsum von Alkohol machten die Äußerung des Klägers nicht weniger schlimm, so das ArbG. Insbesondere als einzige weibliche Mitarbeiterin sei die Kollegin besonders schutzwürdig. Für sie gelte umso mehr, dass eine solche herabwürdigende, öffentliche Äußerung geeignet sei, ihr Ansehen unter den Kollegen und im Unternehmen unwiederbringlich zu schädigen, wenn die Arbeitgeberin darauf nicht mit einer außerordentlichen Kündigung reagiere.

Schließlich habe die Beklagte den Kläger auch nicht abmahnen müssen. Nach Ansicht des ArbG wiege das Fehlverhalten des Klägers so schwer, dass eine Hinnahme durch die Beklagte ausgeschlossen war. Insbesondere habe er sich weder entschuldigt noch Reue gezeigt.

Praxishinweis

Die Entscheidung des ArbG ist zu begrüßen. Sie zeigt eindrücklich auf, dass den Arbeitgeber hinsichtlich sexueller Belästigung nicht nur präventive, sondern auch repressive Pflichten treffen.

Folgende Punkte sollten Arbeitgeber, die sich mit vergleichbaren Sachverhalten konfrontiert sehen, berücksichtigen:

1. Eine sexuelle Belästigung ist nicht erst dann unerwünscht i.S.d. § 3 Abs. 4 AGG, wenn die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv zum Ausdruck gebracht haben. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (vgl. BAG, Urt. v. 9. 6. 2011 − 2 AZR 323/10.

Das bedeutet, dass etwa eine fehlende Reaktion oder ein bloßes „zur Kenntnis nehmen“ durch das Opfer die Schwere der Beleidigung nicht abschwächt. Wie der Täter sein Verhalten selbst empfunden hat oder verstanden wissen wollte, ist ebenfalls ohne Relevanz.

2. Im Falle einer Belästigung i.S.d. AGG ist der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 3 AGG verpflichtet, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, einen Wiederholungsfall auszuschließen.

Ob eine Kündigung auszusprechen ist oder eine Abmahnung oder Versetzung als milderes Mittel Vorrang hat, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere der Art der sexuellen Belästigung und dem Verhalten der Beteiligten sowie einer Prognoseentscheidung.

Dementsprechend kann der Arbeitgeber als Ultima Ratio sogar verpflichtet sein, eine Kündigung auszusprechen und sich schützend vor die betroffenen Mitarbeiter zu stellen. Unterlässt er dies und kommt es zu einem Wiederholungsfall, so kann er aufgrund einer eigenen Pflichtverletzung gegenüber dem Opfer nach § 15 AGG haften.

3. Eine Weihnachtsfeier ist kein Freifahrtschein für ein arbeitsvertragswidriges Verhalten. Die gegenseitigen Nebenpflichten des Arbeitsverhältnisses gelten auch bei einer betrieblichen (Weihnachts-)Feier. Umstände wie (starker) Alkoholkonsum sowie eine gelockerte Atmosphäre sind zwar in die Einzelfallabwägung miteinzubeziehen, sie entschuldigen jedoch nicht jedes Verhalten.

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