28.03.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht März 2023

Benachteiligung wegen des Geschlechts bei Ablehnung eines Bewerbers „mangels flinker Frauenhände“

LAG Nürnberg Urt. v. 13.12.2022 - 7 Sa 168/22

Wird einem männlichen Bewerber mit der Begründung "unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände" abgesagt, so ist darin eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts zu sehen.

Sachverhalt

Die beklagte Arbeitgeberin produziert und vertreibt Modelle von PKW, LKW und öffentlichen Verkehrsmitteln im Maßstab 1:87 mit jeweils 100 bis 150 Einzelteilen.

Sie schrieb bei der Bundesagentur für Arbeit die Stelle eines Bestückers für Digitaldruckmaschinen wie folgt aus:

„Für unsere filigranen Automodelle im Maßstab 1/87 H0 suchen wir Mitarbeiter (m/w/d) für unsere Digitaldruckmaschine. Die Teile müssen in die Maschine eingelegt und entnommen werden. Anforderungen: Fingerfertigkeit/Geschick; Deutschkenntnisse in Wort und Schrift; Zuverlässiges, sorgfältiges und konzentriertes Arbeiten; Teamorientierung; Belastbarkeit und ausgeprägte Motivation. Fachkenntnisse sind nicht zwingend notwendig. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!“

Die einzelnen Teile der Modelle sind sehr klein und müssen teilweise bei der Montage der Modelle mit Hilfe von Pinzetten positioniert werden.

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 19.04.2021 auf die Stelle.

Mit E-Mail vom selben Tag sagte die Gesellschafterin und Prokuristin der Beklagten dem Kläger die Stelle wie folgt ab:

„Sehr geehrter Herr X, vielen Dank für Ihre Bewerbungsunterlagen. Unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Sie für diese Stelle nicht in Frage kommen. Ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Berufs- und Lebensweg alles Gute.“

Der Kläger machte daraufhin mit Schreiben vom 01.06.2021 Entschädigungsansprüche in Höhe von mindestens drei Monatsgehältern geltend. Einen Tag später wurde der Kläger von der Beklagten per E-Mail zu einem Probearbeiten eingeladen, zu dem es in der Folgezeit jedoch nicht mehr kam. Wenig später unterzeichnete der Kläger einen Arbeitsvertrag bei einem anderen Arbeitgeber. Er berichtete über den Vorfall in den sozialen Netzwerken.

Am 23.06.2021 erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Nürnberg Klage und beantragte die Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung von mindestens 8.000,- € brutto, die Feststellung der Unwirksamkeit der Ablehnung seiner Bewerbung sowie die Beschäftigung als Bestücker für Digitaldruckmaschinen. Nach teilweiser Klagrücknahme beantragte er zuletzt nur noch die Zahlung einer angemessenen Entschädigung, deren Höhe er in das Ermessen des Gerichtes stellte, mindestens jedoch 8.000,00 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.06.2020.

Die Beklagte machte erstinstanzlich geltend, der Kläger sei für die Stelle überqualifiziert gewesen. Ferner wären die Hände des Klägers nach den Bildern, die sie infolge einer Internetrecherche über ihn gefunden hatte, zu groß gewesen.

Mit Urteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 10.01.2022 (Az. 3 Ca 2832/21) wurde die Beklagte zur Zahlung von 3.300,00 € an den Kläger verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Gericht wies zur Begründung darauf hin, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 S. 2, 7 Abs. 1 AGG vorliege. Die unterschiedliche Behandlung sei auch nicht zulässig wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsverlangens sei nicht ersichtlich. Eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern sei angemessen.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung beim LAG Nürnberg ein.

Entscheidung

Das LAG Nürnberg hielt die Berufung lediglich der Höhe nach, nicht jedoch dem Grunde nach für begründet.

Dem Kläger stehe gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.

Zunächst nimmt das LAG Nürnberg auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug und macht sich diese gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen. Im Übrigen führt es aus, dass, selbst wenn man zugunsten der Beklagten und gegen den eindeutigen Wortlaut des Absageschreibens davon ausginge, dass das Absageschreiben selbst noch keine unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen seines Geschlechtes zum Ausdruck bringe, es doch jedenfalls den Charakter einer entsprechenden Indiz-Tatsache nach § 22 AGG aufweise. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht stattgefunden hat, liege alleine bei der Beklagten, die damit den vollen Gegenbeweis zu führen habe. Den Vortrag der Beklagten, bei der Internetrecherche über den Kläger auf Bilder gestoßen zu sein, die auch seine (großen) Hände zeigen würden, ließ das LAG Nürnberg nicht genügen, zumal sich aus der Größe der Hände nichts hinsichtlich der Fingerfertigkeit des Klägers ableiten ließe. Die Absage der Prokuristin der Beklagten habe auf ihrer persönlichen Lebenserfahrung beruht, wonach Frauen mit der kleinteiligen Arbeit bei der Beklagten regelmäßig eher zurechtkommen als Männer. In der Ablehnung seiner Bewerbung mangels „flinker Frauenhände“ liege eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen seines Geschlechts gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 S. 2, 7 Abs. 1 AGG.

Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers im Sinne von § 242 BGB bestünden nach der Ansicht des LAG Nürnbergs nicht, zumal dieser sich mit ehrlichen Absichten auf die ausgeschriebene Stelle beworben hatte, für die ausweislich des klaren Wortlautes der Stellenanzeige ein Mitarbeiter (m/w/d) gesucht wurde. Der Kläger konnte daher nicht von vorneherein mit einer Ablehnung seiner Bewerbung durch die Beklagte rechnen.

Aufgrund der unmittelbaren Benachteiligung des Klägers wegen seines Geschlechts sprach das LAG Nürnberg ihm eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 2500,00 Euro zu, was 1,5 Bruttomonatsgehältern entspricht. Dabei verweist es auf die Doppelfunktion der Entschädigung. Sie diene einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention im Sinne einer abschreckenden Wirkung, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren sei. Bei der Bemessung der konkreten Höhe der Entschädigung seien die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, eine etwaig geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen sei, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Das LAG Nürnberg berücksichtigte bei der Festsetzung der Höhe der Entschädigung unter anderem, dass die Benachteiligung im Falle des Klägers weder strukturell verfestigt noch von langer Dauer gewesen sei. Sie habe auch nicht zu negativen Folgen für den Kläger geführt, der kurze Zeit später einen Arbeitsvertrag bei einem anderen Arbeitgeber unterschrieben hatte. Zuletzt habe der Kläger bereits selbst in den sozialen Medien über den Fall berichtet und damit das aus seiner Sicht Gebotene getan, um die Beklagte von einem ähnlichen Verhalten in der Zukunft abzuschrecken.

Praxistipp

Bei der Formulierung von Ablehnungsschreiben an Bewerber ist Vorsicht geboten. So kann die Verwendung von Umgangssprache - wie im vorliegenden Fall - weitreichende Folgen haben. In der Praxis sollte aus diesem Grund unbedingt darauf geachtet werden, dass die in dem Ablehnungsschreiben an den Bewerber mitgeteilten Gründe nicht alleine oder überwiegend an die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität nach § 1 AGG anknüpfen. Wird die Ablehnung eines Bewerbers - wie hier - alleine auf solche Merkmale gestützt, so liegt daran eine unmittelbare Benachteiligung nach § 7 Abs. 1 AGG mit der Folge, dass der Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 AGG an den Bewerber verpflichtet ist.

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