Berechnung einer Karenzentschädigung bei Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit
Update Arbeitsrecht August 2025
LAG Berlin-Brandenburg Urt. v. 20.03.2025 - 5 Sa 734/24
Mit Urteil vom 20. März 2025 (Az.: 5 Sa 734/24) hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass es unschädlich sei, wenn eine vertragliche Regelung über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot keine Bestimmung zur Höhe der gemäß § 74 Abs. 2 HGB für die Verbindlichkeit der Vereinbarung zwingend erforderlichen Karenzentschädigung enthält, wenn die Parteien im Übrigen auf die gesetzlichen Vorschriften der §§ 74 ff. HGB verwiesen haben. Etwaiges Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit sei gemäß § 74 c HGB nur dann auf den Anspruch auf Zahlung der Karenzentschädigung anzurechnen, sofern es während der Ausübung der beendeten Tätigkeit nicht erzielt werden konnte. Der Arbeitnehmer habe dann auch hierüber nach § 74 c Abs. 2 HGB Auskunft zu erteilen.
I. Sachverhalt
Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Zahlung einer Karenzentschädigung aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. März 2019 als Leiter Geschäftsentwicklung zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 6.600,00 Euro zuzüglich einer variablen Vergütung beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag vom 15. Februar 2019 wurde ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für die Dauer von 24 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Die Beklagte übersandte dem Kläger im April 2020 einen Entwurf für eine Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag betreffend die Vergütungsabrede, die der Kläger jedoch ablehnte. Mit E-Mail vom 2. Mai 2020 reagierte die Beklagte auf die Ablehnung des Klägers und erklärte zugleich, auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot aus dem Arbeitsvertrag zu verzichten. Der Kläger wies in seiner Antwort-E-Mail auf die Schriftform für einen solchen Verzicht hin.
Sodann fand am 10. Juni 2020 ein Gespräch zwischen dem Kläger sowie der Geschäftsführerin der Beklagten statt. Als Ergebnis des Gesprächs wurde eine Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag unterzeichnet. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Änderungsvereinbarung die arbeitsvertragliche Regelung zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot verändert hat. Der Kläger behauptet, er habe eine Version ohne Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot unterzeichnet, während die Beklagte vorträgt, beide Parteien hätten eine Version mit Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot unterschrieben.
Der Kläger kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis im Wege einer Eigenkündigung zum 15. August 2020. Er nahm jedoch im Anschluss ein neues Arbeitsverhältnis auf und erzielte daneben Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit als Sachverständiger für Waffen und Munition, die er auch bereits während seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten nebenher ausgeübt hatte. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu der Beklagten verlangte der Kläger die Zahlung einer Karenzentschädigung gemäß dem in seinem ursprünglichen Arbeitsvertrag enthaltenen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot. Die Beklagte verweigerte die Zahlung unter Berufung auf den von ihr behaupteten Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot. Die Beklagte hat den Kläger zudem vorsorglich dazu aufgefordert, Auskunft über seine Einkünfte aus selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit zu erteilen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Kläger im Wege der Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg.
II. Entscheidungsgründe des LAG Berlin-Brandenburg
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gab der Berufung des Klägers teilweise statt und sprach ihm eine Karenzentschädigung in Höhe von 69.200,50 Euro brutto (bereits abzüglich anderweitig erzielten Verdienstes) für den Zeitraum vom 9. November 2020 bis zum 15. August 2022 zu. Für den Zeitraum vom 16. August 2020 bis zum 8. November 2020 wies das Gericht die Berufung als derzeit unbegründet zurück, da der Kläger für diesen Zeitraum keine ausreichende Auskunft über anderweitigen Erwerb erteilt habe.
1. Wirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes
Die Parteien haben nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg im Arbeitsvertrag ein wirksames nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit einer Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe der Hälfte der von dem Kläger zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistung vereinbart. Dass die entsprechende Vorschrift im Arbeitsvertrag keine Regelung zur Höhe der gemäß § 74 Abs. 2 HGB für die Verbindlichkeit der Vereinbarung zwingend erforderlichen Karenzentschädigung enthält, sei unschädlich, da die Parteien vereinbart haben, dass im Übrigen die gesetzlichen Vorschriften der §§ 74 ff. HGB gelten. Angesichts der Regelungsdichte der gesetzlichen Vorschriften sei dieser Verweis ausreichend, um alle wesentlichen Elemente einer Regelung über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot abzudecken. Verweist eine vertragliche Wettbewerbsklausel für alle Einzelheiten der vereinbarten Regelung auf die maßgebenden Vorschriften des HGB, so liege darin im Zweifel die Zusage einer Karenzentschädigung in der gesetzlichen Mindesthöhe (BAG Urt. v. 28.06.2006 - 10 AZR 407/05).
2. Kein nachgewiesener wirksamer Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot
Es fehle weiterhin an einem wirksamen Verzicht der Beklagten auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 75a HGB. Zwar sei es grundsätzlich möglich, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot durch zweiseitige Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag aufzuheben oder inhaltlich abzuändern. Jedoch kam das Gericht im Wege der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass die Parteien am 10. Juni 2020 eine solche Vereinbarung nicht getroffen haben. Die Beklagte habe ihrer Darlegungs- und Beweislast für eine Abänderung der arbeitsvertraglichen Regelung zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot nicht genügen können.
3. Anrechnung anderweitigen Erwerbs gemäß § 74c Abs. 1 S. 2 HGB
Gemäß § 74c HGB muss sich der Kläger auf die fällige Karenzentschädigung dasjenige anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen hat. Aus der Verwertung der Arbeitskraft erzielte Erlöse seien dabei alle geldwerten Leistungen zur Abgeltung der Arbeitsleistung, insbesondere also die unmittelbare Erzielung von Geldleistungen für die Erbringung von Arbeitsleistungen im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses. Daneben ist nach ständiger Rechtsprechung jedoch auch Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit anrechenbar (vgl. BAG Urt. v. 16.112020 - 10 AZR 152/05). Anrechenbar seien daher neben dem Arbeitseinkommen des Klägers aus seinem neuen Arbeitsverhältnis auch grundsätzlich dessen Einkünfte aus seiner selbstständigen Tätigkeit als Sachverständiger für Waffen und Munition. Dass der Kläger diese selbstständige Tätigkeit auch bereits während seines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten ausgeübt hatte, stehe der Anrechnung der hieraus erzielten Einkünfte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu der Beklagten nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht generell entgegen.
Nach § 74c Abs. 1 HGB anrechenbar sei jedoch nur das, was der Arbeitnehmer durch die Verwertung seiner infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei gewordenen Arbeitskraft erwirbt. Hatte der Arbeitnehmer jedoch bisher ein Arbeitsverhältnis, das ihn als Hauptberuf in dem üblichen Ausmaß in Anspruch genommen hat, und tritt er wiederum in ein solches hauptberufliches Arbeitsverhältnis ein, dann sei nur das daraus erzielte Arbeitseinkommen anzurechnen. Das Landesarbeitsgericht vertrat die Auffassung, dass Nebeneinnahmen in einem Fall, wie dem vorliegenden, außer Betracht bleiben, da sie nicht mit dem Freiwerden der Arbeitskraft zusammenhingen. Dies steht mit der geltenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage in Einklang (vgl. BAG Urt. v. 14.05.1969 - 3 AZR 137/68). Der Kläger hatte sowohl bei der Beklagten als auch bei seinem neuen Arbeitgeber während der Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes, unstreitig eine hauptberufliche Vollzeit-Beschäftigung ausgeübt. Daneben hatte der Kläger auch bereits während der Dauer seines Beschäftigungsverhältnisses zu der Beklagten die selbstständige Tätigkeit als Sachverständiger für Waffen und Munition ausgeübt. In der Folge hänge das während der Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots erzielte Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit demnach nicht mit dem Freiwerden seiner Arbeitskraft zusammen und sei daher nicht gemäß § 74 c Abs. 1 HGB auf die Karenzentschädigung anzurechnen. Lediglich die Einnahmen des Klägers aus seiner neuen Vollzeit-Beschäftigung seien auf die von der Beklagten zu zahlende Karenzentschädigung anzurechnen.
Ferner folge aus der gesetzlichen Regelung in § 74 c Abs. 1 S. 1 HGB, dass eine Gegenüberstellung der Einnahmen aus anderweitiger Tätigkeit einerseits und der zu zahlenden Karenzentschädigung andererseits für einen größeren oder den gesamten Zeitraum des Wettbewerbsverbots unzulässig ist und die Anrechnung vielmehr pro rata temporis, in der Regel also nach den einzelnen Monaten, zu erfolgen hat (vgl. BAG Urt. v. 16.11.2005 - 10 AZR 152/05). Eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 74c Abs. 1 S. 1 HGB erfolgt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung des anderweitigen Verdienstes den Betrag der zuletzt von dem Arbeitnehmer bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel übersteigen würde. Nach dieser Maßgabe müsse sich auch der Kläger zum Teil Einnahmen aus seiner neuen Vollzeitbeschäftigung auf die von der Beklagten zu zahlende Karenzentschädigung anrechnen lassen.
4. Auskunftsanspruch des Arbeitgebers über die Höhe des anderweitigen Erwerbs gemäß § 74c Abs. 2 HGB
Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs des Arbeitgebers über die Höhe eines von dem Arbeitnehmer erwirtschafteten anderweitigen Erwerbs gemäß § 74c Abs. 2 HGB stellte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg klar, dass zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs die Angabe des neuen Arbeitgebers sowie die Vorlage von Entgeltabrechnungen regelmäßig ausreiche. Bei einem anderweitigen Verdienst aus einer selbstständigen Tätigkeit sei dagegen in der Regel der Einkommenssteuerbescheid vorzulegen. In dem vorliegenden Fall sei die Vorlage des Einkommenssteuerbescheids dagegen nicht notwendig, da die Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit des Klägers als Sachverständiger für Waffen und Munition wie dargestellt nicht auf die von der Beklagten zu zahlende Karenzentschädigung anrechenbar waren.
III. Fazit und Praxishinweis
Die vorliegende Entscheidung setzt sich in begrüßenswerter Weise mit verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Anrechnung anderweitigen Verdienstes im Geltungszeitraum von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten auseinander und betont die Besonderheiten bei Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit.
In Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg klar, dass der Abgleich zwischen den Einnahmen aus der anderweitigen Tätigkeit einerseits und der vom Arbeitgeber zu zahlenden Karenzentschädigung andererseits jeweils bezogen auf einen Monatszeitraum („pro rata temporis“) zu erfolgen hat und nicht auf einen größeren oder gar auf den gesamten Zeitraum des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots abgestellt werden kann.
Es stellt ferner heraus, dass nur derjenige anderweitige Verdienst auf die Karenzentschädigung anrechenbar ist, der durch eine Arbeitskraft erwirtschaftet wird, welche durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei geworden ist. Demgemäß seien Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit in dem Umfang, in dem diese selbstständige Tätigkeit auch bereits während der Dauer des Arbeitsverhältnisses von dem Arbeitnehmer ausgeübt wurde, nicht auf die vom Arbeitgeber zu zahlende Karenzentschädigung anrechenbar.
Zuletzt stellt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg klar, dass der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers über die Höhe eines von dem Arbeitnehmer erwirtschafteten anderweitigen Erwerbs gemäß § 74c Abs. 2 HGB in der Regel durch die Angabe des neuen Arbeitgebers und die Vorlage von Entgeltabrechnungen erfüllt werden kann. Bei einer selbstständigen Tätigkeit sei im Unterschied dazu in der Regel die Vorlage des Einkommenssteuerbescheids erforderlich.